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Die Macht des Establishments

von , 7.4.09


Berlin, im November 2013: Ein Minister der neuen Bundesregierung steht der Bundespressekonferenz Rede und Antwort. Hat noch jemand eine Frage? Ja, der Kollege da vorn. Der Journalist stellt sich vor und fragt nach den Plänen des Ressortchefs – ach nein, das ist ja gar kein Journalist. Es ist ein Blogger, der neuerdings zwischen den Korrespondenten von Zeitungen und Onlineportalen sitzt und am alten Frage-Antwort-Spiel teilnimmt.

Eine Zukunftsvision? Danach sieht es aus. Denn wenn heute auch so mancher deutsche Journalist nebenher bloggt und viele Blogger inzwischen auf hohem Niveau schreiben, ist der Einfluss von unabhängigen Bürgerjournalisten noch gering. Kein Blogger ist bislang Mitglied der Bundespressekonferenz – zumindest kein reiner Blogger ohne etablierten Verlag oder Sender im Rücken. Anders in den USA: Im Pressekorps des Weißen Hauses sitzt inzwischen auch Sam Stein, ein Reporter der „Huffington Post“, des derzeit einflussreichsten Blogs des Landes. Der amerikanische Comedian Jon Stewart machte sich neulich in seiner Sendung darüber lustig – aber nur vordergründig, denn tatsächlich nahm er die etablierten Medien aufs Korn. Stewart zeigte die Bilder einer Pressekonferenz von US-Präsident Barack Obama vor dem Pressekorps und bemerkte ironisch, so ein Sam Stein würde doch vermutlich nur einen Link zur Frage des „New-York-Times“-Reporters setzen. Weit gefehlt: Stein ging den Präsidenten offensiv an und fragte, ob er dafür sorgen würde, dass die Missetaten der Bush-Regierung untersucht würden. Der Reporter der etablierten „Washington Post“ bat Obama hingegen um einen Kommentar zum Fall eines beim Doping erwischten Baseball-Stars. Der Fairness halber muss jedoch erwähnt werden: Auch Stein ist gelernter Journalist und schrieb vorher für das „Newsweek-Magazine“. Und die „Huffington Post“ ist auch nicht irgendeine Online-Klitsche: Ihre Gründerin Arianna Huffington ist Millionärin und hat kräftig ins Personal investiert – der größte Kostenfaktor eines Online-Mediums.

In Deutschland ist „online“ im Wahlkampf zwar auch das große Zauberwort: Die Parteien suchen die sozialen Netzwerke im Internet zu durchdringen und lassen auf Youtube die Puppen tanzen – doch fragt man nach den Meinungsmachern unter den Medien, so sind es immer noch die altbekannten: „Auch heute gilt noch die Schrödersche Weisheit, nach der es auf ,Bild, Bams und Glotze‘ ankommt“, sagt dpa-Chefredakteur Wilm Herlyn. Zu ergänzen, so Herlyn, seien heute allerdings die Onlinemedien. Doch sind Internet-Portale meist nur da starke Spieler geworden, wo Verlage ihr Engagement offensiv ins Internet ausgedehnt haben. Davon zeugt der Erfolg von „Spiegel Online“: Das Portal kann sich über die meisten „Unique User” bei den Nachrichtenseiten freuen, das heißt über die höchste Zahl der Seitenaufrufe: Mehr als fünf Millionen sind es monatlich. Allerdings arbeiten auch 80 Redakteure bei dem Marktführer.

Doch ohne Quersubventionierung aus dem Printsegment wäre es mit der Meinungsmacht der meisten großen Onlineportale noch nicht weit her. Auch „Spiegel Online“ profitiert stark von der Verlängerung der Marke „Spiegel“ ins Netz. Können unabhängige Blogger da mithalten? „Die Online-Auftritte der klassischen Leitmedien sind noch die dominanten Akteure der Netzkommunikation“, sagt Robin Meyer-Lucht, der mit seinem „Berlin Institute“ Medienhäuser berät und den Blog „Carta“ ins Leben gerufen hat. „Der Journalismus hat aber die alleinige Definitionsmacht darüber verloren, wer mitreden darf und über was. Blogger können daher durchaus entscheidende Impulse geben“, sagt Meyer-Lucht. „Eine deutsche Mayhill Fowler halte ich im Wahljahr für nicht unwahrscheinlich.“ Mayhill Fowler, ebenfalls „Huffington“-Bloggerin, hatte während des US-Vorwahlkampfs einen „Scoop“ gelandet: die Exklusivmeldung, dass der damalige Kandidat Obama bei einem Dinner gesagt habe, einige Amerikaner würden sich „an die Religion und an ihre Waffen klammern“.

