#Postdemokratie

Don’t feed the Trolls

Ernst genommen werden sollte die Bewegung der Trolle als reaktionäres Zerrbild einer Politik, die keine in die Zukunft gerichtete Erzählung anzubieten hat.

von , 20.12.14

Mit dem Begriff Postdemokratie beschrieb der britische Soziologe Colin Crouch eine Art Entleerung politischer Prozesse in kapitalistischen westlichen Demokratien. Politik werde in der Postdemokratie zunehmend zu einer Inszenierung, die von den tatsächlichen Machtströmen ablenken, zugleich aber das Bild einer vollwertigen bürgerlich-liberalen Demokratie erhalten solle. Die eigentlich politischen Vorgänge, also jene, die sich sowohl auf das individuelle wie auf das gesellschaftliche Leben auswirkten und die mehr oder weniger direkt in der Entscheidungsgewalt des demokratischen Souveräns liegen sollten, würden unterdessen hinter verschlossenen Türen verhandelt. Der politische Wettstreit werde zur Inszenierung seiner selbst und politische Inhalte zum Stellvertreter eines breiten Konsenses – an dessen Ende wohl zwangsläufig die vieldiskutierte Alternativlosigkeit steht.

Voraussetzung für diese Konstellation ist eine Entwicklung, die auf der Ebene des politischen Apparats vom Paradigma angeblicher Ideologiefreiheit und pragmatischer Entscheidungen und auf gesellschaftlicher Ebene von einer Auflösung der alten Milieus der Industriemoderne gekennzeichnet ist. Seit vielen Jahren ist die Rede von der Zunahme gesellschaftlicher Fliehkräfte; Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und selbst Sportvereine hätten ihre frühere integrative Kraft verloren, die Gesellschaft drohe in ihre Einzelteile zu zerfallen. In der Wirtschaft seien Arbeitsbiographien geprägt von Kurzzeit-Jobs statt von lebenslanger Anstellung, regionale und nationale Bindungen der Unternehmen seien im globalisierten Markt aufgegangen. Die alten Institutionen verdampften in der globalisierten Macht, die immer bedrohlicher und zugleich immer weniger greifbar erscheine, während die Multioptionalität der »flüssigen Moderne« zu verbreiteter Unsicherheit führe.

Friedenswinter-Verschwörer und Pegida-Rassisten fügen sich erst auf den zweiten Blick, dann jedoch umso besser in dieses Bild ein. Denn die von ihnen vorgetragenen Anliegen sind ihrerseits lediglich Stellvertreter für mehr oder weniger konkrete Ressentiments und Affekte. Wo sich Politiker – mit dem Argument der Alternativlosigkeit – der politischen Arena allzu oft entziehen, greift der »verunsicherte Kleinbürger« auf trotzig-reaktionäre Phantasmen zurück, er wird sozusagen zum Troll der Postdemokratie. Diesen Friedenswinter- und Pegida-Trollen geht es weder um den angeblich drohenden dritten Weltkrieg noch um die imaginierte Gefahr einer Islamisierung noch um den so genannten »Genderwahn«, es geht einzig um die grundsätzliche Ablehnung der gegenwärtigen neoliberalen Ordnung. Freilich wird zuvorderst der liberale Teil dieser Ordnung abgelehnt und der kapitalistische nur insofern, als dass man sich ganz allgemein von »denen da oben« über den Tisch gezogen fühlt. Den zeitgenössischen Polit-Trollen geht es nicht etwa um eine Überwindung kapitalistischer Herrschaftsverhältnisse – sondern im Gegenteil um die Wiederherstellung des imperialen Verhältnisses von Herrschaft und Knechtschaft. Darin fällt – natürlich – der weißen, »jüdisch-christlichen Abendlandkultur« der Trolle eine Art Erbrecht auf Überlegenheit zu, während dem subalternen Rest der Welt nur bleibt, die herabfallenden Brotkrumen dankbar entgegenzunehmen. Es erscheint evident, dass das Motiv der Trolle sich aus dem verletzten autoritären Charakter speist, der angesichts stürmischer globaler Transformationsprozesse um seinen gewohnt gemütlichen Platz in der kommenden Weltgesellschaft fürchtet.

