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Digitale Kulturindustrie: Marek Lieberbergs planloser Kreuzzug gegen das Internet

von , 29.3.09


Es gehört zu den miesen Tricks der Politik, Ursache-Wirkungs-Prinzipien weiträumig zu generalisieren, um leicht vermittelbare Feindbilder zu schaffen. So müssen derzeit einige tausend Boni-Bänker herhalten, um den gesamten Manager-Berufsstand für gierig, minderbegabt und ohnehin schuld an der Krise zu erklären.

Wenn solche Muster als Kern aller populistischen Politik gelten können, dann ist Marek Lieberberg (Foto) ein populistischer Kulturpolitiker. Er hat für die Wochenend-Beilage der Süddeutschen Zeitung einen Text mit dem Titel “Das wollt ihr nicht wirklich” geschrieben, der vor Generalisierungen und unterkomplexen Feindbildern nur so strotzt.

Lieberbergs Kernthese: Das Internet enteigne die gesamte Kulturindustrie. Es zersetze das einst so blühende “Eco-System von Autoren, Journalisten, Musikern und Schauspielern, Dichtern und Denkern”. Schuld sei der “zügellose Raubbau” durch den “willkürlichen, ungehinderten und kostenlosen Zugriff auf alle geistigen Inhalte”. Es drohe die Machtergreifung der narzistischen “Web-Zombies”.

Unverkennbar: Der “Künstlervater” (SZ über Lieberberg) rührt in seiner Exegese die Urheberrechtsprobleme der Musikindustrie, die Refinanzierungskrise des Journalismus, die Debatte um Open Access und Google Book Search (mehr hier und hier) reichlich oberflächlich zusammen, um unter dem Banner “Enteignung” eine kulturpolitische Allianz gegen das Internet zu bilden.

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Lieberberg in der Süddeutschen Zeitung: "frech, wie man Zeitungen über den Tisch ziehen kann."

Dabei haben gerade etwa Musikindustrie und Zeitungsverlage völlig unterschiedliche Probleme mit dem Internet. Lieberberg macht daraus dennoch eins.

Die Musikindustrie hat tatsächlich ein riesiges Urheberrechtsproblem, mit dem sie von der Politik bislang erstaunlich allein gelassen wurde. Zugleich aber zeigte sich die Branche bislang extrem unflexibel darin, ihr technologisch veraltetes Geschäftsmodell im neuen Medienumfeld neu zu erfinden, wie Tim Renner sehr pointiert ausgeführt hat.

Auch Lieberberg sah das vor vier Jahren in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung noch ähnlich: “Die Musikindustrie geht heute nicht nur an mangelnder Kreativität zugrunde, sondern vor allem an ihren autoritären Strukturen und ihrem planwirtschaftlichen Kontrollwahn“.

Inzwischen hat Lieberberg es sich augenscheinlich anders überlegt und macht im Vorfeld eines Hearings des Bundeswirtschaftsministeriums zur Musikwirtschaft Anfang Mai, auf dem er selbst sprechen wird, Entrechtung und Enteignung zum Kernproblem der Musik- und kurzerhand der gesamten Kreativwirtschaft. Einer Branche, der es zuletzt auch an unternehmerischer Fantasie mangelte, soll folglich nun die Regierung verstärkt helfen.

Dabei ist sich Lieberberg nicht zu schade, mit weiträumiger Geste auch die Verlage zu Opferlämmern des Internets zu erklären. Dabei vermengt er problemlos werbefinanzierte Nachrichtensites mit file sharing, frei zugängliche Inhalte mit Urheberrechtsverletzungen. Die Zeitungsverlage würden, so Lieberberg mit ihren “Gratis-Internetangeboten Selbstmord begehen”. Sie sollten stattdessen endlich einen Obulus für jeden redaktionellen Beitrag verlangen.

Doch wie Lieberberg selbst schreibt, hat sich die Zeitungsindustrie selbst für diesen Ansatz entschieden. Sie hat im Kern kein Urheberrechtsproblem, sondern ein Problem mit der verstärkten Wettbewerbsdynamik des Internets (mehr hier).

Doch Lieberberg ereifert sich weiter und ist sich nicht zu schade, in seiner verkleisterten Argumentation nun auch noch den Perlentaucher frontal anzugreifen:

Die Website perlentaucher wirft die gesamte feuilletonistische Print-Tagesausbeute auf den Markt, natürlich kostenlos; und nicht nur, dass der Staat hier nicht eingreift, er förderte die Übersetzung dieser “Auswertungen” ins Englische auch noch jahrelang durch die bundeseigene Kulturstiftung: frech, wie man Zeitungen, die eigentlich Anspruch auf Urheberrechte haben, über den Tisch ziehen kann.

Lieberberg hat leicht erkennbar weder die Funktion des Perlentauchers noch die des Rechtsstaats verstanden: Denn niemand behauptet, dass der Perlentaucher mit seiner Feuilleton-Rundschau Urheberrechte verletzen würde, nicht einmal die betroffenen Zeitungen selbst. Und wenn dies so wäre, dann wäre dies eine Aufgabe der Gerichte nicht des Staates. Spätestens an dieser Stelle fragt man sich, ob nicht eine gründlichere Prüfung des Textes durch die Redaktion der Süddeutschen Zeitung wünschenswert gewesen wäre.

Um gleich noch alle im Netz zu beleidigen, die nicht eindeutig zur klassischen Kulturindustrie gehören, bezeichnet Lieberberg anschließend Blogger als “Heerscharen von Narzissen” (er meint natürlich Narzissten) und “Web-Zombies”, die “mit Intoleranz, Borniertheit und Vorurteilen eine Hausmeistershow mit ganz schneller Meinung” verbreiten.

Die Vorteile des Internets? Lieberberg kennt offenbar keine. Der Musik-Multimillionär hat im Netz augenscheinlich die Orientierung verloren. Und macht jetzt alle außer sich selbst für seine Orientierungslosigkeit verantwortlich.

Nicht die Politik macht sich gerade schuldig, wie Lieberberg in seinem Furor meint, sondern er sich selbst: Indem er strukturkonservative Blindheit und plumpe Netz-Ressentiments zur Norm erhebt.

Disclosure: Robin Meyer-Lucht hat über Jahre für den Perlentaucher geschrieben.

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