#EU

„Fingergate“ – Die schmutzige Bombe der politischen Rhetorik

von , 16.3.15

Man kann vielleicht schon einmal festhalten: Der Fuckfinger in der politischen Sphäre gereicht seinem Träger in den seltensten Fällen zum Nutzen und Frommen. Er ist so etwas wie die Dirty Bomb der Rhetorik – zu unkontrollierbar, zu massiv, zu „in your face“. Er produziert so unmittelbare Affekte, dass sich damit kein subtiler Subtext whatsoever mehr transportieren lässt. Selbst Steinbrück meinte ja nicht, dass er die Wähler, seine Kritiker oder sonstwen verachtet und vor den Kopf stoßen möchte. Das ganze war eingebettet in ein ironisches Format, das von der Übertreibung lebt. Die ohne Worte zu beantwortende Frotzel-Frage des SZ-Magazins lautete „Pannen-Peer, Problem-Peer, Peerlusconi – um nette Spitznamen müssen Sie sich keine Sorgen machen, oder?“ Wie will man als intelligenter Mensch darauf anders angemessen reagieren?! Der Kontext ging erst verloren, als das Bild kommentarlos aufs Cover wanderte, in der anschließenden Debatte dann sowieso.

Wenn Yanis Varoufakis mit seiner Geste 2013 ausdrücken wollte, dass Griechenland Jahre zuvor hätte können, aber jetzt eben NICHT mehr, wie seinerzeit Argentinien, seinen Gläubigern den Fuckfinger zeigt, indem man die Finger zum Offenbarungseid hebt, dann ist das uneigentliches Sprechen im Konjunktiv. Insofern hat Varoufakis Recht, wenn er von „Fälschung“ spricht, auch wenn es nur um Schnitte geht, nicht um Photoshop-Manipulation. Wer uneigentliches Sprechen im Konjunktiv in Beleidigungen barer Münze verwandelt, handelt zumindest maliziös manipulativ. Und auch wenn sich das klarstellen lässt, bleibt doch immer etwas vom Fallout des Grobian-Gestus am Sprecher hängen.

In den missmutig grummelnden Reaktionen auf Varoufakis schwimmt das ekeligste Fett Deutschlands einmal kurz ungelöst als Fettaugen auf der Suppe. Gerade noch „Je suis Charlie“ und das Recht auf Satire mit Gratis-Demonstrationen verteidigt, jetzt eingeschnappt sein, weil da jemand – uneigentlich oder nicht – beiläufig auf einer kleinen subversiven Konferenz angedeutet hat, wie es wäre, wenn Griechenland Deutschland den Stinkefinger zeigte. Insofern: Jeder der sich nun ohne Ansehen des ursprünglichen Kontextes und der wahren Sprechabsichten durch Varoufakis „beleidigt“ fühlt, ist auf dem Weg zum Salon-Salafisten.

 

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