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Die Rückkehr von Wikileaks: Ein transpazifisches Leck

von , 23.11.13

Freihandelsabkommen ausserhalb der Welthandelsorganisation sind im Trend. Das war vor fünf Jahren so, und das hat sich bis heute nicht geändert. Die meisten Verhandlungen erscheinen selten auf dem öffentlichen News-Radar. Im Moment gibt es jedoch zwei grosse Projekte, die Schlagzeilen generieren und Opposition mobilisieren: Verhandlungen zu einem transatlantischen Abkommen zwischen der EU und den USA (TAFTA/TTIP, hier schon verbloggt) und das sogenannte Transpazifische Partnerschaftsabkommen TPP, über das schon seit 2010 verhandelt wird.

Wikileaks hat nun vor ein paar Tagen jenen, die zu Handelsthemen arbeiten, ein wunderschönes Geschenk gemacht. Es veröffentlichte den (angeblich) aktuellen Verhandlungstext des Kapitels zu Geistigem Eigentum.1

Ein Geschenk, weil solche Verhandlungen oft von Geheimhaltung geprägt sind. Es gibt oft gute Gründe für diese, aber wie immer, wird sie von den Regierungen auch missbraucht. Wie auch immer man dazu stehen mag, diese Geheimhaltung erschwert die Forschung zum Thema. Die genauen Positionen, die Verhandlungsstrategien und -dynamik können immer erst nachträglich aus vereinzelten Puzzle-Teilen zusammengesetzt werden und bleiben darum oft sehr spekulativ.
 

Die verschiedenen Verhandlungsparteien des TPP, Remix: Nanatsubo, CC0, via Wikimedia Commons


Die verschiedenen Verhandlungsparteien des TPP, Remix: Nanatsubo, CC0, via Wikimedia Commons

 
Nun haben wir einen solchen Text zur Verfügung. Man muss sich jedoch immer wieder in Erinnerung rufen, dass es sich um eine Momentaufnahme handelt. Die Vorschläge repräsentieren nicht zwangsläufig die Interessen, noch reflektieren sie unbedingt Prioritäten. Vorschläge und Allianzen können immer auch taktischer Natur sein. Es gibt vor allem zwei Aspekte, wie dieses Dokument neue interessante Einblicke bietet. Ein Aspekt ist die nun entstandene Situation, dass nun der momentane Verhandlungszustand nicht mehr geheim ist.  Der andere ist die Analyse des Texts selber, der neue Erkenntnisse bringen kann.

Zum ersten Aspekt: Dan Drezner bezeichnete es in seinem Blog als ideales “natürliches Experiment”. In den Internationalen Beziehungen ist es normalerweise schwierig bis unmöglich, Experimente durchzuführen. Postulierte Thesen sind nicht immer einfach nachzuprüfen. Es gibt zum Beispiel halt nur eine beschränkte Anzahl von Nationen (oder vergleichbare Verträge, oder Organisationen, etc.).

Dass nun der Verhandlungstext veröffentlicht wurde, heisst, dass sich die Opposition dagegen konkret mobilisieren kann. Es wird interessant zu sehen, ob die Bewegung es schafft, Dinge in Gang zu setzen wie damals mit SOPA und ACTA. Natürlich wissen wir trotzdem nicht, was passiert wäre, hätte niemand den Text geleaked, noch wie der Endtext (sollte dieser je zustande kommen) dann ausgesehen hätte. Das wird auf jeden Fall spannend. Zumindest für Handels-Wonks.

Der zweite Aspekt ist, dass man den Text und die Positionen nun im Detail analysieren und auch mit ähnlicher Forschung zum Thema vergleichen kann. Inhaltlich kann ich im Moment kaum etwas zum Text sagen. Einerseits bin ich kein Spezialist, wenn es um Geistiges Eigentum in Handelsverträgen geht, anderseits habe ich noch keine Zeit gehabt, das fragliche Kapitel des Abkommens zu lesen.

