von Bettina Fackelmann, 6.7.12
Viele verwaist wirkende Initiativen zeigen auf, dass Online-Partizipation bei Jugendlichen kein Selbstläufer ist. Liegt das vielleicht an der gern vermuteten Politikverdrossenheit in der Altersgruppe zwischen 15 und 25 Jahren? Wollen die einfach nur chillen, online mit ihren Freunden abhängen und sich um nichts kümmern?
Vielmehr ist es wohl so, dass die Anbieter erfolgloser digitaler Jugendforen zum einen unter schwierigen Bedingungen agieren und zum zweiten vermutlich ihre Zielgruppe nicht verstanden haben. Die folgenden Argumente basieren auf der Studie »Sprichst du Politik?«, die ich zwischen November 2010 und Juni 2011 zusammen mit Studierenden durchgeführt habe (Arnold, N., Fackelmann, B., Graffius, M., Krüger, F., Talaska, S., & Weißenfels, T. (2011). Sprichst du Politik. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung, Forum Politik und Gesellschaft). Uns ging es darum, die Effekte politischer Sprache auf die Altersgruppe 16 bis 19 Jahre zu untersuchen. Also das Alter, in dem man sich damit beschäftigt, wählen zu gehen und es dann tut – oder auch nicht.
Zu Beginn der Studie wurden viele Gespräche mit Jugendlichen aus verschiedenen Milieus, Schulstufen und Berliner Stadtteilen geführt. Auf dieser Basis ließen sich dann typische Aussagen ableiten und in der aktuell größten Online-Umfrage zum Thema Jugend und Politik mit über 30.000 Antworten abfragen.
Die befragten Jugendlichen bestimmten die Themen also zum Großteil selbst; auch die Orte oder Situationen, wo sie auf Politik treffen, war häufig Thema. Auffällig waren die Antworten zu der Frage: »Wo kommst du mit politischen Themen in Berührung?«: Foren und Blogs zu politischen Themen kamen erst an 10. Stelle mit (27,3 %), Platz 1, 2 und 3 belegen (in dieser Reihenfolge) die Schule (74,2 %), das öffentlich-rechtliche Fernsehen (68 %) und das Radio (62,5 %).
Nun könnte man argumentieren, dass es bislang gar nicht so viele Angebote gibt im Vergleich zum Angebot an Schulen und klassischen Medien. In der Schule gehört Politik – wenn auch nicht überall – zum Pflichtprogramm und in den Medien wird Politik eben dargestellt und verhandelt.
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Online-Foren unterliegen der gleichen Skepsis wie Online-Medien
Dennoch irritiert, dass eben nicht alle Formate mit der schlichten Gleichung »Politischer Inhalt plus digitales Format mit Partizipationsfunktion = Erfolg bei Jugendlichen« funktionieren. Auch die Befragten unserer Studie sind da skeptisch. In den Interviews wurde schon deutlich, dass sie den Eindruck haben Politiker/innen seien ihnen rhetorisch weit überlegen und es ginge ihnen gar nicht wirklich um Austausch.
Auf die Aussage »Ich würde Gehör finden, wenn ich mit Politiker/innen in Kontakt treten würde (z.B. in einem Online-Chat/-Forum)« äußerten entsprechend 45,2 % der Frauen Ablehnung, ebenso 38,3 % der Männer. 26,1 % der Frauen denken, sie würden Gehör finden, sowie 35,6 % der Männer. Frauen haben also mehr Zweifel, was diesen Punkt anbelangt als Männer, bei denen sich Ablehnung und Zustimmung in etwa die Waage halten.
Auch in Bezug auf Milieus weisen die Ergebnisse interessante Unterschiede auf: Je höher der angestrebte Bildungsgrad, desto stärker ist auch der Eindruck, dass man Gehör finden würde. »Nur« 29,7 % derjenigen, die hohe Schulabschlüsse erreichen wollen, stimmen der Aussage zu, bei den mittleren Schulabschlüsse sind es schon 36,9 % und jene, die geringe Schulabschlüsse anstreben, stimmen der Aussage zu 36,3 % zu.
