von Wolfgang Michal, 30.9.10
Der gute Hans-Werner hatte sich verzockt. Er hatte für 1 Milliarde Euro blaue Bierdeckel gekauft, weil ihm die internationalen Deckelverkäufer durch ihre Rating-Agenturen versichert hatten, dass die Menschen in der heutigen Zeit ihr Bier am liebsten auf blauen Untersetzern trinken. Also lieh sich Hans-Werner 1 Milliarde Euro von seinen Freunden und versprach ihnen eine Rendite von mindestens 20 Prozent. Die blauen Deckel stapelte er in seinem Heizungskeller.
Dann brach die Krise aus. Die Menschen tranken weniger Bier, und – was noch schlimmer war – sie zogen plötzlich orangefarbene Bierdeckel den blauen vor. Hans-Werner blieb auf seinen blauen Deckeln sitzen.
Er hätte sie mit hohen Verlusten abstoßen können, aber er dachte: Vielleicht werden die Zeiten ja wieder besser und die Farbe Blau wird erneut modern. Doch seine Freunde zeigten keine Geduld mit ihm. Sie verlangten die versprochenen Zinsen auf ihre Einlagen.
Was sollte Hans-Werner tun? Den Offenbarungseid leisten? Insolvenz anmelden? Eingestehen, dass er sich verzockt hatte?
Das wollte Hans-Werner auf keinen Fall. Also klapperte er seine Freunde ab und sagte ihnen: Wenn ich genug Geld hätte, um jetzt die orangefarbenen Bierdeckel zu kaufen, dann könnte ich euch das Dreifache eurer Zinsforderungen zurückzahlen und noch weitere Hyper-Geschäfte machen – zum Beispiel mit grünen Bierdeckeln, die nächstes Jahr der absolute Hit sein werden. Doch die Freunde schüttelten zornig ihre Köpfe und glaubten ihm kein Wort mehr.
Hans-Werner hockte darob traurig in seinem Zimmer und war pleite.
Da flog eine gute Fee durch den Schornstein in sein Zimmer und sagte: Du Dummerle! Du musst doch nicht weinen! Du schleppst jetzt einfach deine unverkäuflichen blauen Bierdeckel in die Abstellkammer, hängst das Schild „böse“ davor und wirfst nie wieder einen Blick in die Kammer des Schreckens. So gewinnst du Platz für die orangefarbenen Deckel im Heizungskeller. Und jetzt kommt der Zaubertrick! Wir tun einfach so, als wären die blauen Bierdeckel in der Kammer des Schreckens immer noch der große Renner. Das heißt, ich kaufe sie dir zu dem Preis ab, den du dir damals erträumt hast. Abzüglich von zehn Prozent Provision natürlich. Damit bist du die Schulden los und kannst neues Geld in orangefarbene Deckel investieren.
Hans-Werner saß da und staunte mit offenem Mund.
Und was geschieht nun mit den blauen Deckeln? fragte er dann.
Ach, zerbrich’ dir darüber nicht den Kopf, sagte die gute Fee und kicherte. Ich lass’ sie einfach in der Abstellkammer liegen. Irgendwann, wenn keiner mehr dran denkt, schmeiß ich sie weg.
Aber woher hast du so viel Geld für einen so großen Haufen Scheiße? fragte Hans-Werner gereizt und machte ein ungläubiges Gesicht.
Die Fee schüttelte belustigt ihre blonden Glitzer-Strähnchen. Dann sagte sie: Ich bin doch eine Fee, du Dummkopf, ich kann aus Scheiße Gold machen. Ich bekomme so viel Geld wie ich will, denn die große Bundes-Fee bürgt immer für mich.
Die Bundes-Fee?? fragte Hans-Werner noch etwas ungläubiger.
Ja, sagte die Fee. Die Bundes-Fee kann Schulden machen so viel sie will. Die Menschen werden ihre Schulden eines Tages begleichen. Man muss nur fest dran glauben!
Hans-Werner wurde nachdenklich. Nach einer langen Pause fragte er vorsichtig: Es ist also völlig egal, welche Bierdeckel ich zu welchem Preis kaufe?
Ja, sagte die Fee.
Hans-Werners Gesicht begann vor Begeisterung zu leuchten. Ich kann also die dümmsten Geschäfte machen – es passiert mir nichts?
Ja, sagte die Fee.
Ich muss nur Geld anlegen, egal wo, egal wofür, egal wie viel?
Ja, sagte die Fee. Es ist völlig egal.
Ich bin im Paradies, jubelte Hans-Werner und zwickte sich in den Arm, weil er es nicht fassen konnte.
Es gibt nur eine winzige Voraussetzung, sagte die gute Fee mit der betörend besänftigenden Stimme: den Glauben, dass alles gut geht. Letzten Endes müssen die Menschen dran glauben.