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Ermordet reicht nicht

von , 10.3.12

Verglichen mit der der britischen Boulevardpresse mag sich BILD auf den ersten Blick wie ein Hort von Zivilität und Seriosität ausnehmen. Wenn die Zeitung nach dem Rücktritt des Bundespräsidenten-Paars Bettina Wulff, die „blonde Powerfrau mit den Model-Maßen“, verabschiedet („Bettina Wulff, DICH werden wir vermissen“), ist das zwar an Absurdität, nein: Zynismus, eigentlich nicht mehr zu überbieten. Von der Tatsache, dass sich Nikolaus Blome & Co. zum Gralshüter von Pressefreiheit und Moral aufschwingen, ganz zu schweigen. Trotzdem kann man der BILD nicht absprechen, bei der Aufklärung der Causa Wulff eine gewisse Rechercheleistung vollbracht zu haben.

So bleiben Themen und Frames der BILD trotz kontinuierlichen Auflagenschwunds für Politik und Medien das Maß aller Dinge. Längst haben sich auch Gewohnheitseffekte eingestellt. BILD wie BILD-Kritik gehören zum politisch-kulturellen Inventar eines großer normativer Debatten über Macht, Methoden und Verantwortung der Medien letztlich überdrüssigen Landes. Diese Haltung ist auch der Tatsache geschuldet, dass sich das Mitleid mit Eliten wie den Wulffs in überschaubaren Grenzen hält. Sie werden es schon verdient haben. Und wenn nicht, können sie sich ja wehren. Grenzüberschreitung, Protest und öffentliche Aufregung sowie die obligatorischen Diekmann-Konter sind zu Ritualen geworden.

Nicht mehr wehren kann sich ein kürzlich ermordeter Düsseldorfer Architekt, über den die BILD heute in der Regionalausgabe Düsseldorf und online berichtet. Es sind solche Texte – nicht die realen oder vermeintlichen Kampagnen, die Anmaßung Kai Diekmanns, die Doppelmoral Georg Gaffrons oder die Schmerzlosigkeit, mit der „Prof. Ernst Elitz“ („Gründungsintendant des Deutschlandradios“) für die BILD Auftragsarbeiten verrichtet – an denen die menschenverachtende Perfidie der BILD, die den Exzessen der britischen Sun im Grunde eben doch in nichts (außer den Methoden) nachsteht, deutlich wird. „Architekt war kurz vorher noch beim Koks-Dealer!“ Unter dieser Überschrift berichtet die BILD über „neue Enthüllungen“ im Fall eines in einem Hausflur in Flingern erschlagenen Mannes. Für all jene Leser, die sich nicht vorstellen können, wie das aussieht, liefert BILD.de ein Foto eines blutverschmierten Hausflurs. Die „Enthüllung“: das Opfer war, „wie BILD erfuhr“, drogenabhängig, hatte vor seinem Tod noch seinen Dealer getroffen.

Der wiederum wurde zwar von der (BILD jeden Kommentar verweigernden) Polizei befragt, hat aber, wie auch die Drogenabhängigkeit des Opfers, nichts mit der Tat zu tun. Die „Bluttat“ stehe „nicht in Verbindung zur Drogen-Szene“, konzediert auch BILD, was sie aber nicht davon abhält, darüber zu berichten. Schließlich hat Thomas H. „nach außen hin ein sehr bürgerliches Leben geführt“. Dieses Bild lässt sich noch rasch zerstören. Warum? Welches Recht hat die Öffentlichkeit, davon zu erfahren? Mit welchen Folgen für die Angehörigen? Egal. Der Mann ist tot, die „Neuigkeiten“ sind unwiderruflich in der Welt, mit etwaigen Protesten der Hinterbliebenen wird man schon fertig.

Apropos: Wie geht es eigentlich „Freundin (33) und Sohn (6)“ des Architekten mit dem Doppelleben und dem Hang zu Rauschmitteln (mit denen sie bei der BILD natürlich nur mittelbar, durch Recherchen im „bürgerlichen Leben“ anderer, in Berührung kommen)? Was spielt sich noch hinter der „bürgerlichen Fassade“ der Angehörigen ab? Höchste Zeit, dass die Witwenschüttler ausrücken.

 

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