von Jürgen Fenn, 10.8.12
Das Web ist – vielleicht in protestantischer Tradition – vom Wort dominiert. Wenn auch Multimedia-Inhalte schon lange dazugehören und der größte Lesesaal der Welt mittlerweile um mehrere Konzertsäle und Kinos ergänzt worden ist: In Blogs und Wikis wird nach wie vor in erster Linie geschrieben, und auch in der Online-Enzyklopädie Wikipedia steht der Text weiterhin im Vordergrund.
Das soll nicht heißen, die Wikipedianer hätten sich mit dem Weblayout ihres Lexikons nicht immer wieder befasst. Es gab über die Jahre durchaus schon mehrere Stylesheets. Erinnern Sie sich noch? Bei ihrer Geburt, am 16. August 2001, sah die deutsche Version von Wikipedia beispielsweise so aus.
Dann kam die Oberfläche Monobook. Dann kam sehr lange nichts Neues. Und im April 2010 dann schließlich der Wechsel zu Vector, der Oberfläche, mit der die Meisten heutzutage Wikipedia standardmäßig benutzen. Natürlich war der Aufschrei groß, als alles ganz anders wurde, und viele alte Kämpen des Projekts schwören noch heute auf den alten Skin und stellen Monobook oder gar das nüchterne Modern in ihrem Benutzerprofil als persönlichen Standard ein.
Beim alljährlichen Familientreffen der Wikipedianer, Wikimania, die im Juli 2012 in Washington, D.C., stattfand, wurde nun der nächste große Schritt vorgestellt: Die Wikimedia Foundation, die die Wikipedia und ihre Schwesterprojekte trägt, entwickelt einen neuen Skin unter dem Projektnamen Athena, und die Süddeutsche Zeitung frotzelte sogleich: „Wikipedia will wieder sexy werden“.
Bilder und Multimedia sollen dabei ein viel größeres Gewicht erhalten als bisher. Allein, das dauert noch ein Weilchen: Bis 2015 müssen wir warten, bis Brandon Harris und sein Team bei der Foundation mit dem neuen Entwurf online gehen werden. Die Überarbeitung des Skins ist nicht zuletzt deshalb so aufwendig, weil dabei über 280 Sprachversionen berücksichtigt werden müssen.
Schneller war mittlerweile eine litauische Designagentur, die mit wikipediaredefined.com ihre Vorstellungen für ein zeitgemäßeres Weblayout der Online-Enzyklopädie vorgestellt hat. Der Entwurf ist auf großes Interesse gestoßen, und ein Wikipedianer hat sogar eine Lösung vorgestellt, mit der man das im eigenen Wikipedia-Account gefahrlos testen kann. Die Gemeinde diskutiert derweil auch hierüber eifrig.
Vorerst jedoch wird alles beim Alten bleiben, denn: Form follows function, heißt der alte Leitsatz aus dem „Design, insbesondere Produktdesign und Architektur“ – so steht es in der Wikipedia (natürlich). Und obwohl Nerds mitunter hohe Ansprüche an typographische Qualität stellen – Effizienz geht ihnen letztlich doch vor Schönheit.
Das gilt auch für die Dominanz des Texts über das Bild in Wikipedia. Ein wichtiges Ziel des Entwurfs von Harris ist es, das zu ändern. „Die Bebilderung eines Artikels sollte immer dem besseren Verständnis des Textes dienen, nie allein der Zierde“, heißt eine Leitlinie des deutschsprachigen Projekts. Und so wird um die Größe von Bildern mitunter genauso erbittert gestritten wie um Texte.
Also werden noch viele Bits durch das Internet fließen, bis das Weblayout der Wikipedia das nächste Mal geändert wird. Keine schlechte Entscheidung, denn eine Corporate Identity sollte man niemals leichtfertig über Bord werfen.