#Bürgerrechte

Enzensberger und die Weltrevolution

von , 3.3.14

Jetzt fallen alle über Enzensberger her, der sich die Freiheit genommen hat zu sagen, man solle sein Smartphone wegwerfen. Rückwärtsgewand sei das, war noch die freundlichste Beschreibung für den Text. Das “Wehrt Euch” in der Überschrift wird als Technologiekritik verstanden, Enzensberger fordert eine Rückkehr zur Schreibmaschine und zur guten alten Briefpost.

Ja, das Ding von Enzensberger liest sich im ersten Moment, als sei Karl Kraus kurz mal durchs 21. Jahrhundert gehüpft. Ja, da steht auch provokativer Quatsch drin, der knapp am Trollen vorbeischrammt, aber es ist ja auch nicht das erste Mal, dass er zu diesem Stilmittel greift. Und so ganz Unrecht hat er auch nicht. Dafür muss man seinen empörten “Der will mir mein Handy wegnehmen” Blick vielleicht für einen Moment mal erheben und selbigen über den Tellerrand schweben lassen. Dazu gehört auch die Frage, aus welchem gedanklichen Umfeld so Überlegungen kommen könnten, immerhin ist Enzensberger ja kein weltfremder Vollidiot.

Enzensberger sieht in der Technologie (Smartphone) eine Kontroll- und Repressionsapparatur, die den klassischen Freiheitsbegriff des liberalen Bürgertums untergräbt. Dass nämlich weder ein Unternehmen noch der Staat im Leben der Menschen etwas zu suchen hat bzw. seine Freiheitsrechte gefährden darf.

Beide Seiten haben sich rauszuhalten, der Staat ist dafür da, Übergriffe auf die Freiheit seiner Bürger abzuwehren, in dem er sich auf die Seite der Bürger stellt. Stattdessen, und das beklagt er ja nicht zu Unrecht, geschieht das Gegenteil, der Bürger wird alleine gelassen, soll zustimmen, aushalten und der Erosion der Bürgerrechte still zu sehen. Enzensberger vertritt die Sichtweise aus den 50er und 60er Jahren (Habermas u.a.) gemischt mit ein wenig 68er-Folklore, und alles ist auch aus dem Idealbild des Liberalismus des frühen 20. Jahrhunderts abgeleitet. (Es ist eine Form des egalitären Liberalismus, die er vertritt.) Der Mensch ist grundsätzlich frei und vor allem kann er über seine Wahlstimme kontrollieren, welchen Weg der Staat einschlagen soll.

Enzensberger scheint davon auszugehen, dass die Postdemokratie schon längst gesiegt hat. Dass also wirtschaftliche Interessen und Unternehmen den politischen Entscheidungsprozess dominieren. Die individuelle Freiheit ganzer Teile der Gesellschaft muss hinter diesen Interessen nachstehen. Er geht so weit, dass auch die Kontrolle über die wirtschaftliche Freiheit nicht mehr gewährt ist. Zum einen, weil Unternehmen mittlerweile mehr wollen als nur unser Geld (Daten), zum anderen, weil sich Unternehmen mehr und mehr einer nationalen Kontrolle entziehen (Google, Apple usw.). Durch das Netz, so seine Kritik, schaufelt sich der Liberalismus sein eigenes Grab, weil er den Unternehmen und der Totalüberwachung (kritisiert er ja auch) quasi kampflos den Weg frei räumt.

Er verteufelt gar nicht die Technologie an sich, nur das, was andere damit anstellen bzw. wie diese Technologie dazu genutzt wird, dass er seine Bürgerrechte nach und nach verliert. Er formuliert die Angst vor einer postdemokratischen Technokratie, in denen “seine” Freiheitsrechte nichts mehr gelten, weil sie sich der Überwachung und dem wirtschaftlichen Fortschritt unterordnen müssen. Er wehrt sich gegen die Banken, die ihr Überleben und die Geldvermehrung über das Wohl ganzer Gesellschaften stellen, und die mehr Kontrolle und Macht haben, als es ihm in seinem Verständnis von Bürgerrechten lieb ist. Er beklagt den Verlust von Kontrolle über sein Leben, seine Freiheit und sein Geld. (Parallel beklagt er auch die Doofheit der Menschen, die für “Umsonst”-Angebote sämtliche Freiheiten aufgeben.)

Er weiß wohl, dass derartige Rechte, sind sie einmal verschwunden, sich nicht so leicht wieder herstellen lassen. Der Artikel ist nicht zwingend der eines misanthropischen Technologie-Verächters. Auch wenn er es sich ein wenig einfach macht, wenn er die Schuld nur bei der Technik sieht und nicht bei den Menschen, die sie nutzen.

Und da setzt dann auch Kritik an dem Text an. Er macht es sich ein wenig einfach, wenn er die Schuld bei der Technologie sucht und nicht etwa im Versagen der Politik bzw. des Liberalismus, der Sozialdemokratie (damit meine ich nicht die Partei) und der ethischen Verantwortung der Wirtschaft. Er könnte auf Parteien, Wahlsysteme usw. einprügeln, aber er hat sich die Technologie ausgesucht.

Der Verzicht auf Technologie ändert aber nichts am Status Quo, auch wenn er das gerne hätte. Er glaubt, dass man durch den Verzicht die Angriffe auf Bürgerrechte und die Postdemokratie trocken legen kann (“Pleite gehen lassen”), versäumt aber den Blick etwas weiter zurückzuwerfen. Denn die Geburt der Probleme liegt nicht in den 2000er Jahren, sondern im Zusammenbruch des Kommunismus zu Beginn der 90er. Seitdem hat der Kapitalismus kein Gegengewicht in Form eines anderen Systems, er hat sich gewandelt und der Postdemokratie Tür und Tor geöffnet. Deswegen greifen die “Regeln” von Enzensberger auch zu kurz, sie sind ein trauriger Versuch, die Notbremse zu ziehen, um bestimmte Symptome zu bekämpfen, verbunden mit der Hoffnung, dass das “System” dann schon wieder zur Vernunft kommen würde.

Das Bedauerliche an dem Text ist eigentlich, dass er so hilflos wirkt. Wenn selbst jemand wie Enzensberger nur noch zu symbolischen Mitteln auffordert, wenn ihm nicht mal mehr ein Angriff auf die Staatsphilosophie gelingt, wenn ihm keine andere Lösung einfällt als die Technologie zu verbannen, dann ist das schon eine kleine Bankrotterklärung.

 

Crosspost von Irgendwas ist ja immer

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