#Bundeshaushalt

Der überforderte Staat und die kommende Haushaltskrise

von , 10.7.09

Dort, wo ich aufwuchs, gab es einen viel beschäftigten Mann. Er hatte drei Berufe – er war zugleich Bäcker, Gastwirt und Taxiunternehmer. Abends, nachdem er seinen Bäckerladen geschlossen hatte, schenkte er in seiner Gastwirtschaft bis spät nachts Bier aus, fuhr dann die letzten Gäste mit dem Taxi heim, und backte anschließend in seiner Bäckerei Brote und Brötchen, die er tagsüber in seinem Laden verkaufte. Die drei Berufe schienen einander formidabel zu ergänzen. Nie musste der Mann das Gefühl haben, er sollte eigentlich Taxi fahren, wenn er Brötchen backte, und wenn er die Brötchen verkaufte, gab es niemanden, dem er ein Bier hätte einschenken sollen. Gleichwohl hatte die Sache mit den drei Berufen einen Haken. Sie war nicht wirklich nachhaltig. Der Mann vergaß, dass auch sein Tag nur 24 Stunden hatte und dass er in der 25. oder 26. keinen Schlaf finden würde. Der Ausgang der Geschichte ist deshalb schnell erzählt: der Mann hatte das vierzigste Lebensjahr noch nicht erreicht, da war er tot.

Überforderung ist freilich nicht allein ein individuelles Privileg. Überfordern kann sich auch ein Gemeinwesen. Gegenwärtig sind wir auf dem besten Weg, unser Gemeinwesen, den Staat, zu überfordern. Der Staat soll nicht nur Banken und marode Unternehmen retten und die öffentliche Infrastruktur aufmöbeln, er soll auch Rentner vor Rentenkürzungen, Studenten vor Studiengebühren, die Wirtschaft vor Subventionskürzungen, Geringqualifizierte vor niedrigen Löhnen, das Klima vor der Erwärmung und uns alle vor Autos bewahren, die älter sind als neun Jahre. Außerdem soll er in Zukunft die Steuern senken, keine Schulden mehr machen und mehr Geld für Erziehung, Bildung und Forschung ausgeben. In der Tat, man braucht kein Defätist zu sein, um zu merken, dass das schwierig wird, und man braucht kein Philosoph zu sein, um zu sehen, dass die Wahrheit anders aussieht.

Als Folge der durch die Finanz- und Wirtschaftskrise ausgelösten Steuerausfälle und der Ausgaben für Konjunkturprogramme wird die gesamtstaatliche Verschuldung in den nächsten Jahren auf mehr als 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Darin eingerechnet sind noch nicht die möglicherweise anfallenden finanziellen Verpflichtungen aus den Kreditbürgschaften, die der Staat für Banken und andere Unternehmen übernommen hat. Zwar sind die Steuerausfälle unvermeidlich und die Konjunkturprogramme trotz einiger Unzulänglichkeiten im Detail (Stichwort: Abwrackprämie) alternativlos – der starke Anstieg der Schulden ist deshalb kein politisches Versagen. Das bedeutet aber nicht, dass man zur Tageordnung übergehen kann, sobald die Finanz- und Wirtschaftskrise überwunden ist. Die Krise besteht nämlich aus drei Teilen und der dritte steht erst noch bevor.

Der erste Teil der Krise ist die Finanzkrise. Sie erreichte ihren Höhepunkt im September letzten Jahres mit dem Untergang der Lehman-Bank. Danach wurden weltweit Schirme zur Rettung des Bankensektors aufgespannt. Zwar sind die Banken noch nicht konsolidiert. Im Windschatten staatlicher Rettungsprogramme machen sie aber inzwischen schon wieder Gewinne. Der zweite Teil der Krise ist die Wirtschaftskrise. Der Rückgang der Produktion aufgrund des Einbruchs der weltweiten Nachfrage erreichte seinen Höhepunkt im Frühjahr dieses Jahres. Mittlerweile scheint sich die Lage freilich zu stabilisieren. Gestützt durch staatliche Ausgaben wird die Wirtschaft spätestens im nächsten Jahr wieder auf einen Wachstumspfad zurückfinden, auch wenn der zunächst nicht sehr steil sein dürfte. Aber die Sache ist damit noch nicht erledigt. Der dritte Teil der Krise, die Haushaltskrise, wird seinen Höhepunkt erst im kommenden Jahrzehnt erreichen und dieser Teil wird länger dauern als die ersten beiden. Für das Gemeinwesen gibt es dabei keinen Retter. Es muss sich vielmehr selber retten, will es sich nicht heillos überfordern.

