#Energiepolitik

Die SPD im Wahlkampf: Zwischen ökologischer Avantgarde und fossiler Nostalgie

von , 29.6.09

Wer bis heute Zweifel daran hegte, dass der Wahlkampf bereits voll im Gange ist, der konnte sich Mitte Juni auf der IV. Innovationskonferenz des Bundesumweltministeriums vom Gegenteil überzeugen lassen. Unter dem Titel „Green Recovery“ konzentrierte sich das SPD-geführte Ministerium in erster Linie darauf, die ökologischen Erfolge aus elf Jahren sozialdemokratischer Regierungsarbeit vor einer breiten Öffentlichkeit darzustellen. Zu diesem Zweck waren alle Mittel recht, auch eine Einladung an Altkanzler Gerhard Schröder, der in der Vergangenheit nicht unbedingt für seine Nähe zur Umweltbewegung bekannt war. Dieser wiederum bemühte sich in seinem Redebeitrag beinahe verzweifelt darum, die eigenen Leistungen im Kampf um eine nachhaltige Wirtschaftsstruktur glaubhaft zu belegen. Dass ihm dies sichtlich schwer viel, davon zeugten sowohl eine teils unbeholfene Wortwahl, als auch der simple Rekurs auf industriepolitische Erfolge, mit denen er den „grünen Wandel“ seiner Regierungsepoche zu beschreiben versuchte. Während Sigmar Gabriel über ökologische Industriepolitik referierte, verwies Gerhard Schröder in erster Linie auf seine Vorstellung einer industrialisierten Umweltpolitik.

Es dürften kaum Zweifel daran bestehen, dass durch Rot-Grün eine klimapolitische Wende in Deutschland eingeleitet wurde. Von der Einführung des Emissionshandels über das Erneuerbare-Energien-Gesetz bis hin zur Ökosteuer – die Sozialdemokratie war stets dabei und musste allzu oft Prügel von der eigenen Klientel einstecken. Zwar vollzog die Parteiführung all diese Maßnahmen meist nur zögerlich und unter der Prämisse, Deutschlands Stellung als führenden Wirtschaftsstandort nicht in Gefahr zu bringen. Jedoch fanden die Parteistrategen im Laufe der Zeit offensichtlich zunehmend Gefallen an der neuartigen Mission, eine ökologisch nachhaltige Wirtschaftspolitik zu verfolgen. Daher dürfte es kaum verwundern, dass die Sozialdemokratie sich schließlich darum bemühte, das rot-grüne Erbe zur Schärfung des eigenen Profils auch unter der veränderten Rahmenbedingung einer großen Koalition weiterzuführen.

Dabei trat vor allem Umweltminister Sigmar Gabriel immer wieder positiv in Erscheinung: Im Kampf um den Ausbau der Erneuerbare-Energien-Förderung (gegen massive Widerstände innerhalb der Koalition), beim Festhalten am Atomausstieg oder im Rahmen der außenpolitischen Bemühungen im Post-Kyoto-Prozess. Während Angela Merkel ihrem Ruf als „Klimakanzlerin“ nur sporadisch nachkam, wirkte Gabriel stets als grünes Gewissen der Bundesregierung und verteidigte die ökologischen Zielsetzungen gegen die überwiegend gestrigen Vorstellungen des Bundeswirtschaftsministeriums. Im Zweifel auch im Kampf um die Erweiterung der eigenen Zuständigkeiten für energiepolitische Themen.

Die SPD bemühte sich mit tatkräftiger Unterstützung ihres Bundesumweltministers um ein ökologisches Profil und hat damit gegenüber der Union einen deutlichen Vorsprung im Kampf um Deutschlands glaubwürdigste Öko-Alternative zu den Grünen; ein Resultat der politischen Anstrengungen in zwei Regierungskoalitionen. So weit, so gut. Bliebe da nicht noch eine Frage, bei der die Sozialdemokratie seit geraumer Zeit mit ihrer eigene Identität ringt. Gemeint ist die sozialdemokratische Tradition der „Kumpel“, das „Revier“ als Teil der eigenen Identität. Das verzweifelte Festhalten an einer rußigen Nostalgie, die unter den klimapolitischen Bedingungen des 21. Jahrhunderts in etwa so überholt wirkt, wie die Ostalgie der Gysis und Biskys. Kurz: Die Kohle als Identifikationsmerkmal der Sozialdemokratie.

Und damit zurück zur „Innovationskonferenz“: Sigmar Gabriel, Gerhard Schröder, Frank-Walter Steinmeier – sie alle plädierten vor großem Publikum berechtigterweise für einen grünen Wandel durch mehr erneuerbare Energien, mehr Energieeffizienz, neue Technologien und ohne Rückgriff auf die verführerische Anziehungskraft der Kernkraft. Nur zur Rolle der Kohle in der bundesrepublikanischen Energiepolitik fiel kein einziges Wort.

Ein Blick ins Wahlprogramm der SPD hilft bei der Wahrheitsfindung: Dort wird noch immer mit der „Zukunft der Steinkohle“ um Wählerstimmen geworben. Dass dies mit der Zielsetzung einer emissionsarmen Stromversorgung kaum zu kombinieren ist, wird als notwendiger Widerspruch unkommentiert hingenommen. Fragt man die Genossen, wie eine solche Kombination aus Kohle und Klimaschutz aussehen könnte, so lautet die einfache Antwort meist: CCS. Doch auch die CCS-Technologie zur Abscheidung und unterirdischen Speicherung von CO2, die als technologische Teillösung des Klimaproblems angeführt wird, kann mittelfristig nicht in einem solchen Umfang entwickelt werden, dass Deutschland in der Lage wäre, einen nennenswerten Teil seiner Stromerzeugung durch das „saubere“ Verbrennen von Stein- und Braunkohle zu gewinnen – ganz zu schweigen von den Auswirkungen des sich formierenden gesellschaftlichen Protestes.

Die Sozialdemokratie manövriert sich mit ihrer Strategie der Zusammenführung von Gestern und Morgen bewusst in die nächste Glaubwürdigkeitskrise. Unterstützt die Partei die klimapolitischen Ambitionen ihres Umweltministers, so kann dieser energiepolitische Abschnitt ihres Wahlprogramms nur als postoperativer Phantomschmerz der eigenen Parteihistorie betrachtet werden, der in Form eines geschichtlichen Bekenntnisses Einzug in das Wahlkampfpapier findet. Sollte sich die Sozialdemokratie jedoch langfristig nicht von ihrer fossilen Vergangenheit lösen, so büßt sie nicht nur an umweltpolitischer Glaubwürdigkeit ein, sondern hat wieder einmal eine wichtige gesellschaftliche Trendwende verschlafen.

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