#"politische Rede"

Die Zeitalter der politischen Rhetorik

von , 11.1.13

Mir scheint der Autor einem Missverständnis zu erliegen, was die politische Rhetorik denn nun wirklich sei. Aus der Ferne tönt das Echo des antiken Streits über die Überredungskunst. Knobloch beginnt mit einem ehrwürdig deplatzierten Beispiel: dem Redner Winston Churchill.
 

Erst im Sommer 1940 (…) begann seine bombastische Prosa zu greifen.

 

Dem folgt Knoblochs These, dass brillante Rhetorik (was immer das sein mag) in modernen Wohlfahrtsstaaten eine geringere Rolle spiele. Wir scheinen heute nicht unentwegt unter dem Beschuss von V2-Raketen zu stehen, spitze ich seine These etwas zu. Die Zerstörungskraft, der wir uns heute gegenübersehen, verschont (noch) Mensch und Material, zerbröselt die Gesellschaft selbst.

Der Autor setzt wie aus einem Affekt der Abscheu “Rhetorik” mit Schwulst gleich. Ihm scheinen das Pathos der Nüchternheit (die Hansegotik Helmut Schmidts und Hans Koschnicks) und der sauerländische Extradryton Franz Münteferings nicht geläufig zu sein.

Das Muster, das er einem Spindoc Tony Blairs verdankt, dass im Zeitalter des unentwegten Nachrichtendurchsatzes alles auf eine Pointe, eine Punchline zulaufen müsse, ist älter, als Knobloch annimmt. Nehmen wir den römischen Senator Cato mit seinem ceterum censeo, dass Karthago zerstört gehört. Damit beendete er, wie Plutarch über 200 Jahre später mitteilt, angeblich jede Rede im römischen Senat. Franz Müntefering hat mit seiner Heuschreckenrede das römische Muster adaptiert. Ehe die Medien auf sein Heuschreckenbild ansprangen, hatte er die Rede schon mehrfach gehalten. Dabei ging es ihm vermutlich nicht so sehr um den steten Tropfen, sondern um das Kärrnerwissen, wie lange es dauert, bis unerfreuliche Tatsachen im öffentlichen Bewusstsein ankommen.

Kurt Biedenkopf und Meinhard Miegel könnten Ähnliches erzählen, wie lange es dauerte, bis ihr Dauerthema des demographischen Wandels auf der politischen Agenda landete. Jahrzehnte.

Knobloch zitiert erneut Blairs Redenschreiber Collins, der meint, dass bewegte Zeiten den Stoff mitreißender Reden in sich tragen. Ich muss mich hier kurz unterbrechen und auf den Redner Tony Blair eingehen. Ich weiß nicht, wie es dazu kommt, aber weil ich beide leibhaftig reden hörte, fiel mir auf, dass Blair, ähnlich wie Rainer Barzel, ein Ölredner ist, der alle hundert Worte Ölwechsel bräuchte. Das grauenhafteste Beispiel war Blairs Rede vor dem Europäischen Parlament. Man wusste schon, dass man diesem Mann nichts mehr glauben konnte. Er hätte die Rede besser nur zu Protokoll gegeben und wäre in 10 Downing Street geblieben.

Collins, den Spinner Blairs, als Gewährsmann zu zitieren, hilft dem Verständnis der politischen Rhetorik nicht weiter. Jede Zeit verfügt über alle nur denkbaren rhetorischen Register, vom Spinner über den Süßholzraspler bis zum Frakturredner. Knobloch hat natürlich Recht, dass in einer von Algorithmen gemanageten Welt irgendeine Starckdoitschrede wie von vorgestern klingen muss. Er verkennt allerdings, dass es danach eine ungesättigte Sehnsucht gibt, und zwar ganz besonders im provinziellen Herzen der großen Regierungspartei CDU. Jan Knobloch sollte sich mal eine Regionalkonferenz mit der Kanzlerin in Alsfeld antun. Wenn da ein hessischer Eurokritiker loslegt (der Mann sitzt im Bundestag) hat er – vorübergehend – die johlende Mehrheit auf seiner Seite. Dann filetiert ihn Frau Merkel von der Platte. Nüchtern, technokratisch, mütterlich. Ihr reicht so ein Kritiker nicht mal als Aperitif. Ein Gruß aus der Küche. Amuse gueule.

Politische Reden entstehen immer aus einer konstruktivistischen Logik, laufen auf Zielsätze zu, nutzen Kontexte und Konjunkturen, manchmal um die historische Sekunde gestrickt, die ihnen später zugeschrieben wird.

Ich erinnere mich bei der Gelegenheit an den Roman The Seersucker Whipsaw von Ross Thomas. Ein amerikanischer Wahlhelfer, ein routinierter Agenturjournalist, soll nach der Dekolonisierung eines westafrikanischen Landes einem Präsidentschaftskandidaten zum Sieg verhelfen. Der Roman ist vertrackt, steckt voller witziger Einfälle, beschreibt im Grunde, in den frühen 60er Jahren, den ersten Internetwahlkampf der Welt. Dieser Journalist hat noch keine Zeile DER WAHLREDE seines Kandidaten geschrieben. Er spannt den Bogen in seine Erika und schreibt als erstes die UPI-Meldung über die Rede und ihre Wirkung auf die Massen.

Zurück in die Gegenwart. Auch die Angst vor der Öffentlichkeit, die angeblich dazu führe, dass heute sich keiner mehr traue zu provozieren, ist nicht neu. Die Krisenrhetorik europäischer Führungsfiguren sei von Vorsicht und Zurückhaltung geprägt, müsse Rücksicht nehmen auf Finanzmärkte und innenpolitische Befindlichkeiten. Wie erklärt Knobloch dann das Zustandekommen solcher Worthülsen wie dem Stabilitätsanker oder der Wachstumslokomotive? Die nüchternsten Redner unserer Zeit kokeln mit der politischen Sprache, tun das im Verborgnen, entfachen einen kaum merklichen Schwelbrand. Sie führen in die Irre im härenen Gewand ihrer Nüchternheit.

Auf der Rechnung dieser politischen Rhetorik steht nicht der Preis, den diese Redner für das Ziel des kurzfristigen Zeitgewinns zahlen. Mit technokratisch wirkender Beschwichtigungsprosa hinters Licht geführt zu werden, kann nichts an dem Zorn darüber ändern, betrogen worden zu sein.

Dann poppen andere rhetorische Register an die Oberfläche. Unerfreuliche.

 
Crosspost von Hans-Huett.de. Der FAZ-Artikel ist (noch) nicht online.

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.