von Tobias Schwarz, 1.8.13
Die SPD will über Machtpolitik reden und merkt, dass davor erst einmal sehr viel in der eigenen Partei getan werden muss. Vor der Kür globaler Netzpolitik kommt die Pflicht, die eigene Position beim Thema Vorratsdatenspeicherung zu überarbeiten. Daran erinnerte am Mittwochabend Gesche Joost, netzpolitische Beraterin von Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, die Neuköllner Basis.
Es war ein Abend, wie er der SPD schon lange nicht mehr zugetraut wurde. Mehr als 50 Gäste, jung und alt, männlich wie weiblich, sind in das Neuköllner Startup-Haus Agora gekommen, um über den NSA-Überwachungsskandal und sozialdemokratische Netzpolitik zu reden. Letzteres Thema fiel dann der fortgeschrittenen Zeit zum Opfer, denn anders als für den ehemaligen SPD-Bundesinnenminister Otto Schily ist das Thema digitale Totalüberwachung durch den US-amerikanischen Geheimdienst NSA von großem Interesse für die Basis.
Der Streit um die Vorratsdatenspeicherung tobt in der SPD
Gesche Joost bezeugte dem ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden Respekt für die sein Leben verändernde Entscheidung, den Abhörskandal publik zu machen, und forderte bereits im Eingangsstatement, dass Deutschland nach internationalen Verbündeten suchen müsse, um mit lauter Stimme zu sprechen und das Ende der globalen Überwachung durch die US-Geheimdienste zu verhandeln. Doch diese Forderung der bereits seit 2006 zum persönlichen Beraterkreis von Peer Steinbrück gehörenden Joost kam einigen Gästen dann etwas zu schnell. Der Berliner Netzpolitiker Yannick Haan fasste zusammen: Eine SPD, die in Deutschland die Vorratsdatenspeicherung fordert, kann nicht glaubwürdig gegen PRISM, Tempora & Co. sein.
Die Berliner Professorin strahlt Kompetenz und Erfahrung aus, wie man sie bei dem Thema in der SPD lange nicht mehr gesehen hat, aber der Frust über den Streit um die Vorratsdatenspeicherung sitzt bei den NetzpolitikerInnen tief, die das Thema seit Jahren parteiintern bearbeiten. Sie haben Gesche Joost durch Steinbrücks Berufung zwar als neues Gesicht der sozialdemokratischen Netzpolitik schnell akzeptiert, wollen aber die seit Wochen andauernde Diskussion um Bürgerrechte nutzen, um sich endlich in der Partei gegen die Innen- und SicherheitspolitikerInnen durchzusetzen. Plötzlich wirkte Joost, als ob sie zwischen den Stühlen sitze. Ein Eindruck, der sich am Abend öfter wiederholte.
Schon beim Leistungsschutzrecht für Presseverlage zeigte sich, dass Gruppen in der SPD auch gegen den von Peer Steinbrück vorgegebenen Kurs entscheiden. Das Thema Vorratsdatenspeicherung hat ähnliches Potenzial, die Partei zu spalten. Yannick Haan, netzpolitischer Sprecher der Berliner SPD, machte deutlich, sein erstes Ziel sei, die Vorratsdatenspeicherung zu kippen.
Ein mutiges Vorhaben, denn erst im vergangenen Jahr ist der von Yasmina Banaszczuk und Dennis Morhardt versuchte Mitgliederentscheid am Desinteresse der Parteibasis gescheitert. Doch das scheint nach Snowdens Enthüllungen anders zu sein, denn gestern Abend diskutierten die Neuköllner Sozialdemokraten sehr emotional zu dem Thema.
Gesche Joost agierte bei dem Thema wie eine professionelle Politikerin. Nach einem Regierungswechsel würde sie sich sofort in Brüssel für die Aufhebung der EU-Rechtlinie zur Vorratsdatenspeicherung einsetzen, doch solange müsse aufgrund der Strafgebühren ihrer Meinung nach das geltende Recht auch umgesetzt werden. Für Joost besteht auch ein erheblicher Unterschied zwischen der Speicherung von Daten und Programmen wie PRISM und Tempora. Eine Aussage, die bei der Basis nicht sehr gut ankam und für Entrüstung beim Journalisten Tilo Jung sorgte, der ebenfalls Gast auf dem Podium war.
Die Basis rebelliert – trotz Wahlkampfs
Jung empfand den Vorschlag des Verhandelns unzureichend: Er fordert, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden – in den USA, aber auch in Deutschland. Denn vor Bundeskanzlerin Merkel müssen auch PolitikerInnen von SPD und Grünen von den Spähprogrammen gewusst haben, sie nach dem 11. September 2001 in Deutschland erst ermöglicht haben. Das Schweigen der beiden ehemaligen Außenminister Joschka Fischer und Frank-Walter Steinmeier entkräftet diesen Verdacht nicht gerade. Für Tilo Jung sind deshalb alle heute im Bundestag vertretenen Parteien, bis auf die Linke, mit schuld an der Überwachung deutscher BürgerInnen.
Dem Moderator merkte man den Wahlkampfmodus an, doch Jung und das Publikum wollten hart und ehrlich über das Problem reden. Nach Jungs Meinung müssten sich die BürgerInnen aggressiv – nach dem Vorbild der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) – mit dem Thema auseinandersetzen. Und dies bedeute für ihn auch eine kritische Auseinandersetzung mit SPD-PolitikerInnen wie Thomas Oppermann, der jetzt zwar die Bundesregierung stark kritisiert, aber bisher immer als Befürworter der Vorratsdatenspeicherung auftrat.
Die von Joost kritisierte Inkompetenz und Unwissenheit der Unionspolitiker möge erschreckend sein, doch Jung zweifelte an, dass SPD-PolitikerInnen in Regierungsverantwortung glaubwürdiger auftreten. Er plädierte deshalb für eine strikte Beendigung der Überwachung und nicht nur deren Einschränkung. Klare Kante, auch etwas, das man der SPD lange nicht mehr zutraute. Doch an der Basis brodelt es.
Mathias Richel, der auch als ehemaliger Vorstandsvorsitzender von D64 versucht, auf die Politik Einfluss nehmen, um die Fehler der Vergangenheit durch die handelnden PolitikerInnen in Zukunft zu verhindern, gab der Empörung Ausdruck. Seine Kritik, dass auf EU-Ebene ständig gegen jede vermeintliche Kleinigkeit interveniert werde, aber die Politik bei den Themen Bürgerrechte und Datenschutz nichts mache, wurde mit Applaus gewürdigt. Er wolle sich nicht um Verschlüsselung und Sicherheit kümmern müssen, sondern einfach leben können, denn es sei Aufgabe der von den BürgerInnen gewählten Regierung, sich um seine Interessen zu kümmern – ob mit der SPD oder einer anderen Partei auf der Regierungsbank. Gut gesprochen.
Tobias bloggt im Logbuch des Isarmatrosen. Der Text steht unter einer CC BY-SA-Lizenz.