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Die Wiedererweckung der gelben Gefahr

Je mehr Energie wir darauf verwenden die Welt politisch und kulturell zu spalten, desto weniger kann es uns gelingen, die größte Herausforderung des Planeten, nämlich die Klimakatstrophe, gemeinsam anzugehen.

von , 29.4.21

Wie der Westen ein koloniales Projekt zum Schaden der ganzen Welt auffrischt.

Letzte Woche hat der US-Senat mit dem Strategic Competition Act eine groß angelegte politische Kampagne gegen China auf den Weg gebracht. »With this overwhelming bipartisan vote, the Strategic Competition Act becomes the first of what we hope will be a cascade of legislative activity for our nation to finally meet the China challenge across every dimension of power, political, diplomatic, economic, innovation, military and even cultural«, erläuterte der demokratische Senator Bob Menendez. Die Antwort aus China ließ nicht lange auf sich warten. Der Sprecher des Außenministeriums in Beijing, Wang Wenbin, teilte mit, all das erinnere ihn an »Cold War and zero sum mentalities«. 

Einen Vorgeschmack davon, was an publizistischen Wirkungen im Gefolge der Kampagne zu erwarten ist, zeigte sich kürzlich in der BBC. Die Moderatorin unternahm den Versuch, in einer Debatte über den Klimawandel China als Hort allen Übels darzustellen. Mit dem entschiedenen Widerspruch des Ökonomen Jeffrey Sachs hatte sie offenbar nicht gerechnet. Er äusserte starke Zweifel, ob die USA die Berechtigung haben, andere Länder moralischzu belehren. Als Staat mit der größten Anzahl an Gefängnisinsassen, darunter ein gewaltiger Anteil an PoC, mit einer für rassistische Morde bekannten Polizei und einer verheerenden jüngeren Geschichte völkerrechtswidriger Kriege mit Hunderttausenden von Opfern und Flüchtlingen könnten sie sich kaum anmaßen, hehre westliche Werte ins Feld zu führen. Das betrifft Europa nicht weniger. Sowohl das brutale Vorgehen gegen Flüchtlinge als auch die ruinösen Handelsbedingungen, die Migrationsströme aus Afrika erst hervorrufen geben keinen Anlass zu moralischer Überheblichkeit. 

Vermutlich wird das an der Durchschlagskraft der US-Initiative nichts ändern. Mit der fortlaufenden Dämonisierung Chinas wird in den nächsten Jahren fest zu rechnen sein. Nicht dass die Regierung in Beijing China keine Kritik verdient hätte. Die Repression gegen die Uiguren, das antidemokratische Vorgehen in Hongkong und die überzogenen territorialen Ansprüche geben zu Sorgen allen Anlass. 

Gerade der Westen muss sich aber noch einen andere Vorwurf gefallen lassen. Die Verteufelung Chinas hat eine lange und düstere Tradition, gerade in Deutschland. Die berüchtigte Hunnenrede von Kaiser Wilhelm II. markiert einen der frühen Tiefpunkte deutschen Aussenpolitik. Das brutale Vorgehen der westlichen Truppen bei der Niederschlagung des Boxer-Aufstands ist den Chinesen weit besser im Gedächtnis geblieben als hierzulande. Es wäre dringend zu empfehlen, sich auch in Deutschland gelegentlich an die wilhelminischen Verbrechen und Massaker zu erinnern. Im Licht der Kolonialgeschichte wirkt die Forderung nach mehr »Härte« gegenüber China, wie sie jüngst von der grünen Kanzlerkandidatin Baerbock kam, mehr als bedenklich. Und wenn ihr Parteifreund Ralph Fücks im Deutschlandfunk Kultur(!) dröhnen darf »Mit der Vorstellung ‘Zivilisierung durch Zusammenarbeit’ ist es vorbei«, dann sollten wir uns mit Schaudern daran erinnern, dass es schon immer der sehnlichste Wunsch aller Kolonialherren war, die armen Heidenkinder zu zivilisieren

Das Problem der zu erwartenden Anti-China-Kampagne erschöpft sich nicht darin, dass sie geschichtsvergessen an koloniale Hetzkampagnen gegen die gelbe Gefahr anknüpft. Genau so schlimm sind die zu erwartenden Auswirkungen. Der chinesische Staat hat sich auf die Gegnerschaft des Westens längst eingestellt und wird nicht plötzlich klein beigeben. Im Gegenteil. Die Kampagne des Westens drängt China in eine Defensive, die intern eher zu verstärkter Repression führen wird. Die Lage der Uiguren oder Hongkongs wird sich dadurch nicht verbessern, sondern verschlechtern. Und es wird dafür sorgen, dass sich China mit anderen vom Westen angegriffenen Staaten enger zusammenschließt, etwa Russland und dem Iran. Dass eine derartige Konfrontation nicht einmal im Interesse Amerikas, geschweige denn Europas liegen kann, stellte kürzlich sogar der alte Geostratege Henry Kissinger fest: »We must be prepared to oppose Chinese hegemony. But we, at the same time, should remain open to a policy of coexistence.«

Leider gibt es in den USA unter beiden Parteien starke Kräfte, die glauben, die Hegemonie des Westens auf dem Weg der Konfrontation verteidigen zu müssen. Die negativen Folgen einer derartig feindschaftlichen Politik werden vor allem Europa treffen – und hier in erster Linie Deutschland, dessen Industrie auf dem größten Wachstumsmarkt der Welt sehr erfolgreich Fuß gefasst hat. Nun hat der deutschstämmige Investor und Trump-Anhänger Peter Thiel kürzlich behauptet, Deutschland müsste sich schon bald zwischen der USA und China entscheiden: »Irgendwann wird sich Deutschland bei seiner Exportstrategie entscheiden müssen. China oder Amerika?« 

Genau diese Entscheidung wollen die neuen kalten Krieger aus dem Trump-Lager, aber leider auch in der demokratischen Regierung Bidens erzwingen. Sich darauf einzulassen wäre grundfalsch. Nicht nur weil die wirtschaftlichen Schäden, besonders für Deutschland, gewaltig wären, ohne auch nur ein einziges der humanitären Probleme zu lösen. Es wird höchste Zeit, dass der Westen seinen tief in der Kolonialgeschichte verankerten Überlegenheitsanspruch gegenüber dem Rest der Welt überwindet. Gerade jetzt bietet sich Europa die Chance, eigenständig und souverän zu handeln und dadurch im günstigsten Fall die USA von ihrem konfrontativen Irrweg abzubringen.  

Die wichtigste Aufgabe liegt ohnehin anderswo. Je mehr Energie wir darauf verwenden die Welt politisch und kulturell zu spalten, desto weniger kann es uns gelingen, die größte Herausforderung des Planeten, nämlich die Klimakatastrophe, gemeinsam anzugehen. 

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