von Wolfgang Michal, 5.1.10
Jede Verbesserung, die eine Gewerkschaft erreicht, und sei sie auch noch so klein, ist zunächst einmal zu begrüßen. Das ist die Aufgabe von Gewerkschaften. Dafür zahlen die Mitglieder ihre Beiträge. Aber im Fall der jetzt ausgehandelten Vergütungsregeln für freie Tageszeitungs-Journalisten ist die Verbesserung leider nur eine Zementierung längst unhaltbarer Zustände. Die Vergütungsregelung ist Augenwischerei.
Denn all die Amateure, die heute nebenberuflich, als Hobby, als Taschengeldaufbesserung oder aus Idealismus für 10 oder 15 Cent pro Zeile über Parteiversammlungen und Schützenvereinsfeste berichten, haben von der neuen Vergütungsregelung nichts. All die Hausfrauen, Schüler, Rentner, Pensionäre, Zahnarztgattinnen und Bürgerreporter, deren Zeilengeld durch die neuen Vergütungsregeln förmlich „explodiert“ wäre (von 15 auf 50 Cent!), sind überhaupt nicht betroffen. Die neuen Vergütungsregeln gelten allein für hauptberuflich tätige freie Journalisten.
Und solche kann es nach menschlichem Ermessen gar nicht geben!
Warum nicht? Nun, hauptberuflich freie Tageszeitungs-Journalisten sind nach Auffassung der Verhandlungspartner Menschen, die von maximal 1000 bis 1500 Euro brutto im Monat leben. Mehr ist mit den vereinbarten Honorarsätzen, wenn man seine journalistische Arbeit ernst nimmt, kaum zu erreichen.
Wer als freier Journalist z.B. eine 200-Druckzeilen-Reportage für eine größere Tageszeitung schreibt (Auflage 180.000 Exemplare), bekommt dafür ab 1. Februar 2010 (und vermutlich auch in den folgenden fünf bis zehn Jahren) „angemessene“ 240 Euro.
Hätte statt des Begriffs „angemessen“ der Begriff „Mindestlohn“ in den Vergütungsregeln gestanden, wäre gegen eine Festlegung gewisser Untergrenzen nichts einzuwenden gewesen. Aber „angemessen“ heißt eben „genau richtig“, „gerecht“, „anständig“. Und „anständig“ sind Mindestlöhne in der Regel nicht, sie markieren nur die Trennlinie zwischen Geringschätzung und Missachtung.
240 Euro berechnet inzwischen jeder durchschnittliche Handwerker für fünf Stunden Arbeitszeit. Eine Reportage aber (also eine, die sich aufgrund ihrer Merkmale auch Reportage nennen darf) kostet mit Vorbereitung, An- und Abreise, Vor-Ort-Recherche, Schreiben und Prüfen mindestens drei, vier Tage Arbeit. Ein freiberuflicher Journalist könnte im Monat – wenn’s hoch kommt – vier bis fünf solcher Reportagen schaffen. Wenn er recherchiert und schreibt wie ein Roboter. Und wenn er den Aufwand (zum Schaden der Leser) so gering wie möglich hält.
Ein hauptberuflich freier Tageszeitungsjournalist ist also in der Bundesrepublik Deutschland vergütungsmäßig nicht vorgesehen. Er ist sozusagen „unangemessen“. Denn er arbeitet entweder nicht frei oder nicht hauptberuflich oder nicht bei Tageszeitungen oder nicht als Journalist. Alle vier Merkmale gleichzeitig sind heute ungefähr so häufig wie ein vierblättriges Kleeblatt.
Holla, könnten die Verleger und Gewerkschaftsvertreter nun einwenden: ein freier Tageszeitungsjournalist kann in Zukunft gutes Geld verdienen – wenn er die Leitartikel der Zeitung schreibt! Ein Leitartikel in der Länge von 100 Druckzeilen bringt bei der oben genannten Tageszeitung laut Vergütungsregeln 150 Euro. 20 Leitartikel im Monat bringen 3000 Euro. Da kann man nicht meckern! Aber die Zahl der freien Journalisten, die in deutschen Tageszeitungen Leitartikel schreiben, dürfte gegen Null tendieren.
Bezahlt wird den Freien auch nicht das, was die Redaktionen bei ihnen bestellen, bezahlt wird nur das, was die Zeitungen drucken. Bestellt ein Blatt z.B. 200 Zeilen, und der zuständige Redakteur kürzt den Beitrag aus Platzgründen um die Hälfte, gibt’s auch nur die Hälfte des Honorars. Aber solche Gepflogenheiten kennen wir ja alle: Wenn wir im Lokal zwei Paar Weißwürste bestellen und lassen ein Paar unverzehrt liegen, verlangt der Wirt auch nur die Hälfte des Preises!
Es kommt noch besser: Möchte der Wirt die Weißwürste, die wir verzehrt haben, an Ort und Stelle honoriert sehen, dann sagen wir ihm einfach, die neuen Vergütungsregeln für Gastwirte würden festlegen, dass er sich bis zum Ende des nächsten Monats gedulden müsse. Da wird der Wirt herzergreifend lachen und uns eine Tube Senf in den Nacken drücken. Einem freien Journalisten aber bleibt das Lachen im Halse stecken. Druckt die Zeitung seinen Beitrag nämlich am 3. Februar, muss sie ihn erst am 31. März bezahlen. Und bleibt der bestellte und gelieferte Beitrag – aus Gründen, die der freie Journalist nicht zu verantworten hat – ungedruckt, kann der Verlag mit der Bezahlung drei Monate warten. In jeder anderen Branche würde da längst ein Mahnverfahren laufen.
In die neuen Vergütungstabellen haben die Verhandlungsführer die Online-Verwertung übrigens gleich mit eingepreist. Sie ist sozusagen im Kaufpreis für den Artikel enthalten. Denn das Internet scheint den Vertragsparteien im Jahr 2010 noch ein wenig zu frisch und zu unbedeutend zu sein, als dass man es schon eigens berücksichtigen müsste.
Als der Deutsche Journalistenverband vor sieben Jahren einen ersten Entwurf für gemeinsame Vergütungsregeln vorlegte, war das anders. Da gab es eine eigene (wenn auch schlechte) Online-Vergütung, und selbst die geforderten Zeilenhonorare lagen um zehn bis 20 Prozent über den als „angemessen“ präsentierten Vergütungssätzen von 2010.
So bleibt als Fazit: Wenn die einen (die Festangestellten) 30 Jahre lang jedes Jahr durchschnittlich 3 Prozent mehr bekommen und die anderen 30 Jahre lang nichts oder maximal 0,1 Prozent, dann ist eine kleine Verbesserung nach sieben mageren Verhandlungs-Jahren leider eine Zementierung der Verschlechterung. Freie hauptberufliche Journalisten brauchen heute mehr als nur minimale Zugeständnisse bei den Zeilen-Honoraren, sie brauchen ganz andere Honorare – solche, die sich an freien Berufen und Dienstleistungen orientieren und signifikant über den Hartz-IV-Sätzen liegen.
Andernfalls müsste man sagen: Hört auf, über Journalismus zu reden! Legt die Beine hoch und schaut fern!