von Wolfgang Michal, 24.11.10
Der eine (Frank Schirrmacher) betont gern die Notwendigkeit der Filter im öffentlichen Diskurs. Der andere (Peter Kruse) betrachtet die Resonanz als treibende Kraft im kommunikativen Netz. Beide haben ein Stück weit Recht – deshalb richten sich die Fantasien vieler Netz-Werker auf eine Kombination der beiden Ansätze. In der Diskussion werden sie meist als Gegensatzpaar beschrieben:
- Die Resonanzkultur der Netzkommunikation wird häufig mit diesen Worten charakterisiert: Überflutung, Welle, Overkill, Müll, Irrelevanz, Amateure, Aufschaukelung, Erregung, Irrationalismus, hochkochen, Mob, Hype, Resonanzboden, Mobilisierung, Schwarmintelligenz, Unmittelbarkeit, Schnelligkeit, Emotion, Empathie. Die Resonanz-Kultur ist anarchisch und Nutzer-gesteuert. Ihr Anwalt ist der Bremer Organisationspsychologe Peter Kruse.
- Die Filterkultur der traditionellen Vermittler-Kommunikation wird dagegen so charakterisiert: Ordnung, Auswahl, Orientierung, Konzentration, Relevanz, Qualität, Professionalität, Kanalisierung, Autorität, Nachdenklichkeit, Kontrolle, Regulierung, Distanz, Rationalismus, vorkauen, Selektion, Zensur. Die Filter-Kultur ist hierarchisch und Gatekeeper-gesteuert. Ihr Anwalt ist der Frankfurter Publizist Frank Schirrmacher.
Natürlich ist der hier beschriebene Gegensatz Theorie. These und Antithese stehen sich sozusagen idealtypisch gegenüber. In der Praxis stellen wir fest, dass die eine Kultur häufig Anteile der anderen in sich trägt (und in der Sarrazin-Debatte oder in der aktuellen “Terror-Angst” erleben wir, dass sich das Anteilsverhältnis auch gänzlich umkehren kann):
- Emotionale Resonanzen existieren auch in Filterkulturen: Man nennt sie dann Klatsch, Gerücht, Mode, Trend, Schlagzeile, Propaganda, Kampagne, Stimmungsmache, Volksverhetzung oder Druckkulisse.
- Und rationale Filter existieren auch in Resonanzkulturen: Sie heißen dann Moderation, relativierender Kommentar, ;-), Spamfilter, Löschtaste, Tag, find, sort, Plug-In, Algorithmus, App, Suchmaschine, Cyber Patrol, Kindersicherung oder Deep Packet Inspection.
In der Praxis mischen sich die Kulturen. Es gibt starke Resonanzkulturen mit schwachen Filtern und es gibt rigide Filterkulturen mit schwachen Resonanzen.
Die Kombination aus beiden nennt man Hybrid. Solche Hybridmodelle könnten den Strukturwandel der Öffentlichkeit in den nächsten Jahren prägen. Aber sie bergen auch Risiken. Sie können die gesellschaftliche Entwicklung fördern, und sie können ‘hurrikan-ähnliche’ Verwüstungen anrichten.
So lange Filter und Resonanz in einem produktiven Spannungsverhältnis zueinander stehen – so lange sie sich gegenseitig korrigieren, kritisieren, ausbalancieren und in Schach halten – ist die öffentliche Kommunikation intakt. Entstellt oder verzerrt wird die Kommunikation dagegen, wenn sich die beiden Kulturen z.B. in einer Hand konzentrieren.
Würden Filter nur genutzt, um emotionale Resonanzen zu verstärken oder in bestimmte Richtungen zu lenken, hätten wir bald ein Problem. Könnten sich hierarchische (nicht demokratisch legitimierte, nicht transparente) Filterkulturen in digitalen Resonanzkulturen breit machen, würden gefährliche Vermachtungen erzeugt: Industrien könnten sich dann des Netzes und seiner Resonanzen „bedienen“. Populistische Bewegungen könnten mit Resonanzen ihre Spielchen treiben. Autoritäre Regime könnten das Aufschaukeln von Resonanzen zur Ausgrenzung anders Denkender perfektionieren.
Filter und Resonanz wären dann keine produktiven Gegensätze, keine Antipoden im Sinne demokratischer „checks and balances“ mehr – sie wären gleichgeschaltet. Die eine Kultur hätte die andere geschluckt bzw. zu ihrer Dienerin gemacht.
Deshalb sollte der Gegensatz von Filter und Resonanz bei Hybridmodellen beachtet und bewusst aufrechterhalten werden. Nur so können die Vorteile der beiden Kulturen ausgeschöpft, ihre Nachteile erkannt und die Tendenzen in Richtung formierter Gesellschaft vermieden werden.