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Endlich Nichtraucher! Über Parteireformen und Neujahrsvorsätze

von and , 5.1.15

Der Jahresanfang ist immer eine gute Gelegenheit, sich mit der eigenen Zukunft zu beschäftigen. Vor allem mit den Dingen, die man ändern will. Von kleinen Marotten bis hin zu gefährlichen Angewohnheiten. Da geht es Parteien grundsätzlich nicht anders als Silvester-Bleigießern. Was dem einen seine männlich und seniorig geprägte Mitgliederstruktur, ist dem anderen seine Nikotinsucht: „Ja, natürlich weiß ich, dass ich das ändern muss, aber ich komm einfach nicht los davon.“

Mindestens genauso bekannt wie die Sitte der guten Vorsätze ist deren atemberaubende Erfolgsquote. Sie sind oftmals eher Running Gags als ernst gemeinte Absichten. Aus gesamtgesellschaftlicher Sicht ist das für den brach liegenden Fitnessstudio-Vertrag der leicht ansetzenden Bürofachkraft noch zu verschmerzen; die Ergebnisse der Reformbemühungen der Parteien (nichts anderes sind gute Vorsätze in einer bestimmten Anzahl) haben da schon etwas mehr Tragweite. In beiden Fällen stellt sich aber die Frage: Wo hakt es bei der Umsetzung?

Im Grunde ist das biochemisch recht einfach zu erklären: Das menschliche Gehirn hält an Gewohnheiten fest, da sie weniger Energie verbrauchen. Der Mensch, das vielbesagte „Gewohnheitstier“. Aber natürlich sind wir dem nicht hilflos ausgeliefert: Wenn Leidensdruck (Aktivierung durch negativen Impuls) oder die Motivation (Aktivierung durch positiven Impuls) steigen, sind Veränderungen durchaus möglich. Aber wir sind eben so gestrickt, dass beide externe Anreize möglichst lang ignoriert werden, bevor sie in echtes Handeln münden.

Tatsächlich Schwarmintelligenz?

Bei den Parteien stieg der Leidensdruck in letzter Zeit allerdings spürbar. Hanno Burmester erklärte hier auf Carta bereits, warum das der Fall ist. Sie leiden unter verschiedenen, ihnen nicht gerade zuträglichen Entwicklungen. Mitgliederzahlen, öffentliches Ansehen der Parteien und ihrer Funktionsträger, die Abbildung einer zunehmend heterogenen Gesellschaft: Überall zeigt die Tendenz nach unten und die Aufzählung ist noch nicht mal vollständig. Natürlich gibt es für die einzelnen Probleme unterschiedliche Lösungsansätze. Ein Mehr an Mitgliedern muss beispielsweise nicht automatisch eine „bessere“ Partei bedeuten.

Wie aber auch immer die Lösungsansätze aussehen, sie müssen von der Breite der Organisation, also den einzelnen Mitgliedern mitentschieden und -getragen werden. Das hat bei Weitem nicht nur den offensichtlich legitimatorischen Grund, sondern auch einen ganz eigennützigen: die langfristige Stabilität der Organisation. Denn aus sozialpsychologischer Sicht bestehen Organisationen weitaus länger und nachhaltig erfolgreicher, wenn ihre Regeln kollektiv demokratisch bestimmt werden. Über diese Entscheidungsprozesse forscht z. B. der Psychologe und Ökonom David Rand in Yale. Seine Studien zeigen, dass Menschen solidarischer agieren, wenn sie nicht eigenmächtig, sondern auf Basis von gemeinsam getroffenen Entscheidungen, handeln. Dies kommt im Endeffekt wieder dem Wohlergehen der Gesamtorganisation zugute.

Zur Verdeutlichung ein Beispiel aus dem aktuellen Diskurs zur Parteireform: Es besteht kaum Zweifel darüber, dass Parteien sich stärker um weibliche (Neu-)Mitglieder bemühen müssen. Dafür sind bestimmte eingespielte innerparteiliche Abläufe wohl oder übel an die zeitgemäßen Lebensrealitäten von Frauen anzupassen. Das hat auch – aber nicht nur – mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu tun. Ortsverbandssitzungen, die es sowohl vom Umfang, als auch vom Zeitpunkt unmöglich machen, Familienorganisation und Berufsleben unter einen Hut zu bringen, sind hier absolute „Showstopper“ (im Übrigen auch zunehmend für junge Väter). In diesem Zusammenhang wäre also der erste Schritt in Richtung einer zukunftsfähigen Partei, lieb gewonnene Sitzungsgewohnheiten über Bord zu schmeißen, um neue Zielgruppen zu erschließen. Das Ganze muss dabei aber – und hier wird die Sache dann pikant – von der Mehrheit entschieden und getragen werden. Und bei den Tagungsformalia wird es nicht bleiben. Die neu angezogenen und hoffentlich weiblichen Mitglieder werden sich nicht damit begnügen, Sitzungen zu besuchen und dort lediglich konstruktiv mitzudiskutieren. Sie werden in verantwortungsvolle Ämter und Funktionen aufrücken wollen. Ämter, die bisher unter den Bestandsmitgliedern verteilt worden sind.

