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Die Zukunft der Telekommunikationsregulierung: Weniger Pluralismus, mehr Gleichschaltung?

von , 23.11.08

Am kommenden Donnerstag (27.11.2008) treffen sich die EU-Minister für Telekommunikation, um über das von der EU-Kommission vorgeschlagene Paket zur Reform der Regulierung von Telekommunikationsmärkten zu beratschlagen. Das Treffen wird das einzige im Rahmen der französischen Ratspräsidentschaft sein. Ob es überhaupt viel zu beratschlagen gibt, ist allerdings nicht ganz klar. Die zuständige Kommissarin, Viviane Reding, hat in der letzten Woche „gedroht“, das von ihr ausgearbeitete Reformpaket zurückzuziehen.

Das Bestreben der Kommission besteht vor allem darin, die Regulierung der Telekommunikationsmärkte noch weiter zu zentralisieren und die noch bestehenden Unterschiede in der Regulierung zu beseitigen. Dass die teilweise bestehenden Unterschiede gute Gründe haben, wird von der Kommission beiseite gewischt. So können in den Niederlanden heute bereits 96% aller Haushalte Kabelfernsehen beziehen, in Griechenland hingegen nur 3%. Auch die Mobilfunkpenetration unterscheidet sich dramatisch, nicht nur zwischen Westeuropa einerseits und Mittel- und Osteuropa andererseits, sondern auch innerhalb Westeuropas. Man muss kein brillanter Ökonom sein, um zu verstehen, dass auch die Regulierungserfordernisse bei solchen Differenzen unterschiedlich sind: „Horses for Courses“ wie die Briten sagen.

Ein wenigstens minimaler Pluralismus in der Regulierung ist gerade im Telekom­munikationssektor wünschenswert. Erstens ist gerade in so einem dynamischen Sektor unklar, welche Art der Regulierung für wie lange effizient ist. Was heute noch ein natürliches Monopol ist, kann morgen schon im Wettbewerb stehen, weil sich Technologien und Verbraucherverhalten ändern. Und umgekehrt sind gestern noch völlig uninteressante Infrastrukturen (wie der Zugang zu den Leerrohren der Deutschen Telekom), heute möglicherweise ein Regulierungsproblem. Aufgrund der ziemlich unterschiedlichen Infrastrukturen und der Unterschiede im Nutzerverhalten sind aber auch unterschiedliche Regulierungen angebracht.

Zweitens sprechen die Unterschiede der nationalen Märkte auch deshalb für ein gewisses Maß an Wettbewerb der Regulierungsmodelle, weil nur so Erfolge anderer kopiert und Fehler anderer vermieden werden können. Darauf hat auch die European Regulators Group (ERG) hingewiesen, und Ed Richards, CEO von OFCOM, hat dies explizit so ausgedrückt: „I am certainly not ashamed to admit that we study closely our fellow regulators’ work and are quite happy to borrow from them ideas which will translate effectively into the UK market.”

Eine Harmonisierung nach der Rasenmähermethode ist daher absolut schädlich. Frau Reding geht auf solche Argumente jedoch in keinster Weise ein. Dass es in der Generaldirektion Informationsgesellschaft im Gegensatz zur Generaldirektion Wettbewerb keinen Chef-Ökonomen gibt, macht sich in der Formulierung der Politik nur allzu bemerkbar. Eine ungebremste Regulierungswut und der Glaube an die Machbarkeit des Mikro-Managements von Märkten kennzeichnen große Teile der Regulierungsphilosophie von Frau Reding. Gerade in dynamischen Märkten ist das besonders absurd.

Beklemmend ist auch, dass sich die Politik der EU auf Expertisen stützt, die jedoch diesen Namen kaum verdienen. So werden nahezu gebetsmühlenhaft die vorgeblichen Ergebnisse einer Studie zitiert, welche London Economics 2006 in Zusammenarbeit mit PricewaterhouseCoopers im Auftrag der EU-Kommission erstellt hat. Der Studie gelingt es zwar keinen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen einer strengeren Regulierung und Investitionen herzustellen und erfüllt zudem keine wissenschaftlichen Qualitätsstandards (siehe auch die beißende Kritik vom Kollegen Gerpott, Universität Duisburg-Essen, an dieser Studie). Die Kommission selbst ignoriert diese Kritik jedoch hartnäckig und tut – ganz im Gegenteil – sogar so, als ob der gewünschte Befund dabei herausgekommen wäre – nämlich, dass eine strengere Regulierung zu mehr Investitionen führen würde. Dies ist einfach der Versuch der Volksverdummung.

Der ehemalige Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein hat im letzten Jahr in dem gemeinsam mit Lüder Gerken verfassten Gastkommentar für das Handelsblatt in der Politik der EU-Kommission selbst eine Gefährdung des Binnenmarktes ausgemacht. Harmonisierung sei inzwischen zu einem Selbstzweck geworden, der Binnenmarkt entwickle sich zu einer „Hochregulierungszone“. Die Kommission dränge weniger auf einen Abbau von Überregulierung als auf eine möglichst weit gehende Harmonisierung „auf hohem Niveau“. Bolkestein und Gerken sprechen gar von einem Paradigmenwechsel in der Philosophie der Kommission weg vom wettbewerblichen Abbau nationaler Überregulierung hin zu deren Vereinheitlichung. Nationale Traditionen würden dabei über einen Kamm geschoren. Der Binnenmarkt werde auch darüber hinaus zunehmend für sachfremde Ziele miss­braucht. Dabei werde die in Artikel 95 EG-Vertrag angelegte Harmonisierungs­kompetenz immer häufiger benutzt, „um EU-Regulierungen zu schaffen, für die die EU keine Kompetenz besitzt.“ Vorgeschoben werde, „man wolle den Binnenmarkt sichern helfen, obwohl der Binnenmarkt nur marginal oder gar nicht berührt ist.“ Bolkestein und Gerken sprechen gar von einer „Pervertierung des Binnenmarktauftrages“.

Bolkestein und Gerken befinden, dass das eigentlich Tragische sei, „dass sich die europäische Politik auf wirtschaftspoli­tischem Gebiet Regulierungen, die beileibe nicht EU-weit geregelt gehören, als Ersatz­befriedigung verschreibt“, während „nationale Egoismen eine europäische Politik in den Bereichen verhindern, wo sie wirklich notwendig wäre.“

Vor diesem Hintergrund ist es beruhigend, dass das Europäische Parlament der Harmonierungs- und Zentralisierungswut von Frau Reding bereits einen Riegel vorgeschoben hat (siehe auch hier). Es ist auch erleichternd, dass der Ministerrat die Reformpakete nochmals überarbeiten wird. Sollte Frau Reding tatsächlich das Reformpaket zurückziehen, wäre auch nicht allzu viel verloren. Zentrale Themen wie z.B. die Aufteilung der Digitalen Dividende werden ohnehin nicht behandelt. Vielleicht siegt am Ende doch noch die Vernunft – das wäre ja mal was.

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