von Marcel Weiß, 28.3.12
Die gesellschaftliche Aufgabe des Journalismus
Wie sieht die Zukunft des Journalismus aus? Um sich dieser Frage nähern zu können, muss man zuerst einen Schritt zurück machen und sich fragen, was Journalismus eigentlich ist beziehungsweise, welche gesellschaftliche Aufgabe er erfüllt. Bricht man diese Aufgabe so weit herunter wie möglich, ergibt das Folgendes:
Informationen für eine breite Öffentlichkeit und damit die Gesellschaft sichtbar machen, Informationen so zu verbinden, dass Sachverhalte verständlich oder überhaupt erst erkennbar werden und die Grundlage, die Infrastruktur sozusagen, für einen gesellschaftlichen Diskurs bieten.
Vor dem von der Digitalisierung und dem Internet ausgelösten Medienwandel war die Sachlage relativ einfach: Kommerziell orientierte Organisationen, also Presseverlage, Radiosender und TV-Sender, haben Journalisten beschäftigt, welche – im Idealfall – Inhalte verschiedener Ausprägungen produziert haben, die die oben beschriebenen Aufgaben, gern auch unterhaltend, erfüllt haben. Diese Inhalte wurden dann im Bündel (Zeitung etc.) gewinnbringend verbreitet. Der Endnutzer, also der Leser, Zuhörer und Zuschauer, hat mit seiner Aufmerksamkeit bezahlt. Jedes der privaten Presseunternehmen war entweder komplett (Hörfunk, TV) oder zu einem großen Teil (Printpresse) werbefinanziert.
Wer an die Öffentlichkeit treten wollte, egal ob Politiker oder Werbekunde, musste über diese Presseunternehmen gehen. In einigen Ländern wie Deutschland gibt es zusätzlich zu den privaten Unternehmen noch öffentlich-rechtliche Institutionen. Diese unterscheiden sich aber in erster Linie nur in der Finanzierungsart von ihren Kollegen aus der Wirtschaft.
Betrachtet man die reinen Organisationsformen war die Presselandschaft recht übersichtlich.
Seit einigen Jahren verändert sich diese Landschaft nun dramatisch.
Die neue vielfältigere Presselandschaft und die Gefahr des Presseleistungsschutzrechts
Das Publizieren ist für Bürger in westlichen Ländern, die in der Regel über Internetanschlüsse verfügen, von einem teuren Unterfangen, für das man auf Unternehmen angewiesen ist, zu einem praktisch kostenfreien Vorgang geworden.
Diese erdrutschartige Veränderung auf der Kostenseite hat nicht nur Auswirkungen für mitteilungsbedürftige Einzelpersonen, sondern auch auf die Art und Weise, wie Unternehmen in diesem Bereich strukturiert werden können. Kleine Teams können es mit großen Unternehmen aufnehmen.
Das ist die eine Seite. Die andere Seite, die vielleicht wichtigere Entwicklung, ist die nun erst in großem Umfang möglich gewordene Organisationform, die Yochai Benkler in “The Wealth of Networks” als commons based peerproduction, also als allmendebasierte, kollaborative Produktion, bezeichnet hat. Die Ergebnisse dieser Organisationsform sind etwa Linux, Wikipedia und Guttenplag. Diese Organisationsform wird mit exklusiven Rechten, die von Unternehmen gehalten werden, massiv eingeschränkt.
Für den Freitag habe ich beschrieben, welche Gefahr ein Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse, das implizit von der oben beschriebenen alten Presselandschaft ausgeht, für die neue, vielfältigere Presselandschaft darstellt.
Monopol: Goliath will Geld sehen — Der Freitag:
Es geht um Blogs, um Guttenplag und dessen Nachfolger PlagiPedi, um Wikileaks und um Wikipedia, dessen Aktualisierungsgeschwindigkeit es mittlerweile auch für Nachrichten relevant macht. Es geht um Infrastrukturanbieter wie Google mit Google News und seiner Suche, um Twitter und Facebook. Es geht um Startups wie Flipboard oder Commentarist, welches bereits von FAZ und Süddeutsche verklagt wurde, während andere Verlage es gern benutzen. Kurz, es geht um alles Presseähnliche, was nicht von Presseverlagen kommt. Es geht um die Kontrolle des Marktumfeldes. Es geht darum, die Verlage und ihre Leistungen über alles andere in der Wertschöpfungskette zu stellen.
Wurde der Jura-Professor für seine Funde von der Süddeutschen bezahlt? Wurde Guttenplag finanziell an den Artikeln beteiligt, die die dortigen Funde wiederholt haben? Wie lautet die Rechtfertigung, dass alle für das Weiterverbreiten von Informationen bezahlen sollen, nur die Verlage nicht?
