#Apple

Die schöne Maschine

von , 1.2.09

Der unglaubliche Siegeszug des Computers für Jedermann begann Mitte der siebziger Jahre. Er erinnert an den Erfolg einer anderen kuriosen Erfindung dieser Zeit: Slime. Ekliger, grüner Schleim in einer miniaturisierten Plastikmülltonne. Es muß damals einen Moment der Kühnheit gegeben haben, in dem ein Mann zu einem anderen etwas sagte wie Laß uns ekliges Zeug in kleinen Plastikmülleimern verkaufen und damit reich werden.

Ganz ähnlich müssen zwei junge Männer im kalifornischen Los Altos sich eines Tages gesagt haben Laß uns allen Menschen kleine Maschinen verkaufen, mit denen man feindliche Funksprüche entschlüsseln, Geschoßflugbahnen berechnen und Verwaltungsvorgänge automatisieren kann. Viel anderes hatte man mit Computern damals noch nicht gemacht.

Steve Jobs, der eine, arbeitete bei dem Videospiele-Hersteller Atari. Der andere, Steven Wozniak, war Ingenieur bei Hewlett-Packard, und Wozniak hatte einen erstaunlichen, kleinen Computer gebaut. Nachdem weder Atari noch Hewlett-Packard von der Idee eines “Persönlichen Computers” zu überzeugen waren, verkaufte Wozniak seinen Taschenrechner und Jobs seinen VW Bulli. Mit dem Startkapital gründeten sie 1976 die Firma Apple Computer Inc. und begannen in der Garage von Jobs’ Eltern mit der Computerfertigung.

1979 war Apple ein Milliarden-Dollar-Unternehmen. Im Dezember desselben Jahres gestattete die Firma Xerox Steve Jobs und einigen Apple-Ingenieuren, die gerade an einem neuen Computer namens Lisa bastelten, Einblick in ihre Entwicklungsabteilung im legendären Palo Alto Research Center (PARC). Es folgte der Große Postraub des Informationszeitalters. Die Xerox-Forscher hatten einen Computer namens Alto gebaut, den die Geschäftsführung ziemlich esoterisch fand. Er konnte in “Fenstern” Text oder Grafik anzeigen, und Befehle ließen sich mit einer “Maus” aus “Menüs” abrufen, die am Bildschirm erschienen. Jobs explodierte fast vor Überschwang. “Warum macht ihr da nichts daraus?”, wollte er wissen. “Das ist revolutionär!”

Jobs baute neben “Lisa” heimlich eine eigene Entwicklungsabteilung auf. Jef Raskin, einer seiner Leute, gab dem Projekt den Namen – er mochte die Äpfel der Sorte Macintosh am liebsten. Für Jobs bestand das Ziel des Macintosh-Projekts darin, die Technik eines Computers so bequem zu machen wie ein Wohnzimmer und so billig und funktional wie ein Schweizer Taschenmesser. Die für ihn charakteristische Mischung aus Charisma und aberwitzigen Terminplänen verschaffte ihm, in Anspielung an Star Trek, den Titel Reality Distortion Field.

Das Realitätsverzerrungsfeld schaffte es, sein Team zu kollektiver Genialität anzustacheln – Leute wie Andy Hertzfeld, der große Teile des Mac-Betriebssystems programmierte und von dem es hieß, sein Blut habe die Regenbogenfarben des (damaligen) Apple-Firmenlogos, oder Susan Kare, die das “Look And Feel” der grafischen Oberfläche entwarf – das Mülleimerchen, Fenster mit Nadelstreifen, Schieberegler in den Kontrollfeldern.

Schon in der Steinzeit muß sich jemand etwas dabei gedacht haben, als er Faustkeile nicht bloß roh behaute, sondern sie mühevoll glattzuschleifen begann. Eleganz war für Jobs ein geradezu manisches Anliegen. Die erste Macintosh-Hauptplatine – die grüne Plastikplatte mit Leitungen und Chips drauf – wies er vor seinen versammelten Ingenieuren aus ästhetischen Gründen zurück: “Ich möchte, dass sie so schön wird wie nur irgend möglich. Auch wenn sie hinterher im Gehäuse steckt.”

