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Die deutsche Mannschaft in der Fußball-WM: Ein Spiel, das mir nicht vertraut ist

von , 6.7.10

Heute ein paar Anmerkungen über die Ereignisse im fernen Südafrika, wo eine deutsche Fußballnationalmannschaft einen Fußball spielt, dem man mit einer Anleihe aus dem amerikanischen Golf am nächsten kommt. Es ist der Satz, mit dem der legendäre Bobby Jones den jungen Jack Nicklaus beschrieb und den der alte Jack Nicklaus zitierte, als er über Tiger Woods sprach: ”He plays a game which I am not familiar with.”

Es wäre schön, wenn wir im deutschen Fußball auch solche Grandseigneure hätten, die mit derart einfachen Mitteln den Generationen- und Klassenunterschied beschreiben würden, der sich in einer Golfnation wie den USA etwa alle dreißig Jahre abspielt. Aber in der Fußballnation Deutschland wird das kollektive Gedächtnis im entscheidenden Moment von Männern wie Franz Beckenbauer usurpiert. Dessen One-Liner sind bestenfalls zum Kichern und inzwischen Stoff für Parodisten.

Die ziemlich junge deutsche Mannschaft war bei der WM 1966 eine ähnliche Offenbarung wie Jogis Jungs von 2010.

Dabei waren mal gerade dieser Franz Beckenbauer und die ziemlich junge deutsche Mannschaft bei der WM 1966 eine ähnliche Offenbarung wie Jogis Jungs von 2010. Qualifiziert hatte man sich nur knapp (in Beckenbauers allererstem Länderspiel). Aber beim Turnier in England nahm diese auch taktisch modernisierte Mannschaft (im 4-3-3) Fahrt auf.

Heute reden alle nur noch vom Wembley-Tor. Man wünschte sich, die Leute würden mehr von Beckenbauers Toren und von Helmut Hallers Blick fürs Spiel und seine Nebenleute reden. Und davon, dass diese Mannschaft einer Once-in-a-Lifetime-Gruppe von erlesenen englischen Spielern mehr als ebenbürtig war. Wolfgang Overath war damals 22, genauso wie Horst-Dieter Höttges. Sigi Held war 23 und hatte erst im Frühjahr 1966 zum ersten Mal eine Berufung erhalten. Wolfgang Weber war ebenfalls erst 23. Es war der Ausgangspunkt für jene kleine Fußball-Sinfonie, die mit dem Europameistertitel 1972 und dem WM-Titel 1974 ihre ganz beachtlichen Schlussakkorde produzierte.

Zurück zur Gegenwart (aber mit einem kleinen Schlenker). Der Sieg gegen Argentinien zeigte einen ähnlichen Quantensprung im deutschen Fußball an wie der Auftritt jener Mannschaft Mitte in den sechziger Jahren. Diese neue Generation von Spielern und die verantwortlichen Leute im Hintergrund haben das Zeug, sich nicht nur den Titel zu holen, sondern das auch noch mit Glanz zu tun – anders als diese grauenvoll anzusehenden Zweckmäßigkeits-Kicker der Jahre 1982, 1986, 1990 und auch 2002.

Zu den Weltmeistern von 1990 fällt mir immer nur diese eine Anekdote aus Hawaii ein, wo ich ein paar Jahre danach zufällig mit Pierre Littbarski im selben Hotel wohnte und im Interview den Faux-Pas produzierte und ihm sagte, er habe ja leider noch nie einen WM-Titel gewonnen. Natürlich hat er protestiert. Und ich war der Blamierte. Ich traute mich nicht, ihm zu sagen, weshalb mir das passiert war: Diese Mannschaft von 1990 hatte einfach nichts geleistet, was einem im Gedächtnis hängen geblieben war.

Wenn übrigens jemand schon nach diesen zwei Erfolgen gegen England und Argentinien davon spricht, es handle sich um die beste deutsche WM-Mannschaft aller Zeiten, der sollte bitte mal ins Archiv gehen und nach den Filmen von 1954 fahnden. Das Team besiegte damals im Halbfinale in Lausanne die favorisierten Österreicher mit 6:1 und produzierte im Endspiel in Bern gegen Ungarn eine phänomenale Leistung. Sollten Jogis Jungs allerdings ebenfalls Weltmeister werden, kann man die Vergangenheit auch ruhen lassen. Dann gehören sie sicher auf Platz eins in der ewigen Bestenliste.

Was in den vielen Betrachtungen über die Spiele und die Leistungen des Teams untergeht: Die FIFA-Statistiken zeigen an, dass keine Mannschaft schneller läuft. Das wäre abgesehen von der exzellenten Ballbeherrschung sicher einer der Gründe, weshalb man Gegner mit schwacher Antizipation schlecht aussehen lässt. Auffällig allerdings auch: Im Spiel gegen Ghana auf knapp 2000 Metern Höhe in Johannesburg wirkten alle müde. Auf Meereshöhe in Kapstadt und Durban scheinen sich hingegen die roten Blutkörperchen richtig gut auszutoben. Das Quartier liegt auf rund 1300 Metern. Da holt man sich die Reserven.

Übrigens haben andere Mannschaften diese Ausgangslage sicher auch im Blick gehabt. Argentinien hatte sein Quartier ebenfalls auf 1300 Meter Höhe. Und auch Spanien residiert in dieser Zone. In der Vorbereitung gingen die Mannschaften unterschiedlich mit der Herausforderung um. Eines der Probleme eines ständigen Pendelns zwischen oben und unten: “Wer aus der Höhe ins Tal kommt, kann die Leistungsfähigkeit nach ein bis zwei Tagen abrupt abfallen.” (sic!) Das sagt zumindest Dr. Andreas Rosenhagen, laut Welt Online ein Experte für Höhentraining im Profisport.

Von der Höhe, auf der Thomas Müller gerade spielt, scheint er nichts gewusst zu haben.

P.S.: Die WM hat eine neue Generation von Fußballbegleitberichterstattung etabliert, die sich schon seit einer Weile anbahnte und ankündigte. Die neue Qualität: Es geht nicht mehr ohne das Rundum-Programm von allesaussersport, die Hintergrundinformationen von Jens Weinreich und die Einschätzungen von Spiel und Mannschaft aus der Feder von Oliver Fritsch auf Zeit Online.

Crosspost von American Arena.

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