#Atom

Die neue Atomfront

von , 14.3.11

Ein Beitrag von Jochen F. Uebel:

Wenige Stunden nach Veröffentlichung dieses Artikels trat die Bundesregierung einen ersten Schritt zurück: wenigstens die Laufzeitverlängerung soll vorerst auf Eis gelegt werden.

Das verheerende Sundai-Beben am 11. März 2011 und das nachfolgende Atom-Desaster in Fukushima hat nicht nur Japans Hauptinsel Honshu um geologisch erstaunliche zweieinhab Meter verschoben. In Folge dieses Nuklear-Dramas hat sich auch die Trennlinie verschoben zwischen Kernenergie-Befürwortern und Atomkraft-Gegnern.

Bislang trennte beide Fraktionen ein tiefer Graben scheinbar widerstreitender hard facts. Wo Pros CO2-Argumente vortrugen, hielten Contras mit dem Müll entgegen, der jahrzehntausendelang versorgt werden muss (bevor er, fern aller geschichtlicher Horizonte, von einer uns nachfahrenden, unbekannten Zivilisation als entsorgt betrachtet werden kann). Wenn Pros eine vordergründig attraktive Preiswürdigkeit vorwiesen, rechneten Contras mit versteckten Kosten (wieder: der Müll) und jahrzehntelang gewährten Subventionen auf.

Es kam zum Patt. Jeder noch so ausgeklügelten Befürworterposition stand ein ebenso differenziertes Argument des »Atomkraft – Nein danke!« gegenüber. Entsprechend gestaltete sich der politische Diskurs und drohte ein never ending Kompromiss-Gehakel: Man einigte sich auf einen »Ausstieg ja, aber« – begab sich damit aber in ein Dauerdebakel um die Lebenszeit dieser »Brückentechnologie«. Je nach politischem Kräfteverhältnis drohte Verlängerung und Kürzung der Laufzeit: letztendlich, wie es den mächtigen Fünf (EnBW, E.on, RWE, VDN, Vattenfall) beliebt. Unter freundlicher Umgehung oder Beteiligung von Bundesrat und Bundesverfassungsgericht.

Sachargumente wurden zweitrangig

3/11 hat die Lage verändert. Wenigstens in Deutschland. Mit voller Wucht riss der Graben wieder zu voller Breite auf und verschluckte die sorgsam abgelegten, brückenbildenden Füllargumente – vermutlich auf Nimmerwiedersehen. Die Atomkraftgegner zwangen die Befürworter in einen neuen Ring: in dem all die sorgsam austarierten Sachargumente beider Seiten so gut wie bedeutungslos geworden sind.

Das Regelspiel der neu entbrannten Auseinandersetzung wird nur noch von einer einzigen Frage bestimmt: Akzeptieren wir ein Restrisiko – Ja oder Nein.

Seit 3/11 verläuft die Trennlinie zwischen denjenigen, die hinter der Sprechblase »Unfälle mit Großfolgen sind nach menschlichem Ermessen und unter Berücksichtigung unseres heutigen Wissens nahezu ausgeschlossen bla-bla-bla« in Deckung gehen, und denen, die geradeheraus bekennen: »Einen wie immer gearteten Unfall wollen wir auf gar keinen Fall.«

Rollentausch

"In seiner Folge hat sich auch die Trennlinie verschoben zwischen Kernenergie-Befürwortern und Atomkraft-Gegnern."

Interessant: Plötzlich waren die Rollen zwischen nüchternen Machern und emotional Bewegten vertauscht. Die Befürworter wollen zwar weiter Vorsorge betreiben, die Kanzlerin zeigt sich sogar zu Nachbesserungen bereit, Innenminister werden zu Gesprächen geladen, Kommissionen nehmen erneut ihre Arbeit auf – aber am Ende möchte man es explizit der Natur überlassen, was sie ins AKW-Drehbuch schreiben will oder nicht. Ob das gar nicht geleugnete Restrisiko einklagt wird oder nicht, soll der Lauf der Geschichte entscheiden. Man selbst glaubt einfach nur, dass es »sicher« und »höchstwahrscheinlich« niemals zu ähnlichen Havarien kommen wird auf deutschem oder gar europäischem Boden. Angelika Brunkhorst, Obfrau der FDP-Bundestagsfraktion im Gorleben-Untersuchungsausschuss, verstieg sich in einem Deutschlandfunk-Interview am Tag danach zu der Behauptung, sorgsam habe man in ganz Europa um alle erdbebengefährdeten Gebiete herumgebaut. (Offener Brief und Link zum Podcast)

Die Atomkraftgegner hingegen befinden sich nun in der – fast möchte man sagen: staatstragenden – Rolle derer, die Eigenverantwortung übernehmen und selbst bestimmen, ob sie atomare Unfälle zulassen möchten oder nicht. Die, die angeblich immer nur »gegen alles« sind, wie die Kanzlerin nicht müde wird zu behaupten, zeigen sich jetzt als die wahren Macher. Während die Befürworter merkwürdig passiv in der Abteilung Re-Aktion abgerutscht sind und zuwarten wollen, ob die Natur es gut mit uns meint, nehmen die »Contras« das Heftder Handlung in die Hand und sagen: »Wir wollen auf gar keinen Fall. Wir wollen kein vermindertes Restrisiko – wir wollen gar kein Restrisiko.«

Damit haben die Kampfetiketten ihren Platz gewechselt. »Befürworter« – einer vollständig neuen Energieversorgung – sind jetzt plötzlich die Atomkraft-Gegner: aktiv, innovativ, verantwortungsbewusst, vorsichtig. »Gegner« – einer Energiepolitik, die auch die kommenden Generationen im Blick behält – sind jetzt die  Kernenergie-Fans.

Statt Glaube und Hoffnung Wissen und Sicherheit

Eine Trennlinie auch mit religiösem Charakter. Die neuen Contras wollen glauben, man könne den Unwägbarkeiten Rechnung tragen und der Natur in die Karten schauen. Von »niemandem vorhersehbare Ereignisse« wie in Japan »wird es bei uns nicht geben«.

Die neuen Pros hingegen, die Befürworter einer gänzlich anderen Energiepolitik, sind a-religiös: Sie halten von Glaubenssätzen nichts. Sie wollen wissen. Sie wollen wissen, dass Flugzeuge nur noch auf leere Hüllen treffen, sollten sie doch einmal auf ein AKW stürzen. Sie wolllen wissen, dass Erdbeben gleich welcher Art den Verwüstungen, die sie nach sich ziehen, nicht auch noch den Horror atomarer Verseuchung heraufbeschwören. Sie wollen wissen, dass es kein Restrisiko gibt. Was selbstredend nur gänzlich ohne Atomkraftwerke zu haben ist.

Als Bremser von Fortschritt erscheinen jetzt Gläubige, die das Schicksal des Menschen fatalistisch in die Hände des Herrn der Wahrscheinlichkeiten legen: ein unberechenbarer Gott.

Als Befürworter von Fortschritt  erscheinen jetzt Nüchterne, die das Schicksal des Menschen in die Hand der einzigen stimmigen Rechnung legen, die die Kernenergie kennt: Desaströse Unfälle lassen sich nur dann sicher vermeiden, wenn es gar keine Reaktoren gibt.

Eine Entwicklung, die hoffen lässt.

(crosspost vom transblog)

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