"Ohne Quersubventionierung aus dem Printsegment wäre es mit der Meinungsmacht der meisten großen Onlineportale noch nicht weit her."

"Ohne Quersubventionierung aus dem Printsegment wäre es mit der Meinungsmacht der meisten großen Onlineportale noch nicht weit her."

Professionalität als Plus

Letztlich ist die konstante Qualität aber das große Plus der journalistischen Internet-Medien. „Bei Quellen wie Blogs und Wikipedia kann man nach wie vor nicht sicher sein, dass Profis am Werk sind“, sagt die Nürnberger Kommunikationswissenschaftlerin Christina Holtz-Bacha. Dass ein Spaßvogel im frei editierbaren Online-Lexikon Wikipedia Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg zusätzlich zu seinen zehn Vornamen noch den elften Vornamen „Wilhelm“ angedichtet hatte, was zahlreiche Medien prompt übernahmen, sei „symptomatisch“, meint Holtz-Bacha. Ein Ruhmesblatt für die etablierten Schreiber, die an dem „Wilhelm“ nicht zweifelten, ist es allerdings auch nicht.

Fernsehen dominiert

Doch dominieren im Wahljahr letztlich wohl ganz andere Medienmacher: „Wir werden im Sommer wieder einen Wahlkampf haben, der sich vor allem im Fernsehen abspielt“, sagt Christoph Bieber, Politikwissenschaftler und Betreiber des Blogs „Internet und Politik“. „Die TV-Duelle werden als zentrales Ereignis im Fokus stehen“, sagt Bieber. So sieht es auch Medienberater Michael Spreng, der im Wahlkampf 2002 Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber beraten hat: „Man darf nicht vergessen, dass einem Fernseh-Duell 20 Millionen Menschen zusehen. Auf eine solche Reichweite kommt nicht einmal die ,Bild-Zeitung‘.“ Schließlich sei es für Politiker äußerst wichtig, im Wahlkampf Bilder zu produzieren, die von einem großen Publikum wahrgenommen werden – und da macht es durchaus noch einen Unterschied, ob der Mediennutzer Texte und Bilder im Internet gezielt suchen muss oder ob er sie vorgesetzt bekommt, sobald er den Fernseher einschaltet. Das Wort von ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender oder ARD-Chefredakteur Ulrich Deppendorf hat somit auch weiterhin erhebliches Gewicht im Wahljahl.

Der politische Streit um Brender hat eindrucksvoll belegt, welchen Einfluss die Parteien Meinungsmachern wie ihm zuschreiben. Aber auch der Einfluss anderer klassischer Medienmacher sollte nicht unterschätzt werden: So haben zum Beispiel die Nachrichtenagenturen wegen ihrer enormen Reichweite noch immer große Bedeutung für Wahlkämpfer. Gelingt es diesen, ihre Forderungen, Meinungen und Statements über die Agenturen zu verbreiten, können sie sicher sein, dass sie in sämtlichen Medien präsent sind. Nach wie vor können Nachrichtenagenturen die Agenda bestimmen, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: über die Tages- und Wochenvorschauen zum Beispiel, in denen die wichtigsten politischen Termine angekündigt werden. „Die Nervosität der anderen Seite ist im Wahljahr durchaus zu spüren“, sagt dpa-Chefredakteur Herlyn. „Anrufe aus den Parteizentralen bei unseren Redakteuren und Korrespondenten häufen sich dann.“ An die dpa würden zu Wahlkampfzeiten verstärkt auch Interviewwünsche herangetragen. „Die Medienstrategen der Parteien wissen sehr genau, wen man wann ansprechen muss“, sagt Herlyn. Die Agenturen sind dabei das, was Experten „Gatekeeper“ nennen: Türsteher, welche die eine Nachricht durchlassen und die andere nicht. Und hier entscheidet am Ende die journalistische Relevanz.

Dieser Text stammt aus der Fachzeitschrift "politik & kommunikation"

Nicht zu unterschätzen ist überdies die Macht der Nachrichtenagenturen, den Sprachgebrauch zumindest der Journalisten zu beeinflussen. Zugunsten der Medienhäuser, die mehrere Nachrichtenagenturen abonniert haben, stimmen diese sich untereinander ab, und zwar über Fragen der Rechtschreibung, aber eben auch über die Verwendung von Begriffen: So verständigten sie sich nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 2006 darauf, die Koalition zwischen Union und SPD nicht „Große Koalition“ zu nennen, wie es bei dieser Konstellation bis dato üblich war. Die SPD war nämlich nur drittstärkste Kraft hinter der Linken geworden. Der Vorschlag stammte vom stellvertretenden ddp-Chefredakteur Rainer Höhling, der früher für die DDR-Nachrichtenagentur ADN gearbeitet hat. Im Zusammenspiel mit den Agenturen können auch die Regionalzeitungen wichtige Ansprechpartner für Wahlkämpfer werden – in der heißen Phase des Wahlkampfs sogar die wichtigsten. Michael Spreng: „Edmund Stoiber hat 2002 in den letzten 14 Tagen vor der Wahl noch 30 Interviews mit Regionalzeitungen geführt.“ Interviews oder Bürgersprechstunden vor Ort seien das beste Mittel, Nähe zu den Wählern herzustellen. Darauf, dass die Redaktionen Vorab-Meldungen mit den prägnantesten Zitaten an die Agenturen geben, können die Politstrategen sich verlassen, ist es doch auch für die Zeitung wichtig zu demonstrieren, dass sie über exklusive Informationen verfügt.

