von Wolfgang Michal, 17.9.12
Abgesehen von einigen Berliner Journalisten, die sich gebauchpinselt fühlen, wenn sie sich im Dunstkreis „der großen Politik“ aufhalten dürfen, wird „die K-Frage“ der SPD vermutlich niemanden wirklich interessieren. Das alberne Getue mancher Medien, die SPD zu einer vorzeitigen Festlegung auf einen Kanzlerkandidaten zwingen zu wollen, enthüllt allerdings eine doppelte Notlage: Die SPD hat 2013 außer der Beantwortung der K-Frage nicht viel anzubieten, und die Medien haben außer der ständigen Wiederholung der K-Frage offenbar keine weitergehenden Fragen an die SPD.
Woran mag das liegen? An den Medien? An der SPD? An der unangefochtenen “Patin”?
Laut der neuesten Meinungsumfrage von Emnid rangieren die Konservativen mittlerweile zwölf Punkte vor den Sozialdemokraten. CDU und CSU kommen danach auf 38 Prozent, die SPD erreicht 26 Prozent. Sollte die Beliebtheit der „Kanzlerin der Herzen“ weiter anhalten, wird es mit ziemlicher Sicherheit zu einer Neuauflage der Großen Koalition kommen, mit Peer Steinbrück als Superminister für Wirtschaft und Finanzen und Frank-Walter Steinmeier als SPD-Fraktionschef. Sigmar Gabriel kann dann seine zweite Babypause in vollen Zügen genießen.
Die Reihen fest geschlossen
Gemeinsam werden Peer Steinbrück und Angela Merkel dann die Mehrwertsteuer um einen Schuldentilgungs-Soli erhöhen, politisch flankiert und sozial abgemildert durch einen ausgeweiteten Mindestlohn und eine eher symbolische „Reichensteuer“. Gemeinsam und korporativ werden die beiden Politiker Deutschland durch die europäische Krise bugsieren, denn diese Krise verlangt offenbar ein Zusammenrücken der Parteien nach altbewährtem Muster. Vor knapp hundert Jahren, in einer anderen denkwürdigen europäischen Groß-Krise, erklärte Kaiser Wilhelm II.:
„Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche! Zum Zeichen dessen, dass Sie fest entschlossen sind, ohne Parteiunterschied, ohne Stammesunterschied, ohne Konfessionsunterschied durchzuhalten mit mir durch dick und dünn, durch Not und Tod zu gehen, fordere ich die Vorstände der Parteien auf, vorzutreten und mir das in die Hand zu geloben.“
Der weitaus größte Teil der SPD trat damals vor und gelobte feierlich. Und jener winzige Teil, der nicht geloben wollte, steht längst schon außerhalb der Partei.
Der europäische „Einigungsprozess“ – das ist das Paradoxe an ihm – erzeugt in den von der Krise betroffenen Ländern ein patriotisches Zusammenrücken der Parteien. Die Opposition sitzt nicht mehr im heimischen Parlament, sondern im benachbarten Ausland. Oft sind es gerade die Bruder- und Schwesterparteien der eigenen Couleur, die am schärfsten opponieren – in Athen oder London, Prag oder Lissabon, Paris oder Rom. Die mit viel Pathos gegründeten europäischen Parteien – EVP, SPE, ELDR, EGB, EAF, EL und wie sie alle heißen mögen – haben nichts zu melden. Es sind reine Briefkastenparteien.
Stillhalten im nationalen Interesse
Da die Deutschen ihrer Kanzlerin zwar vertrauen, aber doch ein wenig Sorge haben, sie könnte in der Krise zaudern oder sich von den Regierungen in Frankreich, Italien, Spanien (oder gar von der EU-Kommission und der EZB) finanziell über den Tisch ziehen lassen, möchten die Bürger zur Sicherheit den schneidigen Kavallerie-Kommandeur Peer Steinbrück an ihrer Seite wissen. Helmut Schmidt hat das so angeordnet.
Das heißt: Die Medien werden sich in den kommenden vier Monaten mit einer längst schon entschiedenen Personalfrage beschäftigen. Und in den neun Monaten danach – von der Niedersachsen-Wahl im Januar bis zur Bundestagswahl im Herbst – wird es darum gehen, wie die Rollen innerhalb der nächsten Großen Koalition verteilt werden – wie zwischen Koch und Kellner oder wie zwischen Siegfried und Roy.
Die wahre Machtverschiebung (oder besser: Ohnmachtverschiebung) könnte also zwischen den vier künftigen Oppositionsparteien stattfinden, zwischen Grünen, Linken, FDP und Piraten. Doch alle vier machen sich derzeit Hoffnung, auf irgendeine Weise in die nationale Rettungsallianz mit eingebunden zu werden: Grüne und FDP als reguläre Koalitionspartner, Linke und Piraten als Tolerierungsparteien. Die Folge dieser politischen Hoffnung wird ein Stillhalteabkommen zwischen Fundis und Realos in allen vier Parteien sein. Der innerparteiliche Wettbewerb um die bessere Politik wird damit auch in den kleineren Parteien weitgehend zum Erliegen kommen.
Bleibt als einzig wirklich kontroverses Thema die Festlegung eines geeigneten Wahltermins. Weil es im Herbst 2013 vor allem um Deutschland geht, um seine (Führungs-)Rolle im kriselnden Europa, könnte der Wahltermin erstmals nicht auf einen Sonntag, sondern auf einen nationalen Feiertag fallen: auf den 3. Oktober. Ich sehe da bereits ein schwarz-rot-goldenes Energiesparlämpchen in einigen Beraterköpfen aufleuchten. Gleich morgen wird die Bildzeitung den Zauber dieser tollen Idee für sich reklamieren…