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Das digitale Fließband – mit der zweiten Industriellen Revolution zur Clickworker-Gesellschaft

von , 9.7.10

Gerne fangen wir ja Artikel mit Definitionen aus der Wikipedia an. Warum nicht auch in diesem Fall: Laut Wikipedia ist also „Das Fließband (oder die Fließbandfertigung) eine Fertigungsablaufart, die in der industriellen Fertigung von Massengütern angewendet wird. Sie stellte eine Spezialisierung der Fließfertigung dar, in der die einzelnen Produkte jeweils einzeln, oft kontinuierlich, von einem Arbeitssystem zum nächsten gefördert werden.“ Das trifft es. Und als Henry Ford sein Modell T mit dieser Methode produzierte, verschaffte ihm das einen erheblichen Wettbewerbsvorteil. Denn jetzt war er in der Lage, genormte Wagen, in hoher Stückzahl zu einem geringen Preis anzubieten.

Richard Rosenblatt und Shawn Colo, die Gründer von Demand Media sind so etwas wie die Henry Fords des digitalen Zeitalters. Statt Autos produzieren sie Inhalte, bzw. lassen sie produzieren, und zwar von Werktätigen, die ähnlich eingesetzt werden, wie die Arbeiter von Henry Ford.

Demand Media: die Henry Fords des digitalen Zeitalters – statt Autos produzieren sie Inhalte. Foto: Jim Crocker (cc by-nd)

Erstaunliche Parallelen lassen sich zwischen der Industrialisierung der Fertigung von analogen und digitalen Gütern beobachten. Zunächst schaffen technische Erfindungen und neue Infrastrukturen, also neue Netze die Voraussetzungen für den arbeitsteiligen Produktionsprozess. Anschließend werden Teile der vormals handwerklichen Fertigung durch automatische Prozesse ersetzt. Aus dem Handwerker wird der Arbeiter, der selbst nicht mehr als ein Produktionsmittel ist und weder den gesamten Produktionsprozess beherrscht noch alle Schritte kennt oder versteht.

Der Inhaber der Produktionsanlagen – nennen wir ihn ruhig Kapitalist – bringt sich dadurch in die vorteilhafte Lage, dass er Einzelne aus den Vielen, die für ihn arbeiten jederzeit ersetzen kann. Der Einzelne aber – so lange er sich nicht organisiert – so gut wie keine Einflussmöglichkeiten auf die Parameter der Arbeit hat.

Nicht nur Demand Media nutzt diese Logik für sich aus. Mehr und mehr Nachahmer wenden das Prinzip der digitalen Arbeitsteilung auf unterschiedliche Art und Weise an. Immer arbeiten die Vielen für den Einen, was dann euphemistisch mit dem Begriff Crowdsourcing umschrieben wird. Doch immer bleibt die Crowd, die Namenlose Masse, wie in den Fabriken des 19. Jahrhunderts.

Andre Zalbertus, der Gründer von wiegehtdas.tv, nennt sein kürzlich gegründetes Unternehmen folgerichtig auch gleich eine virtuelle Fabrik. Auf der Seite selbst heißt es „Melden Sie sich an, teilen Sie Ihr Wissen und Ihre Erfahrungen und werden Sie ein anerkannter Experte in der ‚wiegehtdas.tv‘-Ratgeber-Community“. Wer es dann zum „zugelassenen Experten“ bringt, darf aus einer Liste von Themen wählen und dazu entsprechende Artikel oder Videos erstellen. Die Liste liefert die Maschine, besser gesagt ein Algorithmus, der Suchanfragen im Web auswertet.

Im Interview mit heise.de spricht Zalbertus dann auch unumwunden vom: „einer digitalen Revolution, die auch die Strukturen der jetzigen Medienlandschaft grundsätzlich verändert wird.“

Da könnte er vielleicht sogar Recht haben. Das Angebot clickworker.com beispielsweise ist mit dem Aufbau seines Inhaltefließbandes schon ein gutes Stück weiter. Hier werden die Menschen, die die Inhalte bedarfsgerecht erstellen, von vornherein Worker genannt. 40.000 sind es bereits, die ihre Arbeit in den Dienst des Unternehmens stellen – welches witziger Weise als humangrid GmbH firmiert.

Sie erhalten von den Disponenten der Inhaltefabrik sogenannte Mikrojobs, die sie dann zu Hause vorm Rechner abarbeiten. Das können Gebrauchstexte sein, Übersetzungen und Verschlagwortung von Texten oder Webrecherchen. Ein teilautomatisiert Prozess sorgt dann für Qualitätskontrolle und Auslieferung an den Kunden. Anders als der Industriearbeiter in der Autoproduktion erhalten Clickworker aber keinen Arbeitsvertrag.

Crowdsourcing ist immer freiwillig. Es wäre sicher böse, sich an dieser Stelle zu überlegen, ob da nicht eine gewisse Entfremdung bei den Workern entsteht, die unter Zeitdruck alle am Computer ihre Arbeit verrichten müssen, um etwas zu verdienen. Immerhin sind bei „geübten und schnellen Bearbeitern 10 Euro und mehr pro Stunde drin“, wie Geschäftsführer Wolfgang Kitza im Interview erklärt.

Die industrielle Produktion von digitalen Inhalten ist sozusagen der Nachzügler der industriellen Revolution und bedient sich ausgerechnet des Internets als wichtigstem Produktionmittel, von dem eigentlich behauptet wird, es führe zur Emanzipation der Massen von ihren Fürsten, zu mehr Individualität und zu dezentralen Strukturen.

Wo das hinführt? Sicher nicht zur ersten Clickworker-Gewerkschaft, vorerst. Denn das Verständnis von den Möglichkeiten des Webs und den Entwicklungen im Bereich der Arbeitswelt ist auf Gewerkschaftsseite leider noch nicht besonders gut ausgebildet.

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