#Arbeit

Die Fans von ihrem Dorf

von , 20.6.14

Vor zwei Jahren gab es dieses bescheuerte Mem über Berufe. Sechs Bilder aus verschiedenen Perspektiven. Dazu immer die Frage, wie unterschiedliche Menschen sich das vorstellen, was man in diesen Berufen den ganzen Tag so macht. Eltern, Freunde, Kollegen, die Gesellschaft. Unter dem vorletzten Bild steht immer: Was ich selbst denke. Unter dem letzten: Was ich wirklich mache.

In der Bilderserie über Journalisten sind auf dem vorletzten Foto Robert Redford und Dustin Hoffmann als Bob Woodward und Carl Bernstein zu sehen – die beiden Reporter, die den Watergate-Skandal aufgedeckt haben. Das letzte Bild zeigt einen telefonierenden Mann am Schreibtisch, der Hörer klemmt zwischen Schulter und Wange. Vermutlich spricht er gerade mit dem örtlichen Autohaus, das als Dank für das Sponsoring einen kleinen Bericht in der Zeitung bekommt.

Wenn das eigene Idealbild den Dingen widerspricht, die man täglich so macht, läuft irgendwas falsch. Küchenpsychologen würden sagen: Es entstehen kognitive Dissonanzen. Und so ein Leben ist voll davon.

Das fängt schon morgens an, wenn man mit dem Sohn das Haus verlässt und im Treppenhaus noch mal fragt: „Wo ist denn dein Fahrradhelm?“ Das Kind holt den Helm, unten vor der Haustür sagt es: „Papa, aber eigentlich müsstest du auch einen tragen.“ Natürlich weiß man das. Da hat das Kind recht. Aber man kauft sich trotzdem keinen, sondern raucht vor Schreck erst mal eine Zigarette, obwohl man ja weiß, dass eigentlich auch das falsch ist.

So geht das den ganzen Tag. Bei mir jedenfalls.

Ständig frage ich mich: Warum mache ich das überhaupt? Und dann mache ich es trotzdem. Gestern Abend die Tüte Chips beim Fußball. Ich wusste vorher, wie das ausgeht. Und natürlich, irgendwann war mir schlecht. Wenn ich in Zeitungen blättere, hoffe ich manchmal, dass es den Kollegen dort so geht, wie mir mit den Chips. Nicht, dass ihnen schlecht wird, sondern dass sie denken: Eigentlich weiß ich ja, dass das Mist ist. Aber vermutlich ist das nicht immer der Fall.

Gesa Schölgens und Mareike Potjans haben in einem Aufsatz über die Weiterbildung von freien Journalisten sehr schön dokumentiert, wieso Lokalzeitungen oft voll sind mit kritiklosem Gefälligkeits-Blabla. Dass der soziale Druck dabei eine Rolle spielt, ist nicht ganz so überraschend. Dass viele Journalisten das Problem offenbar gar nicht sehen, irgendwie schon. „(…) den meisten von uns befragten Mitarbeitern ist der unterschwellige Druck nicht einmal bewusst“, schreiben die Autorinnen.

Die Journalisten scheinen also tatsächlich zu denken, sie seien freiwillig so begeistert. Und das ist eigentlich am überraschendsten.

Für die Journalisten selbst hat die Sache einen großen Vorteil: Wo man kein Problem sieht, muss man sich auch nichts schönreden. Aber es gibt eben auch genug Leute, die das Problem schon sehen, aber nichts ändern können. Das ist etwas kniffliger, denn die meisten Menschen (John-Cage-Fans mal ausgenommen) können Dissonanzen nur schwer ertragen. Sie versuchen, die Harmonie irgendwie wiederherzustellen. Und da gibt es mehrere Möglichkeiten.

Vielleicht als Hinweis: Alkohol eignet sich nicht ganz so gut, auch wenn das möglicherweise die erste Intuition ist.

Am besten wäre, man würde auf alles verzichten, was mit den eigenen Idealen nicht in Einklang steht. Nur zieht das wieder andere Probleme nach sich, und die sind oft noch unangenehmer als das diffuse Gefühl, nicht ganz sauber gearbeitet zu haben. Redakteure, die das mal ausprobieren wollen, sollten den PR-Text für das sponsernde Autohaus einfach mal vergessen und sich dann überraschen lassen.

Viel leichter und daher deutlich weiter verbreitet ist eine andere Variante: Man ändert einfach das Idealbild, und zwar so, dass es nicht mehr ganz so ideal ist. Schon geht alles wie von selbst. Man braucht sich keine Gedanken mehr über Kleinigkeiten zu machen. Man sagt einfach: „Wir haben so viele gute Texte in der Zeitung. Die eine Pressemitteilung, das wird eh kein Leser merken.“

Und selbst wenn das nicht stimmen sollte, es wird trotzdem funktionieren, denn wenn kein Fehler im Text ist, wird sich ja kein Leser melden. Selbst sieben oder neun Pressemitteilungen in der Zeitung fallen nicht so sehr auf, dass irgendwer anruft. Um die Aussage zu verstärken, kann man zum Beispiel noch den Satz anfüngen: „Wir müssen ja jetzt auch nicht päpstlicher sein als der Papst.“

In Diskussionen über Petitessen kommt man bei Regionalzeitungen immer ganz gut mit dem Hinweis weiter: „Wir sind ja nicht die Süddeutsche.“ Eigentlich kann man auf diese Weise so gut wie jedes Problem lösen.

  • Qualitätsdiskussionen generell: „Also wenn ich mir andere Zeitungen so ansehe …“
  • Die Tendenz zum Fließband-Journalismus: „Aber es bleibt ja auch immer noch Zeit für interessante Sachen.“
  • Die maue Bezahlung: „Aber ich mach die Arbeit ja gerne.“
  • Unbezahlte Überstunden: „Aber das ist in der Branche ja überall so.“

Auch das kennt man von seinem Sohn, und wenn man ehrlich ist, ja auch von sich selbst. Vier minus in Mathe: „Aber es gab auch sechs Fünfen.“

Man kann ein ganzes Büro auspolstern mit diesen Sätzen, die aus Dissonanzen Harmonien machen können. So findet sich natürlich auch eine andere Erklärung für die Lobhudeleien in der Zeitung. „Die Leser wollen gar keine kritischen Berichte. Die sind ja Fans von ihrem Dorf.“

Kombinieren lässt sich das prima mit der Behauptung: „Wenn wir das schreiben, hagelt es morgen Abo-Kündigungen.“ Und das will sowieso keiner riskieren, vor allem, seit Redakteure auch betriebswirtschaftlich denken, was ja erst mal ganz vernünftig ist.

Es spricht ja nichts dagegen, wenn Mitarbeiter wissen, welche Kosten sie mit ihren Aufträgen verursachen. Aber sobald sie dann Sätze sagen wie „Aber ist der denn überhaupt Anzeigenkunde?“, beginnt sich eine Entwicklung anzudeuten, die nicht ganz so gut ist – jedenfalls nicht für den, der die Zeitung nachher auf dem Tisch liegen hat.

Aber auch aus der Nummer kommt man mit einem guten Gewissen raus, denn wenn man im Journalismus etwas wirklich gründlich lernt, dann ist es die Fähigkeit, sich schlechte Dinge schönzureden. Vielleicht ist das schlecht, aber ich finde es gut. Und vielleicht bin ich auch deshalb gerade so wahnsinnig optimistisch.

Crosspost von Operation Harakiri

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.