Dass die Parteien sich diesmal besonders intensiv um eine totale Durchdringung des Internets bemühen, ist vor allem dem Wunsch geschuldet, umfassende Präsenz zu zeigen und nach US-Vorbild Mitglieder zu mobilisieren. Beim Bemühen um mediale Präsenz werden sie allerdings auch selbst zu Lieferanten von Inhalten wie viral verbreiteten Videospots – etwa dem Film, in dem die CDU sich darüber lustig machte, dass SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier von seinen Genossen jetzt nur noch Frank Steinmeier genannt werde. Solche Inhalte produzieren die Parteien selbst; sie setzen darauf, dass die Medien sie aufgreifen. Im Falle des Steinmeier-Clips ging die Rechnung auf: Er war bald auf den Webseiten von „Welt“, „Financial Times Deutschland“ und anderen zu sehen. „Wir reden viel von Bürgerjournalismus“, kommentiert Christoph Bieber solche Aktionen, „doch vergessen wir darüber den Politikerjournalismus.“ In den Parteizentralen säßen nicht mehr bloß Funktionäre, die Pressemitteilungen tippen würden, nein: „Die Parteien binden verstärkt gelernte Journalisten ein.“ Der etablierte Journalismus werde inzwischen von zwei Seiten in die Zange genommen, von Bürgerjournalisten auf der einen und Politikern auf der anderen, meint Bieber. „Schauen Sie sich die wirklich guten Fotos von Obamas Siegesrede bei ,flickr.com‘ an – die hat nicht etwa ein Pressefotograf gemacht, das war jemand aus der Kampagne.“ So würden die Grenzen zwischen Politwerbung und Publizistik verschwimmen.

Vorgetäuschte Modernität

Dass Parteistrategen wie SPD-Bundesgeschäftsführer Kajo Wasserhövel oder sein Pendant bei der FDP, Hans-Jürgen Beerfeltz, nicht müde werden, die Bedeutung des Internets zu betonen, erweckt allerdings den Eindruck, dass da keine reinen Online-Überzeugungstäter am Werk sind, sondern dass die Wahlkämpfer sich vor allem heftig um ein frisches Image bemühen. „Die Parteien täuschen Modernität vor, um als ,en vogue‘ zu erscheinen“, sagt Michael Spreng. „Was die SPD derzeit im Internet alles macht, ist aber nicht schlecht“, findet der Medienberater. Und auch Robin Meyer-Lucht verweist darauf, dass der Auftritt von Politikern im Internet per se schon Stoff für die Medien sei, was man im Fall des hessischen SPD-Spitzenkandidaten bei der Landtagswahl, Thorsten Schäfer-Gümbel, gesehen habe. Dieser hatte gebloggt, den Blogging-Dienst „Twitter“ für Kurznachrichten genutzt und Videos bei Youtube eingestellt. „Wenn die Wahl vorbei und damit die Aufmerksamkeit wieder weg ist, lässt das schnell nach“, sagt Meyer-Lucht. Ein Teil der Inszenierung also, den die Medien dankbar annehmen.

Michael Spreng, der elf Jahre lang Chefredakteur der „Bild am Sonntag“ war, ist inzwischen selbst unter die Blogger gegangen: Sprengs Blog namens „sprengsatz.de“ erfreut sich einer gewissen Beliebtheit und erhielt sozusagen den Ritterschlag einer Empfehlung von „Bildblog“-Macher Stefan Niggemeier. Über die Bedeutung der Blogosphäre hierzulande macht Spreng sich allerdings keine Illusionen: „In Deutschland sind wir bei den politischen Blogs entweder weit hinterher – oder sie sind langweilig. Ich glaube, dass die Bedeutung im Wahlkampf zunehmen wird, doch zur vollen Blüte wird es erst 2013 kommen.“

Sebastian Lange ist Chefredakteur des Fachmagazin “Politik & Kommunikation”, wo auch dieser Text erschienen ist. Abo-Infos hier.

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