von Wolfgang Michal, 26.7.12
Es war ein Paukenschlag nach dem Geschmack von Julian Assange. Der weltweit bekannteste (aber vom Dienst suspendierte) Ermittler gegen Staatsverbrechen und Korruption soll den weltweit bekanntesten Whistleblower juristisch vertreten.
Während sich die WikiLeaks-„Medienpartner“ nach den Enthüllungen der Afghanistan-Tagebücher, des Collateral Murder-Videos und der US-Botschafts-Depeschen längst wieder anderen Themen zugewandt haben, ist das juristische Tauziehen um Auslieferung und Anklage von WikiLeaks-Gründer Julian Assange keineswegs ausgestanden. Assange, der seine Auslieferung in die USA befürchtet (wo ihn angeblich eine bereits fertige Anklageschrift erwartet), war nach eineinhalb Jahren Hausarrest in der britischen Provinz am 19. Juni in die ecuadorianische Botschaft in London geflüchtet und hatte dort um politisches Asyl gebeten. Um aus seiner verzwickten Lage wieder herauszukommen, braucht er einen guten Anwalt. Den hat er nun in Baltasar Garzón gefunden.
Wer ist dieser Mann und wie wird hierzulande über ihn berichtet?
Bei Heise Online heißt es im „Newsticker“ tendenziös: „Anwalt Garzón soll es für Assange richten“. Die abschätzige Headline erinnert ein wenig an den österreichischen Schmäh-Song „Der Papa wird’s schon richten“. Garzón, der mit allen Wassern gewaschene Anwalt, soll das verzogene Früchtchen Assange wieder frei kriegen. Im Text heißt es maliziös:
„In der Mitteilung von Wikileaks wird Garzón als Richter bezeichnet. Der Jurist wurde jedoch nach einem Gerichtsverfahren 2012 vom Amt suspendiert und mit 11 Jahren Berufsverbot in Spanien belegt, weil unter seiner Verantwortung Telefonate zwischen Gefangenen und ihren Anwälten abgehört worden waren. Mit der Leitung des Anwalt-Teams, das für Wikileaks und für Julian Assange arbeitet, versucht Garzón, auf internationaler Ebene wieder Fuß zu fassen.“
So einer ist das also! Ein ganz schlimmer Finger. Hat elf Jahre Berufsverbot bekommen und will sich nun mit Hilfe des Großmauls Assange wieder in der Vordergrund spielen! Detlef Borchers, Verfasser des Heise-Berichts, kann offenbar beide nicht leiden. Auf Twitter schreibt er süffisant: „Da haben sich zwei Egos gefunden“.
Auch andere Medien vergessen in ihren Meldungen nicht, Garzóns Berufsverbot herauszustreichen, gern auch wegen „zweifelhafter Methoden“. Also sollte man zunächst einmal erklären, was es mit diesem ominösen „Berufsverbot“ auf sich hat, und in welchen Angelegenheiten die „zweifelhaften“ Methoden des ehemaligen Ermittlungsrichters zur Anwendung kamen.
Man nennt ihn “El Tenaz” – der Zähe
Vor seinem spektakulären „Rausschmiss“ war Baltasar Garzón fast 30 Jahre lang Richter, seit 1988 sogar einer von sechs Untersuchungsrichtern an der „Audiencia Nacional“, einem 1977 geschaffenen spanischen Gericht, das sich u.a. um Strafverfahren mit besonderer Tragweite kümmert. Befasst war Garzón dort mit Organisierter Kriminalität, Korruption, Terrorismus und – ja – auch mit Staatsterrorismus. Das heißt, er war das, was Giovanni Falcone in Italien war. Doch der Reihe nach:
Zunächst ließ Garzón einige Drogenhändlerringe in Galicien auffliegen. Daraufhin wurde er 1993 von Spaniens Ministerpräsident Felipe González zum Staatssekretär ernannt. Garzón sollte das nationale Anti-Drogenprogramm umsetzen. Doch bereits im Mai 1994 trat er zurück, weil die Regierung seiner Meinung nach nicht entschlossen genug gegen die Korruption vorging. Garzón kehrte an den Strafgerichtshof zurück und begann dort mit Ermittlungen gegen die so genannten „Antiterroristischen Befreiungsgruppen“. Dabei handelte es sich um staatlich geduldete Todesschwadronen, die in den achtziger Jahren 28 Morde an mutmaßlichen ETA-Mitgliedern oder deren Sympathisanten verübten. 1998 ermittelte Garzón auch gegen die ETA und zwang sie mit zahlreichen Durchsuchungsbeschlüssen und Verhaftungen in die Knie.
