Dem Markt vertrauen: Wie wir auf die Finanzkrise (nicht) reagieren sollten

von , 20.10.08

Marktwirtschaft bedeutet gerade nicht, dass einzelne Barbaren mithilfe irrwitziger Schuldenhebel ganze Unternehmen kapern. Es gilt, in der Systemdebatte Nerven zu behalten.

Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise meldet sich ein alter Freund und spricht beruhigende Worte: „Nur nicht die Nerven verlieren. Das ist wie eine Katharsis, die uns auf den Boden der Realität zurückholt. Eigentlich ein heilsamer Prozess“.

Der Freund hat vermutlich Recht. Trotzdem bleibt eine große Frage: Wie halten wir es künftig mit der Balance zwischen Markt und Staat? Wieviel Regulierung ist erforderlich, um nochmalige Abstürze dieser Art zu verhindern? Und wie viel Markt benötigen wir, damit der Begriff „Wachstum“ als Quelle von Wohlstand und Fortschritt nicht ins Museum wandert?

Tatsächlich wird die Erfahrung der Finanzkrise eine Entwicklung verstärken, die sich ohnehin schon als dominierender Trend zu etablieren begonnen hatte. Seit dem Spätherbst 2005 erleben wir einen Paradigmenwechsel in der Politik: von der Reaktivierung des Marktes – Stichwort „Agenda 2010“ – hin zu einer Priorisierung der „Sozialen Gerechtigkeit“. Gesundheitsfonds, Mindestlöhne und die verlängerte Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes sprechen eine eindeutige Sprache.

Unter dem Eindruck der globalen Finanzkrise nimmt dieser Trend nun noch zu: Wie hoch die Gehälter von Bankmanagern sein dürfen, entscheidet künftig der Staat (jedenfalls dort, wo Banken seine Hilfe in Anspruch nehmen). Die Finanzakteure werden einer äußerst strengen Aufsicht unterworfen werden. Und weil gleichzeitig eine Rezession der Weltwirtschaft droht, liebäugeln Politiker aller Parteien (aber auch Vertreter bestimmter Industriebranchen) mit einem milliardenschweren Konjunkturprogramm.

Man wird Verständnis dafür aufbringen müssen, dass das Vertrauen der Menschen in die Marktwirtschaft derzeit nicht besonders ausgeprägt ist. Die von Tom Wolfe in seinem „Fegefeuer der Eitelkeiten“ messerscharf porträtierten „Masters of the Universe“ haben die Regeln des Marktes pervertiert und dadurch nicht nur eine Branche (das Investmentbanking), sondern ein ganzes System an den Rand des Abgrunds getrieben. Die Folge: Verteidiger der Globalisierung werden in der nun aufziehenden Systemdebatte als Unbelehrbare gegeisselt, die Apologeten des Kapitalismus als immerwährende Quartalsirre abgestempelt werden.

Tatsächlich: Für den Zorn der Bürger gegen die „Bangster“ gibt es gute Gründe. Allerdings wäre es fatal, das Kind der marktwirtschaftlichen Grundregeln mit dem Bade der Finanzmarktkrise auszuschütten. Wer jetzt dem Staat die Schlüsselrolle im wirtschaftlichen Gesamtgefüge zuweisen will, vergeht sich vermutlich in höherem Maße an der nächsten und übernächsten Generation als die Hasardeure der Wall Street durch ihr ausser Kontrolle geratenes Zockergebaren.

Marktwirtschaft bedeutet ja gerade nicht, dass einzelne Barbaren mithilfe irrwitziger Schuldenhebel ganze Unternehmen kapern. Marktwirtschaft bedeutet auch nicht, dass fürstlich entlohnte Landesbankchefs mit amerikanischen Hypothekenpapieren spekulieren und dabei das Geld argloser Kleinsparer verspielen – diese Exzesse gehören rigoros unterbunden. Verteidigt werden muss aber umso mehr ein System, das wie kein zweites die Kreativität, die Leistungsfreude der Menschen und damit Wohlstand und technischen Fortschritt fördert. Verteidigt werden muss eine Ordnung, die unter Freiheit nicht die Förderung der Gier, sondern das freie Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage versteht, wie jede/r Hausfrau/-mann es auf dem Wochenmarkt erlebt und praktiziert. Eine Ordnung ferner, die den Wettbewerb als „Entdeckungsverfahren“ (Friedrich August von Hayek) stärkt und übrigens auch schützt, nämlich gegen Kartelle.

Gewiss, zur Marktwirtschaft gehört auch Ungleichheit. Trotzdem ist sie, solange sich ein jeder nach seinen Kräften und Talenten in ihr entfalten kann, ein überaus soziales System. Denn was spornt uns mehr an als die jedermann gegebene Chance auf die Verbesserung der individuellen Lebenssituation? Was setzt in uns Energien frei, wenn nicht die Aussicht auf Wachstum und Einkommensanstieg? Klar ist doch eines: In dem Moment, wo dem Einzelnen die Möglichkeit zur Verbesserung genommen wird, erlahmt die Gesellschaft als Ganzes.

Was bleibt also, wenn der Pulverdampf der Krise abgezogen ist? Die Zukunft liegt in einer Ordnung, die Fehlverhalten und Exzesse sanktioniert, ohne das Streben der Menschen nach Wohlstandszuwächsen abzuwürgen. Gerade jetzt geht es um den Mut zur Freiheit. Wohlstand entsteht durch freie Preisbildung, freien Marktzugang weltweit und Kapitalverkehrsfreiheit in geregelten Bahnen. Eine Politik, die auf den Staat setzt, wird hingegen zu höherer Verschuldung und massiven Steuer- und Abgabenerhöhungen führen. Dies würde die rezessiven Tendenzen eher noch verstärken und die vorübergehende Katharsis zu einer dauerhafte Krise anschwellen lassen. Leidtragende wären nicht nur große Konzerne, sondern vor allem Mittelständler, Handwerker, Existenzgründer. Dies aber können selbst Lafontaine und Gysi im Ernst nicht wollen. Auch in der Systemdebatte gilt es, die Nerven zu behalten.

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