#Autoren

Die Rückkehr des Autorenjournalismus

von , 28.7.09

Für meinungs- und profilstarke Autoren brechen goldene Zeiten an. Sagen Leute, die es wissen müssen. Etwa Michael Massing in der „New York Review of Books“.

Ja, es könnte so kommen. Und zwar genau in dem Augenblick, in dem die Leser die Lust verlieren, komplette Redaktionsprodukte (Zeitungen, Zeitschriften) zu kaufen, obwohl sie nur an den Geschichten ganz bestimmter Autoren interessiert sind. Das gute alte Wundertüten-Prinzip der Magazine wird dann ebenso abdanken müssen wie der Anspruch der Tageszeitungen, eine Art Generalanzeiger für jeden Geschmack und jedes Ressort zu bieten. Die Premium-Leser der Zukunft werden sich ihre Lieblingsautoren in Form eines täglichen Online-Magazins aufs Apple-Frühstücks-Tablet servieren lassen.

Diese Leser müssen dann nicht mehr Herrn Joffe mitfinanzieren, wenn sie Herrn Naumann lesen wollen. Sie sparen sich die graumelierten Leitartikel der FAZ, weil sie mit „Don Alphonso“ hochzufrieden sind. Und sie müssen nicht mehr die Wirtschaftskommentare der SZ als unvermeidliche Kröten schlucken – nur weil sie Alex Rühle oder Franziska Augstein als SZ-Autoren schätzen. Die Leser der Zukunft werden sich ihr persönliches Autorenblatt zusammenstellen, das ganz bestimmte Blogger, investigative Reporter, Feuilletonisten, Analytiker, Humoristen, Kolumnisten und Experten enthält.

Doch ganz so weit sind wir (hierzulande) noch nicht.

Zwar stellte eine Medientagung der Friedrich-Naumann-Stiftung bereits im November 2007 fest, dass es eine „Renaissance des Autorenjournalismus in den klassischen Medien“ gibt – ausgelöst durch die profil- und meinungsstarken Blogs im Internet. Doch bislang hält sich die Renaissance in Grenzen. Während die FAZ oder das Magazin „Cicero“ erste Ansätze zum Autorenjournalismus erkennen lassen, konzentrieren sich andere, etwa die „Süddeutsche Zeitung“ oder der „Spiegel“, auf den Ausbau investigativer Recherche-Teams. Beides hat seine Logik, und aus beiden Ansätzen (Autorenjournalismus, Recherchejournalismus) könnte sich off- und online etwas Sinnvolles entwickeln. Verlieren werden jedoch jene, die ihr Glück nur in so genannten „Newsrooms“ suchen, in Nachrichtenkommandozentralen und Großraumbüros, die im dezentral organisierten Netz keine Überlebenschance besitzen. Alles Austauschbare und Durchgekaute, alles hundert Mal Gefilterte und Glattgebügelte wird zum Beiwerk für Glanzstücke und Knüller.

Solchen Autorenjournalismus (für dessen Online-Version etwa Florian Rötzer und Klaus Jarchow eintreten) gibt es seit 100 Jahren. Er begann mit Egon Erwin Kisch, Kurt Tucholsky und Karl Kraus (dessen Weblog seinerzeit „Die Fackel“ hieß). In den 60er und 70er Jahren wurde der Autorenjournalismus dann durch Tom Wolfe, Gay Talese, Truman Capote und Hunter S. Thompson erneuert – und trieb schließlich in den 80er und 90er Jahren eine Spät- und Sumpfblüte hervor, die sich in allerlei pop-journalistischen Magazinen wie Tempo und Wiener, in Lifestyle-Journalen, die den Tageszeitungen beilagen und in zahllosen Kolumnen ausbreitete wie eine ansteckende Krankheit.

Die Abneigung der brav vor sich hin schrubbenden Redaktions-Kollektive gegen die eitle Selbstbespiegelung solcher „Star-Schreiber“ wuchs. Ihr Sonderstatus brachte die Psychodynamik des ganzen Teams durcheinander und den Flurfunk zum Kochen. Das schadete der Truppenmoral und dem Geschäft. Und so wichen die ausgebremsten Autorenjournalisten immer mal wieder ins Bücherschreiben aus.

Dann kam das Internet! Und in diesem riesigen redaktionsfreien Selbstdarstellungsraum konnten plötzlich alle, die in ihren Kollektiven feststeckten wie nasse Säcke in aufgeschichteten Hochwasserdeichen, ihr unterdrücktes Ego wunderbar ausleben – und zwar in Echtzeit!

Da die Chefredaktionen das Internet für eine Idiotenerfindung hielten, hatten sie nichts dagegen. Im Gegenteil. Sie ließen ihre egostärksten Narren (zum Vorkosten) ins Netz: Matthias Matussek beim „Spiegel“, Harald Martenstein bei der „Zeit“, Mathias Bröckers und Joachim Lottmann bei der „taz“. Und als sich das Netz wider Erwarten als höchst attraktiver Spielplatz erwies, folgten die Feuilletonisten und Wissenschafts-Entertainer. Und ganz zum Schluss trauten sich sogar die üblichen Feiglinge ins Netz: die Politik- und Wirtschaftsredakteure.

Die allerdings haben es nicht leicht im Handgemenge mit kritischen und nickeligen Lesern. Warum? Nun, das Netz hat längst aus eigener Kraft und ohne viel Geld unverwechselbare Autoren hervorgebracht. Es gibt heute eine ganze Reihe exzellenter Seiten und Blogs, die man nur wegen der Autorin bzw. des Autors liest. Diese reinen Online-Gewächse sind meist sehr viel profilierter, mutiger, hartnäckiger, witziger und auch sachkundiger als die, die aus den klassischen Medien ins Netz gefallen sind und nun als Absolute Beginners ihre Sporen erst noch verdienen müssen.

Das heißt: Der soeben anlaufende Wettbewerb der Autoren (Quereinsteiger versus Urgesteine) wird Opas Presse noch etwas schneller sterben lassen als ohnehin zu erwarten ist.

Aber wenn dann in einigen Jahren Millionen selbstbewusster, profilstarker Autorenjournalisten im Netz ihr Unwesen treiben – dann werden die Leser plötzlich eine große Sehnsucht entwickeln nach still vor sich hinschrubbenden Redaktions-Kollektiven.

Erst dann hat das Netz den Turnaround im Journalismus wirklich geschafft.

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