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Die FAZ und der doppelte Hegemann

von , 9.2.10

Über den des Plagiats beschuldigten Debüt-Roman der 17-jährigen Helene Hegemann – „Axolotl Roadkill“ – schrieb die begeisterte Rezensentin der FAZ am 22. Januar: Dieses Buch ist „ein großer Coming-of-Age-Roman der Nullerjahre“, auf Augenhöhe mit „Bonjour Tristesse“ und „Der Fänger im Roggen“. Wow!

Hegemann, so die FAZ-Autorin, habe „vor allem eins geschafft: Die platt geredeten Wörter, die angestrengt alternativen Attitüden in Kunst, Kritik, Kleidung und die dahinter versteckten, vorsichtig eingezäunten Erwartungen, all das, was schon hundertmal gedacht, gesagt, getan und getragen wurde, hat sie aufgesogen, gebündelt und in etwas ganz Neues, Unerhörtes verwandelt, in den Ansatz zu einer Literatur, die nicht trotz, sondern wegen ihrer Härte, Brutalität und Vulgarität schön ist. Helene Hegemann zielt mit ihrem Buch mitten in den Kern unserer Konsenskultur.“ (Hervorhebungen durch Carta)

Intuitiv hatte die kluge Rezensentin der FAZ, Mara Delius, schon vor dem „Skandal“ erfasst, was das Buch ausmacht: es ist ein genialer (auch genial unverfrorener) Remix, ein Mash-Up, ein Sampling – eine gefühlsechte Imitation eines echten Lebensgefühls. „Mir wurde eine Sprache einverleibt, die nicht meine eigene ist“, schreibt (andeutend?) die Protagonistin des Romans, „es sind so viele Gedanken da, dass man seine eigenen gar nicht mehr von den fremden unterscheiden kann.“ Aufsaugen und Bündeln, Abschauen, Abschreiben, Mixen und Montieren sind hier offenbar geglückt. Die Autorin, so Hegemanns Verlag Ullstein, sei schließlich „mit der Sharing-Kultur des Internets aufgewachsen.“

Die „Sharing-Kultur des Internets“ macht allerdings kein Hehl daraus, dass sie aus Bruchstücken zusammengesetzt ist – während die Besitz-Kultur des Feuilletons oft so tut, als sei alles auf dem eigenen Mist gewachsen. Bleiben wir also bei der FAZ.

Was ist „der Kern unserer Konsenskultur“? Jener Kern, den Helene Hegemanns Roman angeblich trifft und pulverisiert? „Der Kern unserer Konsenskultur“ oder besser: Der Konsens unserer Kernkultur ist das Urheberrecht. Und dieser Konsens wird in der kernkulturellen FAZ normalerweise mit Zähnen und Klauen verteidigt.

Gut in Erinnerung ist z.B. der FAZ-Autor Jan Hegemann. Der Rechtsanwalt schrieb – pro domo – ein fulminantes Plädoyer zur Schaffung eines originären Leistungsschutzrechtes für Presseverlage. Die Verlage, so Hegemann, dürften im Internet nicht länger hemmungslos beklaut werden. In seinem Plädoyer fand sich auch der Satz: „Internet-Anbieter übernehmen kurzerhand ganze Artikel aus Presseerzeugnissen und stellen diese den Lesern in Form so genannter ‚Rip-Offs’ zur Verfügung, ohne dass auch nur eine Quellenangabe erfolgt.“

Das ist das Prinzip Helene: Aufsaugen, abschreiben, bündeln – ohne Quellen zu nennen. Unrecht, und dennoch „große Literatur“.

Der Widerspruch muss der FAZ irgendwann aufgefallen sein. Dass das Blatt mal so, mal so argumentiert: Diebstahl von geistigem Eigentum ist gut, wenn daraus Literaturwunderliteratur entsteht (die ein Verlag extrem gut verkaufen kann); Diebstahl von geistigem Eigentum ist schlecht, wenn der Verlag der Beklaute ist (das verhagelt nämlich die Bilanz).

Welchen Ausweg bietet die FAZ aus der eigenen Doppelmoral? Nun, Felicitas von Lovenberg, Ressortleiterin Literatur und Literarisches Leben, hat ihn gefunden: Das Buch der 17-jährigen Helene sei im Grunde ein Segen, weil jetzt diese ganzen verdammten Blogger endlich am eigenen Leib erleben würden, wie das ist, wenn man schamlos beklaut wird. Felicitas von Lovenberg drückt das natürlich etwas gebildeter aus: Sie sagt: „Möglicherweise wird die Rezeptionsgeschichte des Romans nun allerdings auch davon handeln, wie nahtlos der Übergang von Opfer zu Täter sein kann und so einen Reifeprozess gerade in jenem Bereich einläuten, wo bisher in Urheberrechtsfragen nur Chaos herrscht – im Internet.“

Chapeau! Der beklaute Blogger Airen wird jetzt sehr ernsthaft über sich und sein Chaos-Internet nachdenken müssen. Selbst schuld! So viel argumentative Dreistigkeit hätte man der FAZ gar nicht zugetraut.

P.S. Ein Gespräch mit dem Blogger Deef Pirmasens, der als erster auf die Ähnlichkeiten zwischen den Romanen „Axolotl Roadkill“ und „Strobo“ hingewiesen hat, findet sich hier.

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