Weltweit bekannt wurde Garzón, als er im Oktober 1998 einen internationalen Haftbefehl gegen den ehemaligen chilenischen Staatspräsidenten Augusto Pinochet erließ, dem er Folter und die Ermordung spanischer Staatsangehöriger vorwarf. Die Verfolgung eines solchen „Unantastbaren“ war ein absolutes Novum. Außerdem leitete Garzón ein Strafverfahren gegen hochrangige Vertreter der argentinischen Militärdiktatur ein. Im April 2001 beantragte er die Aufhebung der Immunität Silvio Berlusconis, im Dezember veranlasste er die Untersuchung der Auslandskonten der zweitgrößten Bank Spaniens wegen des Verdachts der Geldwäsche. 2002 ermittelte er wegen Korruptionsverdachts gegen den Ex-Bürgermeister von Marbella, der auch lange Zeit Mehrheitsaktionär von Atlético Madrid war. 2003 nahm er sich die rechtswidrige Inhaftierung mutmaßlicher Al-Qaida-Aktivisten in Guantanamo vor und eröffnete ein Verfahren wegen Folterverbrechen gegen hochrangige US-Politiker. Gleichzeitig ermittelte er gegen Al-Qaida und Osama bin Laden.
Im September 2008 ging Garzón gegen das spanische Allerheiligste vor – gegen ehemalige Funktionäre des Franco-Regimes. Er warf ihnen posthum Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor und verlangte, dass 19 Massengräber aus der Frühzeit des Franco-Regimes geöffnet werden. 2009 begann er zu allem Überfluss auch noch mit einer Untersuchung gegen hochrangige Mitglieder der konservativen Partei Spaniens, der Partido Popular, wegen Korruptionsverdachts. Das heißt, er ermittelte gegen jene Partei, die Spanien seit November 2011 regiert.
Mit allen seinen Ermittlungen hat sich Garzón über die Jahre viele Feinde gemacht – am Ende waren es wohl zu viele. 2009 klagte ihn der Oberste spanische Gerichtshof wegen Rechtsbeugung an. Außerdem verklagten ihn zwei rechtsextreme Organisationen, die „Manos Limpias“ und „Falange Española“.
Am 14. Mai 2010 wurde Garzón als Richter suspendiert. Am 9. Februar 2012 sprach das Oberste Gericht ein elfjähriges Berufsverbot aus. Garzón wird vorgeworfen, das Anzapfen von Telefonen angeordnet zu haben, um so die Gespräche von Inhaftierten mit ihren Anwälten belauschen zu können. Anders hätte Garzón „die über jeden Verdacht erhabenen Bürger“ nicht zu fassen gekriegt. Er hat die Mächtigen herausgefordert. Dass so einer Julian Assange und WikiLeaks verteidigt – man hätte es sich denken können!
Als Garzón 2010 kalt gestellt wurde, schrieb Werner A. Perger in der Zeit:
„Diktatoren und Folterknechte haben Grund zum Feiern: Der international angesehene Richter Baltasar Garzón erhält Berufsverbot. Ein Skandal… Den Drogen- und Menschenhändlern, Folterknechten und Folterjuristen, Diktatoren und Terroristen, nicht zuletzt den korrupten Amtsträgern auf allen Etagen der etablierten Gesellschaft konnte nichts besseres passieren als dies.“
2009 wurde Garzón mit dem Hermann-Kesten-Preis des PEN-Zentrums Deutschland ausgezeichnet, 2011 erhielt er der Kant-Weltbürgerpreis.
P.S. Bei Focus-Online ist die Berichterstattung über Garzón nicht nur tendenziös, dort begreift man nicht einmal den Unterschied zwischen Richter und Anwalt. Die Titelzeile lautet:
„Diktatorenjäger mit Berufsverbot: Skandal-Richter Garzón vertritt Wikileaks-Gründer Assange“
Und im Vorspann heißt es:
„Der spanische Ermittlungsrichter Garzón hat sich durch die Festnahme des chilenischen Ex-Diktator Pinochet international einen Namen gemacht. Nun vertritt er Wikileaks-Gründer Julian Assange – trotz Berufsverbot.“
Allein dieser kurze Vorspann enthält drei Fehler: 1. Ist Garzón nicht mehr Ermittlungsrichter, 2. fehlt der Diktatoren-Genitiv und 3. kann Garzón Assange nicht als Ermittlungsrichter anwaltlich vertreten.