Allein die aufgetürmten Schulden werden zu erheblichen Mehrlasten im öffentlichen Haushalt führen. Das gilt besonders dann, wenn infolge des wirtschaftlichen Aufschwungs das Zinsniveau steigt. Gegenwärtig zahlt der Staat historisch niedrige Zinsen auf seine Schulden. Sobald die Zinsen wieder steigen, werden die Zinslasten einen deutlich größeren Anteil an den staatlichen Ausgaben haben und nach den Sozialausgaben den größten Posten im öffentlichen Gesamthaushalt einnehmen.

Was kann man tun? Sicher nicht all das, was gegenwärtig vom Staat gefordert wird. Dann würde ihm bald die Puste ausgehen. Nachhaltig überwinden lassen sich Haushaltskrisen durch systematische Ausgabenkürzungen oder Einnahmensteigerungen. Besonders Ausgabenkürzungen lassen sich indessen leichter fordern als realisieren. So wird zwar häufiger vorgeschlagen, bei den Sozialausgaben zu kürzen. Allerdings dürften die Spielräume nicht besonders groß sein. Nehmen wir als Beispiel die gesetzlichen Renten. Laut OECD wird Deutschland in den kommenden Jahrzehnten bereits mit dem jetzigen System der gesetzlichen Alterssicherung zunehmend mit dem Problem der Altersarmut konfrontiert sein. In Zukunft wird das System deshalb sogar ausgebaut werden müssen. Dabei wird man sich vermutlich zumindest ein Stück weit von der jetzigen beitragsfinanzierten Rente verabschieden und zu einer stärker steuerfinanzierten (Grund-)Rente übergehen. Das erfordert aber eher höhere als niedrigere Steuern.

Sicher gibt es dennoch verschiedene Möglichkeiten, die Ausgaben zu senken. Insbesondere gehört das schwer zu durchschauende Geflecht der Wirtschaftsförderung auf den Prüfstand. Zur Überwindung der Haushaltskrise wird man aber wohl nicht an Steuererhöhungen vorbeikommen. Die Mehrwertsteuer wäre dafür kein schlechter Kandidat. Mit einfachen Überschlagsrechnungen lässt sich ermitteln, welche Erhöhungen notwendig wären. Knapp ein Prozent Mehrwertsteuererhöhung dürften gebraucht werden, um die zusätzliche Zinslast des öffentlichen Haushalts zu bezahlen, weitere vier Prozent, um in Zukunft keine zusätzlichen Schulden mehr aufzubauen. Sollte es außerdem gelingen, Ausgaben zu kürzen, könnte vielleicht die direkte Abgabenlast reduziert werden. Wenn mehr Mehrwertsteuermittel zur Finanzierung der Altersrenten aufgewendet werden, ließen sich beispielsweise die Sozialversicherungsbeiträge senken.

Krisen haben immer auch die Bedeutung, Fehlentwicklungen zu korrigieren. Die Finanzkrise führt – hoffentlich – zu einer besseren Regulierung der Finanzmärkte. Die Wirtschaftskrise beseitigt – hoffentlich – kostenineffiziente und nicht an den Kundenwünschen orientierte Geschäftsmodelle. Und so birgt auch die kommende Haushaltskrise die Chance, dass die staatlichen Einnahmen und Ausgaben neu und besser austariert werden. Persönlich sehe ich eine größere Rolle für die Mehrwertsteuer als Einnahmequelle und für stärker steuer- statt beitragsfinanzierte Leistungen in der Sozialversicherung. Sicher brauchen wir für den Staat nicht das Schicksal des backenden, Taxi fahrenden Gastwirts zu fürchten. Der überforderte Staat wird vielmehr gewandelt und – hoffentlich – gestärkt aus der Krise hervorgehen.

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