#Abdruckgenehmigung

Es gilt das genehmigte Wort

von , 17.7.12

„Betrug am Anspruch einer freien Presse, Betrug am journalistischen Selbstverständnis, Betrug am Leser“, mit diesen Worten echauffierte sich die damalige taz-Chefredakteurin Bascha Mika vor beinahe zehn Jahren über das, was in ihren Augen der Perversion einer prinzipiell vernünftigen Praxis im Verhältnis zwischen Politik und Journalismus gleichkam.

Olaf Scholz, damals Generalsekretär der SPD, hatte ein ihm zur Freigabe vorgelegtes Interview nachträglich derart zu verändern versucht, dass sich die taz  entschloss, den Text mitsamt aller Streichungen und Änderungen zu veröffentlichen. Ein Eklat, auf den bis heute gerne verwiesen wird, wenn die gängige Praxis der Autorisierung politischer Interviews kritisiert wird. Dabei handelt es sich um ein Verfahren, dass Swantje Waterstraat* zufolge in Deutschland erstmals 1958 vom SPIEGEL eingeführt und „zum Prinzip des sogenannten Spiegel-Gesprächs“ erhoben wurde.

Genauso gängig ist die reflexhafte Feststellung, im „Ausland, v.a. allem im englischsprachigen Journalismus, [sei] eine Autorisierung gänzlich unbekannt“.

Dass dem nicht so ist, hat Anfang der Woche die New York Times eingestanden. Längst, so schreibt Jeremy W. Peters unter der Überschrift „Latest Word on the Trail? I Take It Back“, gehört die Autorisierung von Zitaten zur Standardpraxis in Washington. Das Streben nach message control, das Gefeilsche um zur Veröffentlichung bestimmte Zitate beziehungsweise deren Veränderung, sowie das tit for tat zwischen Journalisten und ihren Interviewpartnern prägen auch hier das Beziehungsspiel zwischen Journalismus und Politik. Wirklich überraschen kann das angesichts der gleichermaßen überhitzten wie strategisch hochgerüsteten amerikanischen Kommunikationskultur nicht. Da hat der medienjournalistisch-kommunikationswissenschaftliche Mythos, wie er sich beispielsweise in gut gemeinter Ratgeberliteratur wiederfindet, eindeutig die Realitäten überlebt.

Ein Unterschied in der journalistischen Kultur indes hat Bestand: das Ausmaß an Reflektion und schonungsloser Selbstkritik im Zusammenhang mit Problemen, für die es, wie auch der Artikel der New York Times klar macht, angesichts wechselseitiger Abhängigkeiten und komplementärer Interessen keine einfachen Lösungen gibt. Politiker wollen Publizität, die Journalisten ergiebige Informationsquellen.

In den USA haben Sender und Zeitungen wie die New York Times Ombudsmänner (Public Editor), die als Beschwerdeinstanz für Leser und Zuschauer fungieren, systematisch Fehlern und Qualitätsproblemen nachspüren und das Handeln ihrer Kollegen auch unter professionsethischen Gesichtspunkten kritisch hinterfragen sollen.

Und dann gibt es noch Jeff Jarvis. Der hat sich inzwischen wortgewaltig im Guardian zu Wort gemeldet: „It may be done in other nations, but giving in to demands for tweaks here and there turns newspapers into virtual propaganda.”

Word. Die Debatte hat gerade erst begonnen.

Jarvis-Zitat: “Es mag in anderen Ländern gemacht werden, aber Anfragen nach Autorisierung nachzugeben, verwandelt Zeitungen in potentielle Propaganda.” (red)

* Swantje Waterstraat,  „Die Autorisierung politischer Interviews“

 

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.