#Populismus

Die Belebung der politischen Diskussion braucht keinen Populismus

Kühnert ist mehr als nur eine Belebung der Debatte gelungen, er hat im Sinne von Chantal Mouffes agonaler Politik vorhandene Unterschiede zwischen den Lagern sichtbar gemacht und über etwas gesprochen, das in den letzten Jahren kaum auf großer Bühne Thema war: Die Möglichkeit einer alternativen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.

von , 8.5.19

Die Parteien des demokratischen Spektrums seien über die vergangenen Jahrzehnte fast ununterscheidbar geworden, der politische Raum geprägt von einer fatalen ordo- oder neoliberalen Alternativlosigkeit. Die Tendenz hin zur Mitte, in der alle das politische Glück meinten suchen zu müssen, habe einen diskursiven Einheitsbrei aus ganz viel Freiheit für Unternehmer und Kapital und je einer Prise Sozialstaat, ein bisschen linker Minderheitenpolitik und etwas Umwelt, Tierschutz und gesundem Essen hervorgebracht. Weil angeblich zu wenig rechte Ressentiments enthalten gewesen seien, übten sich Spitzenvertreter*innen von CDU und CSU schon einmal in vorauseilender Deutschtümelei, unterdessen die Sozialdemokraten von einem Negativrekord zum nächsten eilten und von professionellen Beobachtern und solchen die es werden wollen totgesagt wurden. So ließe sich in Anlehnung an die britisch-belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe beschreiben, wie das konsensorientierte Modell der liberalen Demokratie zum Absturz der Sozialdemokratien, zum Aufstieg der Rechtsradikalen und letztlich zu einer existenziellen Krise der bürgerlichen Demokratie an sich geführt hat. 

Mouffes Antwort auf diese Krise ist nicht unumstritten. Nicht nur, weil sie ihre Theorie eines agonalen, also vom Streit gegensätzlicher Positionen geprägten politischen Raums in expliziter Anlehnung an Carl Schmitts Freund-Feind-Unterscheidung herleitet. Ihr jüngstes Buch ist zudem ein Plädoyer »für einen linken Populismus«, den sie als Gegenmacht zur vielfach konstatierten Oligarchisierung der liberalen Demokratien konzipiert, deren Eliten sich vom Volk entfernt hätten. Populismus hat bei Mouffe weniger einen schrillen, als vielmehr einen urdemokratischen Kern. Demnach hätten die Rechten es verstanden, das »populistische Momentum« dieser Entfremdung aufzugreifen, während insbesondere sozialdemokratische und grüne Parteien lediglich mit einer moralischen Abwehr reagiert und mithin den demokratischen Gehalt der Situation, aber eben auch der rechten Forderungen verkannt hätten. Die eigentliche Aufgabe sei demgegenüber, eine Sprache zu finden, die »demokratische Forderungen in einem kollektiven Willen« zu bündeln und der Oligarchie so die Stirn zu bieten vermöge. 

Ist der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert nun im Sinne Chantal Mouffes Populist? Zweifellos hat er mit seinen Äußerungen in der »Zeit« und anderen Medien, wo von einem grundsätzlichen »Nichteinverständnis mit der Wirtschafts- und teilweise auch mit der Gesellschaftsordnung« und der Möglichkeit demokratischer Kontrolle über Großkonzerne die Rede war, dazu beigetragen, politische Unterscheidbarkeit neu und wieder herzustellen. Selten standen sich die alten politischen Lager so sichtbar gegenüber: Die »Bild«-Zeitung feuerte aus allen Rohren, Erich Honecker und Egon Krenz hätten ihre Freude an Kühnert gehabt, im »Handelsblatt« war zu lesen, Kühnert wolle, dass bei BMW demnächst Trabis vom Band liefen, die amtierende CDU-Chefin sowie der ehemalige SPD-Vorsitzende bezichtigten Kühnert des Populismus. Das linksbürgerliche Spektrum diskutierte unterdessen über politische Utopien und freute sich, dass die alte Ordnung wieder hergestellt war, in der sich ein bisschen Systemkritik immer gut machte, aber weitgehend folgenlos blieb. 

Einstweilen hat der Juso-Chef aber zunächst nur das Establishment aufgeschreckt, und zwar sowohl das wirtschaftsliberale als auch das linksbürgerliche. Damit ist ihm tatsächlich mehr als nur eine Belebung der Debatte gelungen, er hat im Sinne von Mouffes agonaler Politik vorhandene Unterschiede zwischen den Lagern sichtbar gemacht und über etwas gesprochen, das in den letzten Jahren kaum auf großer Bühne Thema war: Die Möglichkeit einer alternativen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. 

Was Kühnert hingegen nicht getan hat, ist weniger augenfällig, aber nicht minder dankenswert: Er gibt nicht den schrillen Linkspopulisten, der sich in Sprache und Duktus versucht, dem vulgären Sound eines Trump oder einer AFD anzunähern. Er setzt nicht auf eine Vereinfachung komplexer Zusammenhänge, wie es jüngst der Flügel um Sahra Wagenknecht tat, erinnerte gleichwohl aber daran, dass Wohlstand stets gesellschaftlich produziert wird und Eigentum kein Naturgesetz, sondern ein Rechtsverhältnis ist. Ob er im Sinne Mouffes Populist wäre, darf ebenso bezweifelt werden – denn es scheint schwer vorstellbar, dass die Vergesellschaftung von Automobilherstellern, deren Produkte für einen nicht zu unterschätzenden Teil der deutschen Gesellschaft identitätsstiftend sind, in der Bevölkerung mehrheits- und gar mobilisierungsfähig ist. 

Was dem Juso-Chef hingegen gelungen ist, zumindest für einen Moment, ist einerseits die Belebung eben jenes politischen Raums, den nicht nur Chantal Mouffe als von neoliberaler Alternativlosigkeit dominiert beschrieben hat. Andererseits hat er auch gezeigt, dass es keines linken Ebenbilds der rechtspopulistischen Schreihälse bedarf, um genau diese Alternativlosigkeit aufzubrechen. Beides gibt Anlass zur Hoffnung. 

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