von Wolfgang Michal, 29.6.10
Nachdem der Konflikt anfangs (und zu Recht) auf Carta als „Clash der Kulturen“ interpretiert worden ist (hier freier Blogger, da Gatekeeper-Redaktion), wurde allzu schnell versucht, die Sache zu einer individuellen Verfehlung herunter zu reden – mit der widerwärtigen Folge, dass der, der fiel, auch noch getreten wurde, als er schon am Boden lag. Dies offenbart eine Sehnsucht nach Repression, die sicher nicht nur aus dem Wunsch einiger Möchtegern-Journalisten resultiert, sich selbst als gnadenlose Profis zu empfehlen („Wess’ Brot ich ess’, dess’ Lied ich sing’“).
Der Grund für den Rauswurf Michael Seemanns war dessen eigenmächtiges und trotziges Handeln (und nicht primär die Verletzung der Bildrechte). Der Autoritäts-Konflikt eskalierte erst zu dem Zeitpunkt, als Seemann seinen Text abermals auf die Plattform stellte, von der ihn die Redaktion zuvor entfernt hatte.
Ja, ich weiß, der Blogger hat angefangen. Er hat die Rechte von Fotografen verletzt. Aber lassen wir die Kirche doch mal im Dorf: Mit der Bildveröffentlichung wurde weder die Ehre/der Ruf der Fotografen geschändet (die FAZ ist schließlich kein Gossenblatt), noch wollte oder konnte sich Michael Seemann mit der „geklauten“ Leistung eines anderen eine goldene Nase verdienen (denn sein Honorar erhöhte sich durch die Verwendung der ‚kostenlosen’ Bilder um keinen Penny). „Verdienen“ konnte nur die FAZ, und die hat sofort und richtig erkannt, dass es hier um ihren eigenen Ruf als Urheberrechts-Verfechterin geht. Mit der Entfernung der Bilder wäre die Angelegenheit also entschärft gewesen, alles Weitere hätte eine Aussprache zwischen Blogger und Redaktion regeln können.
Wenn nun in der nachfolgenden Kommentierung von einigen Oberwichtigtuern suggeriert wird, Seemann habe sich auf Kosten eines anderen bereichert, so spricht daraus weniger moralische Empörung als Neid, Missgunst, Eifersucht oder Gehässigkeit.
Durch die Überhöhung der (eher kleinen) Urheberrechtsverletzung wurde ein sehr viel wichtigeres Thema verdrängt, nämlich die unerlässliche Freiheit eines jeden Bloggers, in eigener Verantwortung, erlaubnisunabhängig (und nur begrenzt von Art.5, Abs.2 Grundgesetz) eigene Texte veröffentlichen zu können. Woher kommt diese plötzliche Unterwürfigkeit unter die Vorgaben einer altehrwürdigen Redaktion? Woher kommt der plötzliche Kniefall vor den im Abmahnunwesen geltenden, absurd überzogenen Streitwerten bei Urheberrechtsverletzungen in einfach gelagerten Fällen?
Im Ernstfall hätte die FAZ (die mit den von ihr eingeladenen Bloggern ja einen gewissen Zweck verfolgt und somit der Verbreiterhaftung unterliegt) eine Entschädigung an den Fotografen gezahlt, für künftige Zeiten Besserung gelobt (bzw. Unterlassungserklärungen unterschrieben) und dann die notwendigen Schritte eingeleitet, damit solche Fehler nicht wieder passieren. Niemand hätte der FAZ einen Strick daraus gedreht.
Die pragmatische Betrachtung des Falls reichte einigen Kritikern aber nicht aus. Sie wollten Blut sehen und verhöhnten Seemanns freche Art, sich gegen die autoritäre Maßnahme der Redaktion offen zur Wehr zu setzen, wahlweise als blöd oder naiv. Da habe wohl einer „die journalistischen Spielregeln“ nicht begriffen.
Obwohl das Publizieren interessanter (auch interner) Vorgänge zur Bürgerpflicht eines Bloggers gehört, wurde hier sonderbarerweise die Verschwiegenheitspflicht von Angestellten zur moralischen Norm erhoben: Seemann, hieß es unterschwellig, könne noch froh sein, wenn er mit einem blauen Auge davon komme. In manchen Netz-Kommentatoren steckt eben doch ein kleiner Blogwart.
Vermutlich hatte der bis zu seinem FAZ-Engagement nichtkommerziell bloggende Seemann einfach ‚vergessen’, dass die Plattform, auf der er schrieb, eine kommerzielle ist. Und weil es (anders als zwischen freien Journalisten und ihren Auftraggebern) nur wenig Austausch zwischen der Redaktion und dem selbstständig Beiträge einstellenden Blogger gab, ist sein Beharren auf Text-Autonomie verständlich. Was man ihm und anderen Medien-Verzierungs-Bloggern allenfalls vorwerfen kann, ist der Kinderglaube, dass die unterschiedlichen Veröffentlichungs-Kulturen so einfach unter einen Hut zu bringen wären. “Es gibt”, so Adorno/Grebe, “kein richtiges Leben im falschen.”
Zwei Tage vor dem kulturellen Clash schrieb Seemann einen bezeichnenden Eintrag in sein Online-Tagebuch: „Ich hasse Türsteher. Ich hasse die Situation so abgrundtief, dass ich innerlich Gewaltphantasien entwickle. Ich hasse es, wenn mir andere Menschen vorschreiben können, so oder so zu sein, dass ich mich anpassen muss und absurden Maßstäben genügen muss… um irgendwo willkommen zu sein… Ich kann mir nicht mehr vorstellen, in einer Firma zu arbeiten, denn sofort verliert man die Deutungshoheit über sein eigenes Tun.“
Dass er, der Anarcho-Blogger, diese Selbst-Erkenntnis nicht beherzigt hat, kann man ihm vorwerfen. Nicht vorwerfen kann man ihm seine Auflehnung gegen die Türsteher.