Der Grad der Skepsis bzw. Ablehnung solcher Optionen ist also recht ausgeprägt, obgleich doch die Beliebtheit von Online-Foren an sich in der Altersgruppe sehr hoch ist.
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Jugendliche als anspruchsvolle Forennutzer: Relevanz, Objektivität und Fairness werden gefordert
Hinweise auf Lösungsansätze geben weitere Zahlen, aber auch Zitate aus den Interviews: Zunächst einmal muss das Thema relevant sein. Die befragten Jugendlichen gaben freimütig zu, dass sie entweder persönlich betroffen sein müssen wie z.B. bei Themen wie Angst vor Terrorismus oder Bildungspolitik. Oder ihr Interesse ist geweckt, weil ihnen klar ist, dass das Thema starke Auswirkungen auf sie haben wird und damit Ängste und Hoffnungen verknüpft sind, z.B. Ökologie.
Darüber hinaus gibt es ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Medien und Aussagen in Online-Foren – um die vielbeschworene Medienkompetenz muss man sich unseren Ergebnissen nach nur wenig Sorgen machen. Der Aussage: »Medien (Zeitungen, Fernsehsendungen, Nachrichten, Online-Portale usw.) werden stark von den Parteien beeinflusst.« stimmten 50,8 % aller Befragten zu.
Zum dritten wird politische Sprache in der Regel als unverständlich – wie oben benannt – und zudem aggressiv wahrgenommen: Ausschnitt aus einem Interview: Interviewer: »Was würdest du erwarten, wie ein Politiker mit dir redet?« Schüler: »Er wird mich ein bisschen runtermachen wollen.« (Sekundarstufe I)
Dieses »Runtermachen« ist ein wichtiger Hinweis auf die generelle Einstellung zu Diskussion über politische Themen: Sie werden vermieden, weil sie per se als konfliktbelastet angesehen werden. Zum einen erleben Jugendliche Politik vielfach als Streit zwischen politischen Akteuren. Zum anderen sind sie selbst nicht darin geschult. Und wer will sich schon mit seiner Familie und seinen Freunden streiten, wenn man es auch lassen kann? Zitat: »Oh, das ist ganz schlimm, Familie, das geht gar nicht. Also wenn da eine politische Diskussion ausbricht, das ist wirklich ganz schlimm.« (Gymnasium) Das verstärkt jedoch den Effekt, dass die Übung in Diskussionen fehlt. Hinzu kommt der Eindruck, nicht genug zu wissen, um sich kompetent äußern zu können. Zitat: »Ich halte mich da immer raus, ich habe halt nicht die Ahnung, wie zum Beispiel mein Vater. Deswegen mische ich mich da gar nicht ein.« (Berufsschule)
Diese Generation ist nicht so sehr politikverdrossen, sondern geht angesichts der Komplexität an Themen und Medien sozusagen in so hohem Maß verantwortungsvoll mit ihrer Meinung und Stimme um, dass sie zunehmend inaktiv und stumm wird. Was heißt das für partizipative Online-Formate, die Jugendlichen erreichen und einbinden wollen?
- das Thema muss junge Menschen interessieren und sollte übersichtlich und verständlich Fakten und verschiedene Standpunkte abbilden
- hinter der Initiative stehende Parteien oder politische Institutionen sowie ihr Einfluss auf die digitale Plattform sollten einfach auffindbar sein und verständlich dargestellt werden
- Regeln des Umgangs sollten im Vorfeld verabredet und ebenfalls an prominenter Stelle vermittelt werden. Sie stellen eine konstruktive Diskussion sicher, z.B. durch eine Redaktion, die notorische Regelabweichler – notfalls auch durch Sanktionen – zur Raison ruft.
Wenn diese drei Punkte beachtet werden, ist die Chance, mit einem politischen Online-Format bei Jugendlichen zu punkten und ihre Meinung einzubeziehen, ungleich höher. Und nicht zu vergessen: Damit es online klappt, muss man erst mal Vertrauen entwickeln, dass es offline (wieder) funktioniert. Auch für die analoge Welt sind die drei genannten Tipps also ratsam.
Crosspost von Zivilarena, Diagramm: Bettina Fackelmann