Der Apple Macintosh kam 1984 nicht einfach auf den Markt. Er erschien. Sein Bildschirm leuchtete weiß. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte man Computer daran erkannt, dass sie grüne Zeichen auf schwarze Bildschirme ausgaben. Am 22. Januar 1984 während des Superbowl-Endspiels zwischen den Oakland Raiders und den Washington Redskins lief das erste und einzige Mal der TV-Spot, der den Macintosh bekannt machte – “1984“, inszeniert von “Bladerunner”-Regisseur Ridley Scott. Zu sehen war eine sprintende junge Frau in einem Macintosh-T-Shirt, die mit einem Vorschlaghammer einen Riesenbildschirm zerschlägt, der die Übermacht des damaligen PC-Platzhirschen IBM repräsentierte. Mit diesem Spot begann die Ära von Werbung als News: Die drei größten US-Fernsehsender brachten Ausschnitte des außergewöhnlichen Aufbegehrens in ihren Abendnachrichten.

Der Ur-Macintosh kostete 2.495 Dollar und hatte einen Speicher, in den acht Seiten Text paßten. Das Kopieren einer Diskette erforderte etwa 20 Minuten und über 50-maligen Diskettenwechsel. Die Bastler waren genervt, weil man an der Maschine nicht mehr basteln konnte (”Nur zu öffnen von autorisiertem Fachpersonal”). Und die neuartige Bedienungshilfe “Maus” löste einen Glaubenskrieg aus. Für die einen war es die populärste Maus seit Micky, für die anderen eine fahrbare Hilfe-Taste für Idioten.

Der Mac verkaufte sich anfangs bei weitem nicht so toll wie Jobs prognostiziert hatte. Geschäftsleute hielten ihn für ein Spielzeug, die Lötkolbenfreaks für eine Art Damenhandtäschchen mit Bildschirm. Die Rettung brachten ein paar Programme, die ganze Kulturindustrien auf den Kopf stellen sollten. Eines davon hieß “PageMaker“. Programmierer Paul Brainerd nannte das dazugehörige Anwendungsgebiet “Desktop Publishing”. Innerhalb weniger Jahre veränderte die Software Druckvorbereitung, Typografie und Grafikdesign fundamental. Ein anderes Programm wurde 1987 als HyperCard berühmt. Damit ließen sich Texte, Bilder und Töne auf elektronischen Karteikarten unterbringen und über sogenannte “Links” (das Internet war noch Jahre entfernt) miteinander zu ganz neuen Informationsgebilden vernetzen.

Die Macs waren stets von Innovationen gesäumt. Mit dem Macintosh gab es zum ersten Mal einen Computer mit grafischer Benutzeroberfläche, langen Dateinamen, einer Script-Sprache, eingebautem Audio und nicht zuletzt einem gefälligen Design. Ethernet, Firewire, AirPort-Funknetz und USB-Anschlüsse kamen im Lauf der Zeit hinzu, das erste standardmäßig eingebaute CD-ROM-Laufwerk ebenso wie mit der Einführung des iMac im August 1998 ein Computer, der über kein Diskettenlaufwerk mehr verfügte. Das “i” in “iMac” stand für Internet, eine @-Taste gab es aber kurioserweise nicht auf der Tastatur. Nichtsdestotrotz gingen die bonbonbunten Maschinen weg wie warme Semmeln.