Weil sie über keine anderen Mittel und erst recht nicht über rationale Argumente verfügen, vergiften die Trolle daher die gesellschaftliche Stimmung. Forderungen nach Frieden und Meinungsfreiheit dienen als Camouflage für Antisemitismus und Xenophobie, salonfähig gewordene Unwörter wie »Überfremdung« setzen den Rahmen für völkisches Denken. Die Anrufung der Demokratie ist vielleicht die giftigste ihrer Parolen. Denn die Trolle sind geschichtsvergessen genug, die gegenwärtige Gesellschaftsordnung als gleichgeschaltet und damit als undemokratisch darzustellen – und machen dies ausgerechnet daran fest, dass der gesellschaftliche und mediale Mainstream ihrem reaktionären Blödsinn zumindest derzeit noch nicht folgen mag. Jenseits davon wiegt freilich schwerer die Verweigerung der elementarsten Voraussetzung jeder demokratisch-humanistischen Ordnung: Dass Grund- und Menschenrechte ausnahmslos für alle gelten, ohne Ansehen von Ethnie oder Religion. In diesem Unverständnis, in diesem schlimmstenfalls bewussten Dissens, wird die Unfähigkeit des autoritären Charakters deutlich, anderen Gesinnungen und Kulturen zu begegnen, ohne sich selbst abgewertet zu fühlen.

Argumentativ ist diesen Giftspritzen nicht zu begegnen, dient ihnen doch jedes Gegenargument als neuerlicher Beweis für ihre kruden Theorien von der Manipulation der schweigenden Mehrheit durch eine gleichgeschaltete »Lügenpresse«. Insgeheim ahnen sie wohl, dass der Gehalt ihrer Parolen keiner ernsthaften Diskussion standhielte, daher meiden sie das Gespräch mit den »Systemmedien« und verbreiten ihr Gift lieber ungestört in gespenstisch-schweigenden Märschen und im Umfeld rechtsesoterischer Kleinverlage. Ihre Parolen sollten daher ebenso wenig ernst genommen werden wie ihre vermeintliche Verunsicherung – allein schon darum, weil sie offensichtlich mit einem völligen Verlust an Empathie einhergeht und ausgerechnet Flüchtlinge, die unter Lebensgefahr nach Europa fliehen, als Bedrohung für die satte sächsische Mittelklasse darstellt.

Ernst genommen werden sollte die Bewegung der Trolle hingegen als reaktionäres Zerrbild einer Politik, die keine in die Zukunft gerichtete Erzählung anzubieten hat. Statt Verständnis für die »Sorgen« und die »Verunsicherung« der Friedenswinter-Verschwörer und Pegida-Rassisten zu inszenieren, sollten die politischen Akteure der weiteren Aushöhlung demokratischer Prozesse aller vorhandenen Widrigkeiten zum Trotz entgegentreten und sich den zentralen Herausforderungen unserer Zeit offensiv stellen. Sie sollten sich deutlich zur unaufhaltsamen Globalisierung nicht nur in wirtschaftlicher sondern auch in kultureller Hinsicht bekennen und deutlich machen, dass für ein Zurück zum nationalstaatlichen Bezugsrahmen ein hoher Preis zu zahlen wäre. Tun sie das nicht, so scheint es, droht in Zukunft eine dauerhaft von Trollen vergiftete politische Arena. In den zahlreichen europäischen Nachbarländern mit starken rechtspopulistischen Parteien lässt sich bereits seit Jahren beobachten, wie die gesamte politische Kultur dadurch mit nach unten gezogen wird.

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