#Abwrackprämie

Die FAZ enthüllt’s: Ludwig Erhard-Intimus hätte Abwrackprämie befürwortet

von , 14.4.09


Der Berliner Anwalt und Kunstkenner Peter Raue (Foto) ließ sich unlängst mit dem Satz vernehmen, zwischen Reichstag und Grill Royal spreche man „über die Krise höchstens als Phänomen, nicht als Sorge“. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass wir einfach so weiter machen wie bisher. Zum Beispiel bei der Abwrackprämie: Ungeachtet der Skepsis nicht weniger Ökonomen und Ökologen (mehr dazu auf CartaWeissgarnix und Spiegel Online) stellt der Bund bis Jahresende weitere 3,5 Mrd Euro (zuzüglich 700 Mio Euro für die daraus resultierende Zinslast) bereit, um das Schwungrad des wie von Zauberhand beflügelten Autoabsatzes am Laufen zu halten. Des Zuspruchs der Automobilindustrie, ihrer Beschäftigten und nicht zuletzt der IG Metall kann sich die Große Koalition infolge dieser Politik sicher sein – ein Schelm, wer dabei an den 27. September denkt.

Indes wird über die Tatsache, dass die ohnehin schon ausgepressten öffentlichen Haushalte durch die Abwrackprämie noch mehr geschröpft werden, in diesem Land gar nicht mehr diskutiert. Tapfere Verteidiger einer budgetären Austerität wie etwa Otto Fricke von der FDP oder Michael Fuchs von der Union werden kurzerhand als Spielverderber an den Rand gedrängt. Von dort könnten Kassandras Rufe allerdings bald als Bumerang zurückkehren: Wenn die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr tatsächlich um vier oder mehr Prozent zurückgeht, dann führt das zu Steuerausfällen von bis zu 25 Mrd Euro. Vom Ziel eines ausgeglichenen Haushalts ist Deutschland dann etwa so weit entfernt wie Bayern München von der nächsten Runde der Champions League.

Den Bundesfinanzminister scheint dies nur bedingt zu kümmern. Zwar treibt auch ihn die Sorge um, dass „diese wahnsinnigen Kredite, welche die Staaten jetzt aufnehmen“, durchaus „zur nächsten Krise führen (können), wenn wir nicht aufpassen“ – so Peer Steinbrück im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 12.4.2009. Deshalb will der SPD-Politiker „die in den Markt gepumpte Liquidität“ bei nächster Gelegenheit auch „wieder einsammeln“.

Geradezu genüsslich spricht Steinbrück aber ein paar Absätze weiter von der sich verbreitenden „Auffassung, dass die herrschende Theorie der letzten 10, 15 Jahre vom abgemagerten Staat die falsche war“. Man müsse fortan „den Korridor definieren, in dem der Markt seine Kraft entfalten kann“. Schließlich sei es der Markt gewesen, der die Aktionäre der Hypo Real Estate enteignet habe – und nicht „der böse Staat“. Der sei ja erst eingeschritten, als der Aktienkurs am freien Markt schon in den Keller gefallen sei.

Dass der Markt für Enteignungen sorgt, war uns so noch nicht bewusst (mehr hier). Noch irritierender jedoch nimmt sich die Mühelosigkeit aus, mit der der raumgreifende Paradigmenwechsel hin zum allmächtigen Staat alle Hürden zu nehmen scheint. So zitiert im österlichen Feuilleton der FAZ Thomas Strobl absätzelang aus Alfred Müller-Armacks (Foto) „Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft“ (erschienen 1946), nur um den Nachweis zu erbringen, dass selbst die Urväter der sozialen Marktwirtschaft von Anfang an gegen „jegliche Hochstilisierung der Marktwirtschaft zum gesellschaftlichen Kult“ gewesen seien.

Die Marktwirtschaft sei „nur ein überaus zweckmäßiges Organisationsmittel, aber auch nicht mehr“, heißt es bei dem in Münster lehrenden Nationalökonomen Müller-Armack. Dem späteren Staatssekretär in Ludwig Erhards Bundeswirtschaftsministerium zufolge wäre es „ein verhängnisvoller Irrtum, der Automatik des Marktes die Aufgabe zuzumuten, eine letztgültige soziale Ordnung zu schaffen“, zitiert Strobl weiter aus Müller-Armacks Werk und jubiliert geradezu aufgrund weiterer Fundstellen: Ob Mindestlöhne oder Reichensteuer, Kinderbeihilfen oder Mietzuschüsse – Müller-Armack habe einer umverteilenden Wirtschafts- und Sozialpolitik „große Spielräume“ zugebilligt.

Na super. Wenn schon die FAZ für solcherart aus dem Zusammenhang gerissenen Zitate einen Aufmacher reserviert, dann können wir wohl bald einpacken. Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen: Da wird, ohne dass er sich wehren könnte, einer der Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft quasi zum Taufpaten der Abwrackprämie gemacht. Diese Krise ist wirklich – um noch einmal Peter Raue zu bemühen – ein „Phänomen“. Schlimm nur, dass eine entscheidende Frage nicht gestellt wird: Wer übernimmt eigentlich die politische Haftung für die gigantischen Schuldenberge, die die nachfolgenden Generationen vorfinden werden? Wir harren der Antwort und konstatieren: Die Nachrichten vom schleichenden Absterben marktwirtschaftlicher Überzeugungen können nicht als stark übertrieben bezeichnet werden.

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