#Datenaustausch

Ersetzen Sie Internet durch Europa! Dann wird alles gut.

von , 20.1.14

Ist eine Idee kaputt, braucht man eine neue. Fällt das Internet als Heilsbringer aus, guckt man sich eben einen neuen aus. Was liegt an? Europawahl im Mai? Also aufgepasst, der neue Heilsbringer heißt Europa: Europa als Gegenmacht zu Amerika. Und schon füllt sich die nächste große Denkblase mit allerlei Wünsch-Dir-Was: Wenn wir ganz doll zusammenhalten, sagen unsere digitalen Denkblasenvertreter, dann bauen wir jetzt ein starkes Europa mit einer mächtigen Armee, einem eigenen Quanten-Google und einem knorke Geheimdienst. Natürlich alles streng bio und kontrolliert. Wir müssen nur fest daran glauben.

Früher sind Politiker zurückgetreten, wenn sich ihre Vorstellungen als Irrtum erwiesen haben. Aber unsere Internet-Experten müssen das natürlich nicht. Sie machen mit dem nächsten Irrtum einfach weiter.

Denn eine EU als künftige Gegenmacht zu Nordamerika – mit starkem Euro, starker Euro-Armee, starkem Euro-Geheimdienst und starkem Euro-Google würde wahrscheinlich nicht viel anders agieren als das böse Amerika. Die Geschichte der europäischen Mächte, die zusammenaddiert heute Europa ergeben, ist ja bestenfalls in Spurenelementen eine Geschichte des Friedens, der Demokratie und der Transparenz. Bis Europa in hundert Jahren so weit ist, dass es „mit einer Stimme spricht“, wird noch viel Wasser den Rhein hinunterfließen. Vorerst haben wir es mit dem real existierenden Europa zu tun, nicht mit der schönen Idee, die der junge Helmut Kohl im Kopf hatte, als er die Schlagbäume an der deutsch-französischen Grenze niederreißen wollte.

 

Die Realität heißt Swift

Fragen wir also: Was tut das reale Europa für unsere „informationelle Selbstbestimmung“? Ziemlich wenig. Es kollaboriert mit dem „War on Terror“, und das heißt, es liefert unsere Daten bereitwillig jenen Freunden aus, die mit den Daten ihre weltweite Vormacht sichern.

Die USA betreiben Wirtschaftsspionage. Etwa mit Hilfe des Swift-Abkommens. Dieses Abkommen erlaubt den US-Behörden die Einsicht in den europäischen Zahlungsverkehr, also praktisch in jede Einzahlung und in jede Banküberweisung, sobald US-Dienste auch nur zart mit der Parole „War on Terror“ vor unseren europäischen Nasen herumwedeln. Auf diese Weise kann die US-Industrie mit Hilfe ihres Dienstleisters NSA die europäische Konkurrenz kontrollieren, von Airbus bis Galileo.

Aber nicht nur Europas Innenminister spielen dieses Daten-Spiel eifrig mit, auch die große Koalition im Europäischen Parlament stimmte dem Swift-Abkommen zu. Allein Grüne und Linke waren dagegen.

Nach dem Urknall in den transatlantischen Beziehungen (ausgelöst durch Snowdens Enthüllungen) schien das Europäische Parlament endlich aufzuwachen: Mit großer Mehrheit wurde die EU-Kommission aufgefordert, das Swift-Abkommen auszusetzen. Doch die EU-Regierung in Gestalt ihrer schwedischen Innen-Kommissarin Cecilia Malmström ignorierte den Willen des Parlaments und ließ das Abkommen in Kraft. So funktioniert europäische Postdemokratie.

 

Die Realität heißt Fluggast-Abkommen

Es wäre aber illusionär, das Europäische Parlament in diesem Konflikt als Ausbund von demokratischer Gegenmacht zu betrachten. Schon im März 2012 stimmte es dem von der EU-Bürokratie und der US-Regierung ausgehandelten Abkommen über die Verwendung von Fluggastdaten und deren Übermittlung an das United States Department of Homeland Security zu. Dieses Abkommen ist gleichbedeutend mit einer 15-jährigen Vorratsdatenspeicherung für sämtliche Flugpassagiere. Und was macht die EU? Sie plant für innereuropäische Flüge das Gleiche.

Auch das Fluggast-Abkommen dient der Wirtschaftsspionage. Mit Hilfe der so gewonnenen und gefilterten Datensätze (PNR) können US-Dienststellen die Anbahnung und Planung internationaler Wirtschafts-Deals frühzeitig identifizieren, überwachen, beeinflussen und gegebenenfalls verhindern – je nachdem, welche kommerziellen und nationalen US-Interessen tangiert sind. Das betrifft nicht nur lukrative Aufträge für Rüstungskonzerne.

 

Die Realität heißt Safe Harbour

Freigiebig sind wir Europäer auch im Hinblick auf polizeiliche Erkenntnisse. Im April 2011 ist ein Abkommen zwischen Deutschland und den USA in Kraft getreten, das den Datenaustausch zur Verhinderung schwerwiegender Straftaten regelt. Den US-Behörden wird darin der Zugriff auf Millionen von Fingerabdrücken gewährt. Abfragen dürfen sie unter gewissen Umständen auch Informationen zum Sexualleben, zur Gesundheit, zur ethnischen Herkunft, zu politischen Weltanschauungen, religiösen Überzeugungen und der Mitgliedschaft in Gewerkschaften oder anderen Organisationen. Selbst DNA-Datensätze könnten demnächst übermittelt werden. Die Hamburger Grünen konnten das Abkommen aufhalten, bis sie aus der Regierung flogen.

Oder nehmen wir das umstrittene Safe Harbour-Abkommen, das dazu dient, personenbezogene Daten leichter in US-Clouds zu speichern – obwohl die USA nicht garantieren können, dass die Daten dort vor dem Zugriff ihrer Geheimdienste sicher sind. Zu einer Aussetzung des Abkommens konnte sich die EU-Kommission bislang nicht durchringen. Der Grünen-Abgeordnete Albrecht klagte kürzlich, keine einzige nationale Regierung in der EU habe bisher Konsequenzen aus den Snowden-Enthüllungen gezogen. Stattdessen werde weiter toleriert, dass die Lobbyvertreter der US-Konzerne die europäischen Datenschutzbestimmungen torpedieren.

 

Nie wieder Wolkenkuckucksheime!

Das sind die realen Verhältnisse – jenseits europäischer Wunschphantasien. Es ist ja keineswegs so, dass unsere Daten nur von bösen amerikanischen Diensten und Konzernen gegen unseren Willen abgeschöpft werden. Das besorgen unsere Europa-Vertreter schon mit.

Wenn also im bevorstehenden Europawahlkampf so getan wird, als könnten wir das kaputte Internet mal eben schnell durch die glanzvolle Europa-Idee ersetzen, dann sei auf die europäische Realität verwiesen. Von dem Neubau europäischer Wolkenkuckucksheime ist dringend abzuraten.
 

 

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