Die Vertreter der Presseverlage sagen das nicht, aber ein Presseleistungsschutzrecht könnte auch die Wikipedia gefährden. Man fängt bei neuen weitreichenden Gesetzen natürlich bei den vermeintlichen bösen und übergroßen Unternehmen an, die man zähmen/ zu ‘Fairness’ zwingen will (hier: Google), langfristig geht es aber natürlich darum, Kontrolle am Markt auszuüben, und damit sind dann alle Akteure gemeint, egal ob sie überhaupt am Markt agieren oder außerhalb stattfinden.
Man stelle sich vor, die Wikipedia könnte nicht mehr einfach Erkenntnisse aus Artikeln von Presseverlagen zusammenfassen, ohne diese dafür zu bezahlen.
Wer Zugang zu Bürgern hat, kann Öffentlichkeit schaffen, auch Anbieter von Webdiensten
Anfang 2012 hat sich gezeigt, dass mittlerweile im Netz noch eine weitere wichtige Macht entstanden ist, die Öffentlichkeit erzeugen kann: Jeder erfolgreiche Webdienst hat täglich Kontakt mit seinen Endnutzern. Etwas, das früher der Presse vorbehalten war. Öffentliche Meinungsbildung kann deshalb nicht nur über die Kommunikation unter den Nutzern auf diesen Plattformen entstehen, sondern auch von den Unternehmen dahinter.
Dienste wie Wikipedia, Google und Tumblr haben in den USA ihre Nutzer mobilisieren können. Diese haben ihre Abgeordneten zu den geplanten Gesetzen SOPA und PIPA kontaktiert und somit wohl auch maßgeblich diese Gesetze zu Fall gebracht.
Jetzt könnte man meinen, dass das gefährlich sei: Diese Unternehmen können jetzt immerhin die Öffentlichkeit nach ihrem Gusto formen und leiten! Zu diesem Schluss kann man nur kommen, wenn man den Bürgern zutraut, sich in großer Zahl gegen ihre Interessen mobilisieren zu lassen. Tatsächlich ist diese in der Tat neue und weitreichende Macht dieser Unternehmen an einer entscheidenden Stelle stark eingeschränkt: Ihre Mitteilungen auf ihren Websites haben keinen direkten Einfluss auf die politische Willensbildung. Sie müssen die Nutzer mobilisieren. Nur die mobilisierten, die aktiv gewordenen Bürger können Einfluss nehmen.
Das ist ein wesentlicher Unterschied zu der Macht der Presseverlage: Diese mussten immer nur den Volkswillen vermuten und konnten damit Einfluss nehmen.
Google, Wikipedia, Tumblr und Co. haben eine neue Macht bei der Formung von Öffentlichkeit, aber nur solang ihre Interessen und die ihrer Nutzer konform gehen. Sie können nicht eigene Partikularinteressen vorantreiben. Presseverlage können das dagegen sehr wohl.
Um das zu verdeutlichen: Gibt es eine erfolgreiche Petition, in der über 50.000 besorgte Bürger die Einführung des Presseleistungschutzrechts fordern? Nein. Warum nicht, wenn dieses Recht so wichtig ist, dass die Zukunft der Presse und damit der Demokratie davon abhängt, wie es mancher Verlagsvertreter behauptet? Kann die Presse ihre eigenen Leser, ihr Publikum, nicht mobilisieren? Warum nicht? Vielleicht weil ihre Interessen in diesem Fall doch nicht mit denen der Gesellschaft übereinstimmen?
Das Internet und seine Partizipationsmöglichkeiten macht auch auf diesem Weg offensichtlich, wie Presseverlage trotz ihres eigenen Anspruchs nicht zwingend das Sprachrohr für die Gesellschaft sind. Keine bahnbrechende Erkenntnis, aber doch eine, die immer offensichtlicher wird.
Fazit
Tritt man einen Schritt zurück, sieht man, wie vielfältig die Presselandschaft bereits geworden ist. Man kann auch sehen, wie sehr sich das Erzeugen von Öffentlichkeit wandelt. Der gemeinsame Nenner dieser Veränderungen: Sie schwächen in erster Linie die Position der Presseverlage und der anderen etablierten Institutionen. Und das nicht nur auf der wirtschaftlichen Seite, sondern auch auf der Seite der Legitimation, auf deren Grundlage gesetzliche Sonderregelungen wie das Listenprivileg und jetzt das Leistungsschutzrecht durchgeboxt werden.
Besonders wenn man die Gesamtheit betrachtet, also all die neuen Formen der Informationsbeschaffung und -organisierung, wird offensichtlich, wie gefährlich ein zusätzliches exklusives Recht sein kann.
Der Text ist zuerst erschienen auf neunetz.com.