Keine kollektive Zukunft ohne persönliche Einbußen

Weiter gedacht bedeutet dies daher, dass die Wahrscheinlichkeit, an attraktive Posten zu kommen, für bestehende (also größtenteils männliche und ältere) Mitglieder, rapide sinkt. Für diese auf den ersten Blick nicht unbedingt ein erstrebenswerter Zustand. Warum dann also überhaupt den ersten Schritt wagen?

Aus einem einfachen Grund: Bestehende Parteimitglieder müssen sich neue innerparteiliche Konkurrenz „heranziehen“, um die Partei als Ganzes zu retten. Denn diese Konkurrenz entfaltet neue Potenziale innerhalb der Partei, die gerade im Wettbewerb mit dem politischen Gegner, der nicht zwingend eine andere Partei sein muss, unverzichtbar sind. Es ist also im übergeordneten Interesse – tendenziell eine Denkweise, die Parteien vertraut sein sollte – hier neue und unbequeme Wege zu gehen. Auch wenn das (zunächst) zu persönlichen Verlusten führt.

Das eigene Handeln muss also anhand der langfristigen Existenzinteressen der Partei ausgerichtet sein und weniger an persönlichen und kurzfristigen Erfolgen. Dass beide Zielsetzungen eben oft nicht deckungsgleich sind und ihre Harmonisierung ein grundlegender Kulturwandel für Parteien sein kann, ist so banal wie bitter.

Nach Rand kann die langfristige Stabilität von Systemen vor allem dann gewährleistet werden, wenn durch einen demokratischen Abstimmungsprozess verbindliche Regeln festgelegt werden. Je klarer die Regeln, desto weniger Angst haben Menschen vor Missbrauch des Systems, desto fairer verhalten sie sich. Laut Rand ist dabei nicht entscheidend, ob man als Individuum anders entschieden hätte – ausschlaggebend ist die kollektive Mehrheitsentscheidung. Überhaupt sorgt schon die Tatsache der Abstimmung anscheinend für eine selbstlosere Haltung der Beteiligten.

Für Parteien bedeutet das, dass grundsätzliche Strukturveränderungen unter Einbeziehung aller Beteiligten entschieden werden sollten, wenn sie auch breit und erfolgreich umgesetzt werden sollen. Was inhaltliche und personelle Fragen angeht, haben viele Parteien hier schon positive Erfahrungen mit Mitgliederentscheiden gesammelt. Dabei wird eine der zentralsten Herausforderungen sein, die unausweichlichen Verlierer dieser Veränderungsprozesse einzubinden und von der Notwendigkeit des Prozesses zu überzeugen – idealerweise sogar als „Treiber des Wandels“.

Ganz gewiss kein einfacher Ansatz, aber die langfristigen Effekte scheinen es wert zu sein. Wie beim Nichtrauchen.


 

Dieser Text ist der dritte Teil der Beitragsreihe „Agenda 2030: Parteien auf der Suche nach Zukunft“, die CARTA in Kooperation mit dem Progressiven Zentrum durchführt. Autoren des Berliner Think Tanks diskutieren regelmäßig Thesen und Ideen zur Veränderung der politischen Parteien in Deutschland. Im zweiten Teil ging es um eine neue Debatten- und Konfliktkultur für Parteien.

Ausgangspunkt ist das Projekt „Legitimation und Selbstwirksamkeit: Zukunftsimpulse für die Parteiendemokratie“, ein Gemeinschaftsprojekt der Heinrich-Böll-Stiftung, der Konrad-Adenauer-Stiftung und des Progressiven Zentrums. Das Projekt sucht interdisziplinär und ideengeleitet nach Ansätzen, wie Parteien auch in Zukunft ein relevantes Organ der politischen Meinungs- und Willensbildung sein können. Die gemeinsamen Diskussionen im Rahmen des Projekts, insbesondere innerhalb der Projektgruppe von acht Visiting Fellows, ist eine wichtige Grundlage des hier veröffentlichten Textes.

 

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