Verhandlungstexte sind typischerweise durchsetzt mit eckigen Klammern (als bracketed text bezeichnet) die angeben, welche Textstellen von welchen Verhandlungspartnern vorgeschlagen wurden respektive von wem sie abgelehnt werden. Einen interessanten ersten Analyseansatz findet man hier auf dem Blog eines Doktoranden der George Washington University. Er hat die Länderklammern aus dem Text extrahiert  in der Hoffnung, gewisse Muster (oder das Fehlen solcher) zu visualisieren.

Die folgenden zwei Grafiken stammen von seinem Blog. Die erste zeigt Vorschläge die von Koalitionen stammen: Sie listet einfach alle gefundenen Länderpaarungen. Die zweite zeigt die Liste der Anzahl Vorschläge, die von einzelnen Ländern kommen.
 

TPP-Verhandlungen: Von Länderpaarungen eingebrachte Vorschläge, Grafik: Gabriel J. Michael, CC BY-SA


TPP-Verhandlungen: Von Länderpaarungen eingebrachte Vorschläge, Grafik: Gabriel J. Michael, CC BY-SA. Ländercodes hier (via)

 

TPP-Verhandlungen: Von einzelnen Ländern eingebrachte Vorschläge, Grafik: Gabriel J. Michael, CC BY-SA


TPP-Verhandlungen: Von einzelnen Ländern eingebrachte Vorschläge, Grafik: Gabriel J. Michael, CC BY-SA

 
Einiges scheint mir auf den ersten Blick, wie ich erwartet hätte. Je mehr wirtschaftliche Muskeln eine Nation hat, desto mehr wird sie versuchen, Dinge im Alleingang durchzudrücken. Kleinere Länder sind auf Koalitionen angewiesen, wollen sie mit ihren Eingaben Aussicht auf Erfolg haben. Darum tauchen in der ersten Grafik Länder wie die USA und Japan relativ weit unten auf und in der zweiten eher auf den Spitzenplätzen. Oder vielleicht lassen sie gewisse Vorschläge von kleineren Koalitionen einbringen und halten ihren Namen raus, damit die Vorschläge nicht das Kainsmal haben, von einem der “Bullies” eingebracht worden zu sein.

Man findet auch gewisse Überraschungen. Zum Beispiel, wie im Blogpost von Gabriel Michael erwähnt, sieht man ungewöhnliche Paarungen, wie zum Beispiel Chile und Singapur. Es wäre interessant, ein bisschen tiefer zu graben. Handelt es sich um eine taktische Paarung von ähnlich starken Playern? Teilen sie trotz sehr unterschiedlicher geografischer Lage ähnliche Interessen (normalerweise geht man davon aus, dass Geografie ein wichtiger Faktor ist)?

Interessant finde ich auch, dass Kanada die Liste mit Einzelvorschlägen anführt. Im Blogpost wird erwähnt, dass Kanada relativ spät zu den Verhandlungen dazugestossen ist, und dies ein Artefakt davon sein könnte (ich würde dann aber auch mehr Koalitionsvorschläge erwarten, aber das ist nicht zwingend). Oder vielleicht kann Kanada es sich eher als die “ganz Grossen” leisten,  Dinge im Alleingang durchzudrücken? Vielleicht erklären sich diese Muster primär durch das sehr spezifische Thema des Kapitels (wo ich relativ wenig weiss zu den Positionen der verschiedenen Ländern auf der Liste, mit Ausnahme der USA).

Mich würden nun eure Spekulationen interessieren, wie die Grafiken zu interpretieren sind. Gedanken dazu?
 
1 Leider wird das Ganze etwas sehr reisserisch präsentiert. Der Vertrag wird als grösstes Handelsabkommen überhaupt bezeichnet (ich habe da starke Zweifel, dass das stimmt). Ich finde, die Geheimhaltung wird völlig überbetont, während etwas unter den Tisch fällt, dass es sich um nur ein Kapitel handelt, und es wird eine direkte Verbindung mit den Verhandlungen zum Transatlantischen Freihandelsabkommen gezogen, die so nicht existiert. Dies bestätigt in meinen Augen, dass Wikileaks nicht immer so genau weiss, was sie eigentlich veröffentlichen, und wie dies einzuordnen ist.
 
Crosspost von zoon politikon

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