#Parteitag

Die SPD nach Dresden

von , 17.11.09

Wozu sind Parteitage da? Um Themen zu diskutieren und dann, nach erfolgter Debatte, Beschlüsse zu fassen. Das fordert den Delegierten viel Verantwortung ab, auch inhaltliche Kompetenz und eine Menge Streitlust um die bestmögliche Lösung.

Für Dresden galt dieser offene Politikstil noch nicht. Denn die fast hundertprozentige Zustimmung der Truppen der Delegierten zum quellekatalogschweren Leitantrag zählt zu jenen Parteitagsbräuchen, mit denen die SPD eigentlich Schluss machen will.

Der neue Vorsitzende Sigmar Gabriel hat, das wurde bereits ausgiebig festgestellt, eine glänzende Rede gehalten. Sogar kritische Geister wie Felix Schwenzel haben sich von ihr – zu Recht – ein wenig beeindrucken lassen. Aber eine herausragende Rede macht noch keinen politischen Sommer. Und so führte die Süddeutsche Zeitung ihren Leitartikel zu Dresden mit der boshaften Zeile ein: „Netter Parteitag, aber das war’s.“

Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass der innerparteiliche Aufbruch in den nächsten Monaten tatsächlich kommt. Doch mit Blick auf die traurige Lage der europäischen Sozialdemokratien muss man wohl sagen: wahrscheinlich ist er nicht. Die SPD stagniert seit vielen Jahren. Was Sigmar Gabriel in Dresden einforderte – die Öffnung hin zur Gesellschaft – stand schon 1988 in meinem Buch „Die SPD – staatstreu und jugendfrei. Wie altmodisch ist die Sozialdemokratie?“

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Die SPD nach Dresden: "Netter Parteitag, aber das war's" (Foto: @medienfuzzi, cc-by-nc)

Inzwischen haben mehrere hunderttausend Genossen ihre Mitgliedsbücher zurückgegeben. Sie sind nicht übergelaufen zu den Grünen und auch nicht zu den Linken. Sie haben sich einfach ausgeklinkt – aus einer veralteten, ineffektiven, undemokratischen Struktur. Sie sind weiter aktiv, auf kommunaler Ebene, in Bürgerinitiativen, Vereinen, Netzwerken, Schulgremien, sozialen Bewegungen. Die SPD repräsentieren sie dort allerdings nicht mehr.

Die Partei ist ausgeblutet. Sie hat sich ohne Not isoliert – und ist darüber eine andere geworden. Und wenn ich Sigmar Gabriel richtig deute, setzt er – trotz vieler rhetorischer Kniffe – auch nicht mehr unbedingt darauf, aus der SPD eine neue Volkspartei machen zu können. Das verriet die Art, wie er sie von anderen abgrenzte. CDU und FDP, sagte er, verträten vor allem jene Bürger und Unternehmer, die ihr Eigentum sichern wollten. Soziale Gerechtigkeit sei für sie zweitrangig. Die Linke fixiere sich dagegen auf Soziale Gerechtigkeit, während die Freiheit des einzelnen und das Unternehmertum bei ihr kaum eine Rolle spielten. Und die Grünen betrachteten alles aus der Vogelperspektive der Ökologen, wobei ihnen der soziale Nahkampf aus dem Blickfeld gerate. Nur die SPD erkenne alle diese Ziele als gleichrangig an. Nur die SPD versuche, die auseinanderdriftenden Teile der Gesellschaft wieder zusammen zu binden. Das klingt zwar stark nach Volkspartei – zielt in Wahrheit aber eher auf die Bildung einer ‚überparteilichen Staatspartei’.

Während sich die anderen Parteien wie richtige Parteien verhalten (indem sie gesellschaftliche Teilinteressen massiv vertreten), möchte die SPD immer das Gesamtinteresse, das Gemeinwohl vertreten, und alle Teilinteressen moderierend zusammenbinden. Dieses fatale, seit Jahrzehnten gehätschelte Selbstbild der SPD wird ihre Entwicklung von der linken Volkspartei zur kleinen Scharnierpartei nur beschleunigen. Die SPD möchte die Rolle übernehmen, die früher die FDP ausfüllte und jetzt von den Grünen erstrebt wird: Die SPD möchte, mit oder in Konkurrenz zu Grünen und FDP, das Zünglein an der Waage sein, das mit allen Parteien gleichermaßen koalieren kann. Die Sozialdemokratie möchte der große Versöhner in der Mitte sein, während die Linken und die CDU die polarisierenden Volksparteien Kräfte bilden.

Doch Gabriel sollte wissen, dass eine solche Scharnierpartei keine Volkspartei mehr wäre, sondern eine 15-Prozent-Partei – eine staatstragende „Partei des gemäßigten Fortschritts im Rahmen der Gesetze“ (wie der tschechische Spötter und Schwejk-Autor Jaroslav Hasek seine Partei in Anspielung auf die tschechische Sozialdemokratie nannte). Das ist gewiss eine ehrenvolle Aufgabe, die viel Lob in den Leitmedien auf sich ziehen wird. Aber ein Standpunkt ist es nicht.

Und so muss man wohl feststellen: Das Abschieds-, Aufbruchs-, Versöhnungs- und Wohlfühl-Wochenende von Dresden hat die SPD in der Sache nicht weiter gebracht. Politisch haben die Delegierten nichts geklärt. Sie haben bestenfalls Prüfaufträge beschlossen. Sie wollen noch einmal prüfen, ob sie ihre Meinung zur Rente mit 67, zu Hartz IV und Afghanistan ändern müssen. Das heißt: Das Wahlergebnis vom 27. September und die erdrutschartigen Wähler- und Mitgliederverluste genügen der SPD als Prüfergebnisse noch nicht.

Aber was könnte der Sinn sein, zu warten, wie die Regierung im nächsten Jahr das Gesetz zur Verschiebung des Renteneintrittsalters beurteilt? Ist das für die SPD relevant? Die Produktivitätsfortschritte, die der Siegeszug der Digitalisierung mit sich bringt, werden keine Erwerbsarbeit für 66-Jährige schaffen. Auch die Afghanistanstrategie wird durch verbale Zugeständnisse („Einsatz“, „kriegsähnlicher Einsatz“, „Krieg“) nicht sinnvoller. Und das schrödersche Leitmotiv „Fordern statt fördern“ kann – außer prekären Arbeitsverhältnissen – kaum neue Jobs erzeugen. Wer Prüfaufträge zu Fragen vergibt, die schon beantwortet sind, betreibt nur Zeitschinderei.

Die SPD wird also nach Dresden so sein wie vor Dresden. Ein politisches Signal kann frühestens vom nächsten Parteitag ausgehen. Und der soll – wie Gabriel ankündigte – im Agendajahr 2010 stattfinden.

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