#FIFA

FIFA: Zu schwach, zu feige

von and , 4.6.15

CARTA: Bis zu einem außerordentlichen Kongress, der in einigen Monaten stattfinden wird, bleibt Joseph Blatter der hochrangigste Fußball-Funktionär der Welt. Viel Zeit, um mögliche Verwicklungen in den Korruptionsskandal zu verschleiern und beim Machtpoker um die Nachfolge mitzumischen…

Ich denke, dass es jetzt zu spät ist, um irgendetwas zu verschleiern. Gerade die US-amerikanischen Behörden werden die Aktivitäten von Sepp Blatter in den vergangenen Jahren bei der Fifa mit allem erdenklichen Aufwand durchleuchten oder bereits durchleuchtet haben. Und das wird er wissen. Mit der Ankündigung seines Rücktritts nimmt er etwas Druck vom Kessel. Vielleicht bewahrt ihn das auch vor einer Festnahme. Was seine Nachfolge angeht: Da wird er seinen Gegnern nicht kampflos das Feld überlassen.

CARTA:  Es wird ja viel spekuliert, ob das FBI gegen Blatter ermittelt oder nicht. Du recherchierst seit Tagen vor Ort. Weißt du mehr?

Das FBI hat auch Sepp Blatter unter die Lupe genommen. Er wäre der dickste Fisch an der Angel der US-Ermittler. Das FBI stellt den ganzen Laden auf den Kopf, ohne Rücksicht. Dass der Kopf der Organisation ebenfalls im Visier ist, ist klar. Ob man dies als Ermittlungsverfahren gegen Blatter bezeichnet, ist eigentlich völlig egal.

Wichtig ist nur: Wird er am Ende angeklagt und verurteilt? Dies sehe ich bislang nicht kommen.

CARTA: Warum nicht?

Blatter wusste, was in seinem Laden geschieht. Aber einen konkreten Hinweis darauf, dass er selbst Verbrechen begangen hat, gibt es nicht. Bislang, das möchte ich unterstreichen. Die Fifa fällt gerade auseinander, und noch ist nicht absehbar, was alles ans Tageslicht kommt.

CARTA: Wie erklärst du dir eigentlich, dass es ausgerechnet US-amerikanische Behörden und Medien sind, die den bisher größten Weltfußball-Skandal aufdecken. Der Sitz der FIFA ist in der Schweiz, Blatter ist Schweizer, die Europäer haben den größten Einfluss und das meiste Geld im Verband…

Verschwörungstheorien haben ja gerade wieder Hochkonjunktur. Sehr oft habe ich in den vergangenen Tagen gehört, die Amerikaner würden nur ermitteln, damit Russland die WM verliert und ein Amerikaner Fifa-Präsident wird. Auch ein angebliches Motiv: Rache, weil die USA die WM 2022 nicht bekamen, sondern Katar. Ich sehe es pragmatisch: Wir reden hier über Schmiergelder, die über US-amerikanische Banken gelaufen sind. Über einen Kronzeugen, Chuck Blazer, der US-Amerikaner ist und als Ex-Fifa-Funktionär über Verbrechen ausgepackt hat. Wie kann man sich angesichts dessen darüber wundern, dass das FBI ermittelt?

CARTA:Wenn es um WM, EM oder Champions League geht, berichten alle rund um die Uhr und über Monate. Warum nicht auch, wenn es um Fußballskandale wie diesen geht?

Grundsätzlich ist das Interesse an den Geschehnissen auf dem Platz einfach größer als an dem, was hinter den Kulissen geschieht. Bei dem aktuellen Skandal ist das anders, sowohl Berichterstatter als auch Leser spüren: Jetzt geht es den Kriminellen wirklich an den Kragen. Jetzt kann sich etwas ändern. Endlich.

CARTA:Wie viele Kollegen recherchieren den wie Du vor Ort? Und wieviel der aktuellen Berichterstattung ist „Ferndiagnose aus dem Newsroom daheim“?

Das meiste ist Ferndiagnose von daheim, und das ist sehr schade. Ich glaube, der Leser weiß es zu schätzen, wenn er Informationen und Hintergründe direkt von vor Ort erhält anstatt vom Schreibtisch. Journalisten müssen dafür kämpfen, von ihren Chefs Reisen zu den Orten des Geschehens finanziert zu bekommen. Das lohnt sich, nur so kann man wirklich erfahren, was Sache ist. Gerade die Fifa-Nummer ist derart komplex und kompliziert, das kann man nicht mal eben so vom Schreibtisch abhandeln.

CARTA:Luis Figo hatte seine Kandidatur vor einigen Wochen mit der Begründung zurückgezogen: „Ich werde weiter zur Verfügung stehen, sobald nachgewiesen ist, dass die Fifa keine Diktatur ist” Hat er übertrieben oder hat er Recht?

Ich denke, dass er übertreibt. Die Gegner von Blatter waren bis zur letzten Wahl am Freitag einfach zu schwach. Und zu feige. Es gab gar kein ernsthaftes Bemühen, den Schweizer zu stürzen.

CARTA:Welche Folgen haben die aktuellen Untersuchungen für die Weltmeisterschaften in Russland und Katar. Ist eine Neuvergabe überhaupt denkbar? Und was müsste passieren, damit es dazu kommt?

Seit der Vergabe der WM 2022 nach Katar im Dezember 2010 steht diese Abstimmung unter Korruptionsverdacht. Der katarische Fußball-Funktionär Mohammed Bin-Hammam hat mehrere Millionen US-Dollar an Fifa-Leute überwiesen. Es ist möglich, dass das Geld im Gegenzug für Stimmen für Katar gezahlt wurde – oder für seine letztlich erfolglosen Ambitionen, 2011 Fifa-Präsident zu werden. Klar ist: Hier gibt es noch viel Aufklärungsbedarf.

CARTA: Ist dieser Laden überhaupt reformierbar?

An der Fifa-Spitze muss jemand ohne große Vergangenheit innerhalb der Fifa oder ihrer Unterorganisationen agieren. Denn über die Jahre sind innerhalb der Branche Abhängigkeiten entstanden, Seilschaften. Irgendwer steht stets bei irgendwem in der Schuld. Im Grunde braucht die Fifa einen Präsidenten, der nicht aus dem Fußball kommt. Jemanden aus der Wirtschaft, der Politik, vielleicht ein Jurist. Das Problem: Bislang ist es Voraussetzung für Präsidentschaftskandidaten, zwei der fünf Jahre vor der Wahl im Fußball tätig gewesen zu sein. Ich hoffe, dass diese Hürde rechtzeitig vor der nächsten Wahl fällt.

CARTA: Was müsste denn ein neuer FIFA-Präsident oder eine Präsidentin tun, um den Korruptionssumpf trocken zu legen?

Der Präsident allein kann nicht für eine bessere Fifa sorgen. Dafür müssen die Strukturen verändert werden. Eine Amtszeitbeschränkung muss her, die Personen, die in den Vorstand einziehen, müssen im Vorfeld einer unabhängigen Integritätsprüfung unterzogen werden. Das muss der Kongress durchwinken, was der Präsident tun kann, ist, sich dafür starkzumachen und mit gutem Beispiel voranzugehen: Dazu gehört es auch, das eigene Gehalt zu veröffentlichen. Blatter hat sich immer geweigert, dies zu tun. Im Grunde müssen alle Fifa-Funktionäre, die in der Vergangenheit vom System profitiert haben, zurücktreten. Nicht nur Sepp Blatter.

Die Fragen stellte Christian Stahl.

  

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