von Wolfgang Michal, 6.1.13
Vermutlich ist es typisch für die defensive SPD, dass ihre Spindoktoren und Medienflüsterer lieber über „Schadensbegrenzungen“ reden als über „Befreiungsschläge“. Doch den aktiven Partei-Mitgliedern an der Basis dürfte allmählich mulmig werden bei der Vorstellung, an Wahlkampfständen, im Sportverein oder im Freundeskreis endlose Steinbrück-Frozzeleien über sich ergehen lassen zu müssen. Die Kakaomenge, durch die der Kandidat neun Monate lang gezogen werden wird, dürfte so immens sein, dass selbst der Brahmsee, an dem Steinbrücks politischer Mentor hin und wieder ausspannt, davon überlaufen würde.
Welcher Schaden kann denn bitte noch begrenzt werden? Kein öffentlicher Wahlkampfauftritt Steinbrücks zum Thema “Gerechtigkeit” wird ohne Trillerpfeifen, Zwischenrufe und Banknotenwedelei abgehen. Dass jetzt sogar die von der SPD mitfinanzierte Frankfurter Rundschau den Kandidaten abgeschrieben hat, kann man vielleicht noch mit den Umständen des FR-Niedergangs erklären (denn die Meinung vor der FR-Insolvenz unterscheidet sich klar von der Meinung nach der FR-Insolvenz). Und dass die taz an Silvester mit einem Foto von Steinbrück und der Schlagzeile „Der Blödmann“ aufmachte, kann man mit etwas Verdrängungskunst der notorisch bild-geilen taz-Lust an ‚frechen’ Überschriften zuschreiben. Aber wenn nun fast alle wichtigen Medien mit größter Schadenfreude danach trachten, den SPD-Kandidaten auf Wulff-Niveau herunterzuschreiben, ist das für den kommenden Wahlkampf der Super-GAU. Bei so viel Sautreiberei kann ‚das hämische Internet’ (das sonst für alles Böse herhalten muss) den fallenden Kandidaten nur noch ein wenig stoßen.
Die nicht aufgearbeitete Niederlage von 2009
Weil also die Niederlage praktisch schon feststeht, könnte die SPD ihr 150-jähriges Partei-Jubiläum dazu verwenden, über die eigene Entwicklung einmal nachzudenken. Könnte – denn viele Denker hat die Partei ja nicht mehr. Sie würden zweifelsfrei zu dem Ergebnis kommen: Der Kanzlerkandidat des Jahres 2017 darf auf keinen Fall ein Ex-Minister aus der letzten Großen Koalition sein. Denn die steht für den tiefsten Einschnitt in der Parteigeschichte seit 1945. Die Leistungen der beteiligten SPD-Ministerriege waren offenbar so unerheblich, dass die Partei das mit Abstand schlechteste Wahlergebnis seit über 60 Jahren bekam: 23,0 Prozent. Wer nach einem solchen Absturz (minus 11,2 Prozent im Vergleich zur vorangegangenen Wahl) nicht von selbst zurücktritt, hat kein politisches Verantwortungsgefühl im Leib. Der will die Quittung der Wähler bewusst ignorieren und so weitermachen wie bisher.
Dummerweise haben die SPD-Parteisoldaten den Hang, Niederlagen nicht aufarbeiten zu wollen, sondern lieber „nach vorn“ zu blicken, „um die verunsicherten Mitglieder nicht noch weiter zu verunsichern“. Doch in Wahrheit wollen die Verlierer nur an ihren Sesseln kleben bleiben. Wie 2009.
2017 muss eine andere SPD antreten
Im Wahljahr 2017 braucht die SPD deshalb weder einen Ex-Finanzminister noch einen Ex-Außenminister noch einen Ex-Umweltminister als Leitstern. Zuallererst muss sie die gewandelte gesellschaftliche Realität ihres Wählerpotentials ausdrücken wollen. Und das heißt: Sie muss tun, was sie an jenem denkwürdigen Wahlabend 2009 leider versäumte: Sie muss einen realistischen personellen, inhaltlichen und strategischen Neuanfang wagen. Und den kann es mit der unpolitischen ‚Ausschließeritis’ der letzten vier Jahre nicht geben.
Will die SPD 2017 mehr sein als ein zusammengeschrumpfter Seeheimer Kreis, muss sie deutlich machen, dass sie mit den Grünen, den Linken und den Piraten ins Gespräch kommen und gegebenenfalls in einer Wahlallianz kooperieren will. Die jetzige „Vierteilung der Opposition“ nützt nur dem politischen Gegner. Sie lähmt die eigenen Kräfte und ignoriert die Entwicklung der gesellschaftlichen Lebensverhältnisse in den letzten Jahrzehnten. Die Vierteilung der Opposition ist die sichere Gewähr dafür, dass die längst existierende gesellschaftliche Mehrheit diesseits der CDU (die in Umfragen zwischen 51 und 60 Prozent der Stimmen auf sich vereint) nicht die Regierung bilden kann.
Also muss zuallererst die dämliche Selbstfesselung der Sozialdemokratie (die ihr als staatsnotwendige Verantwortung von Gegnern innerhalb wie außerhalb der Partei eingeredet wird) ein Ende haben. Die SPD muss – im wahrsten Sinne des Wortes – aus sich herausgehen. Denn sie kann die an die anderen Oppositionsparteien verlorenen Mitglieder und Sympathisanten nicht mehr zurückgewinnen. Diese Chance hat sie im Verlauf der letzten 35 Jahre drei Mal vertan: in den siebziger Jahren beim Entstehen der Grünen, in den neunziger Jahren beim Entstehen der Linken und in den nuller Jahren beim Entstehen der Piraten. Nun muss sie auf die drei Oppositionsparteien zugehen und mit ihnen eine Wahlallianz (wie in vielen EU-Ländern längst üblich, siehe Italien) verhandeln.
Dass Peer Steinbrück diese Allianz zustande bringen könnte, glaubt niemand. Aber wer könnte es? Um das herauszufinden, hat die SPD nun volle fünf Jahre Zeit.