Im August 2000 erschien – nach dem schwarzen Würfel, den seine Firma NeXT vor Jahren geschaffen hatte – ein weiteres digitales Designobjekt nach dem Willen von Steve Jobs: der G4 Cube, ein lüfterlos leises, glänzendes Objekt, das sich mangels Erweiterungsmöglichkeiten allerdings als Ladenhüter erwies. Aber Jobs wäre nicht Jobs, hätte er nicht schon die nächsten Joker im Ärmel gehabt. Nach dem komplett erneuerten Betriebssystem OS X nebst einer Benutzeroberfläche mit Lutschbonbon-Look (”Aqua”) landete er den größten Coup seit der Einführung des Macintosh: Mit dem iPod setzte sich Apple im Oktober 2001 an die Spitze der digitalen Musikrevolution.

Der “freundliche Computer” ist mit den Jahren komplexer, variantenreicher und raffinierter geworden, vor allem hat er das Selbstgefühl und die Ansprüche einiger computernutzender Generationen geprägt. Der typische Mac-User hat Mitleid mit der Mehrheit. Er ist ein Bewohner des digitalen kleinen gallischen Dorfs. Sein Postfach atmet Mails von PC-Usern ein und aus, und es wimmelt vor Viren, aber sie können ihm nichts anhaben. PC-Viren laufen am Mac nicht – und Mac-Viren gibt es keine. Im April 2006 veröffentlichte Apple ein Programm namens Boot Camp, das es erlaubt, auch das Betriebssystem Windows auf den neuen Intel-Macs zu installieren – für konservative Mac-User eine Verletzung des Reinheitsgebots.

Dass sein Computer chic ist, nimmt der Mac-Mensch gern hin. Das trägt ihm gelegentlich den Vorwurf ein, er gehe nur nach dem Äußeren. Er aber komponiert Lieder über seine Liebe zum Mac oder verfaßt Oden an seinen Rechner. Die Maschine ist für ihn ein Werkzeug, das ein Versprechen einlöst: zu funktionieren. Den typischen Mac-User erkennt man an den eingeschweißten Handbüchern; sein Computer ist sozusagen selbstverständlich.

Viele Apple-Nutzer sind enthusiastisch, manche geradezu Zeloten. Aber sogar den Eiferern geht es um das, was sie mit der Maschine machen, nicht um die Maschine selbst. PC-User, die sich vor allem für den Computer oder ihr Betriebssystem interessieren, leiden nach Auffassung von Psychologen unter einer Variante des Stockholm-Syndroms. Bei diesem Phänomen bauen die Opfer von Geiselnahmen zunehmende Sympathie für ihre Entführer auf. Mac-User haben was dafür übrig, dass das System, das da vor ihnen auf dem Tisch hockt, einfach, geradlinig und klar ist. Man muss nicht “Start” anklicken, um den Rechner auszuschalten. Es gibt etliche Websites, auf denen gezeigt wird, wie man Windows so verändern kann, dass es aussieht wie das Mac-Betriebssystem OS X. Die Leute wissen Schönheit und Funktionalität von Software und Hardware zu schätzen – aber nur Gott weiß, weshalb nicht mehr von ihnen losgehen und sie auch kaufen.

Das Selbstbewußtsein des typischen Mac-Nutzers wird dadurch nicht beeinträchtigt: “Mac-User sind die besseren Menschen”, schreibt einer von ihnen im Netz, “klüger, toleranter sowieso, sie sind besser aussehend, reicher, erfolgreicher, naturverbundener, sexier, und sie haben das Savoir-Vivre und die schöneren Weiber.”

“Unser Marktanteil ist größer als der von BMW”, so Steve Jobs noch vor einem Jahr, “und größer als der von Mercedes in der Autoindustrie.” Nun aber steht die nächste Revolution an. Der Autoindustrie geht es gar nicht mehr gut. Steve Jobs hat angekündigt, sich aus gesundheitlichen Gründen bis zum Sommer aus dem Unternehmen zurückzuziehen. Jetzt wird sich zeigen, ob die Maschine erwachsen ist.

Peter Glaser bloggt auf Glaserei, wo auch dieser Beitrag erschienen ist.

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