#Medienalltag

Der Troll im Netz

von , 12.9.09

Abstammung:

Der Troll stammt aus der Sagenwelt Skandinaviens. Er ist das männliche Gegenstück zur Hexe oder zur Elfe – ein Geisterwesen von riesiger oder winziger Gestalt. Sein Hauptsiedlungsgebiet in grauer Vorzeit war die norwegische Bergregion Trollheimen. In Finnland findet man ihn als gutmütigen Mumin oder Snork, in Dänemark und Deutschland als biederen Gartenzwerg. Der bekannte Schriftsteller J.R.R. Tolkien („Herr der Ringe“) schrieb über Steintrolle, sie seien von Melkor bei dem Versuch erschaffen worden, Ents nachzuahmen. Somit sind Trolle eigentlich Betriebsunfälle: große und starke Wesen, aber einfältig. Ihre Sprache ist primitiv.

Aussehen:

Niemand weiß wirklich genau, wie Trolle heute aussehen, da sie vorwiegend in der Netz-Dunkelheit operieren. Zieht man die präzisen Schilderungen der nordischen Sagen und Märchen heran, so gibt es im Urbild der Trolle einige auffallende Merkmale: Sie hatten lange, gebogene Knubbel- oder Hakennasen, einen langen Schwanz mit einem dichten Haarbüschel am Ende, nicht selten einen Buckel, gerade mal vier Finger oder Zehen an Händen oder Füßen, und bisweilen nur ein einziges Auge auf ihrer faltigen Stirn. Mit ihrem dichten, zottigen Haar sahen sie sehr Furcht erregend aus. Dieses Aussehen hat vermutlich den Aberglauben befeuert, sie würden kleine Kinder stehlen und dafür ihre eigenen Bälger in die Bettchen der Menschenkinder legen. Das ist der tiefere Grund, warum heute noch Familienministerinnen Netzsperren als Abwehrzauber gegen Kindesmissbrauch befürworten.

Vorkommen:

Der Troll tummelt sich am liebsten in unübersichtlichen, sumpfigen Foren und Blogs, wirft Schlamm und Sand in die Kommentarspalten, schreckt aber auch nicht davor zurück, in Chatrooms, Wikis, Rezensionen und Bewertungsseiten hinein zu scheißen oder zu urinieren, um sich anschließend am Entsetzen und Kopfschütteln der anderen zu weiden. Trolle leben von gutmütigen, toleranten Webseitenbetreibern, die sich lieber mit Dreck bewerfen lassen als die Meinungsfreiheit der Trolle einzuschränken. Hinterhältige Menschen halten sich Trolle auch als Leibgardisten und füttern sie regelmäßig mit Leckereien, um sie anschließend als nützliche Idioten für ihre Interessen einspannen zu können.

Verhalten:

Neben den unsagbar boshaften Trollen gibt es auch viele gutmütige. Sie sind im Netz aber relativ selten vertreten und fallen höchstens durch ein kurzes, fragendes „Hä?“ oder kleine Zeichenhäufchen (:-(() auf, die sie gern als Duftmarken hinterlassen. (Wenn Sie, lieber Leser, sich ganz, ganz leise verhalten, machen sie ihr Häufchen vielleicht auch unter diesen Beitrag. Bitte Feldstecher bereithalten!). Aufgrund ihrer enormen Einfältigkeit sind Trolle extrem reizbar. Kompliziert formulierte Sätze oder Manifeste können sie zur Weißglut bringen. Erzürnt man Trolle auf diese Weise, kann das verheerende Folgen haben. In früheren Zeiten war es den Bewohnern der dichten norwegischen Wälder deshalb wichtig, mit den heimischen Trollen gut auszukommen und sie nicht zu verärgern. Auch heute erweisen sich Trolle, die gut behandelt werden, durchaus als Beschützer und Wächter des Netzes. So verdanken etwa die in Deutschland besonders häufigen Brückentrolle ihren Namen der Bewachung von Brücken, Furten und anderen wichtigen Netz-Kontrollpunkten. Wer an einem Brückentroll vorbei will, muss einen Zoll entrichten oder eine Gefälligkeit erweisen. Manche Trolle sind aber auch mit einem unverhofften Lob sehr zufrieden.

Selbstverständnis:

Der Gemütszustand von Trollen schwankt zwischen machtvollen Omnipotenz-Gedanken und depressiver Weinerlichkeit. Psychologen führen dies auf die ungewöhnliche Körpergröße von Trollen zurück: Manche messen nur 50 Zentimeter, andere sind so hoch wie Berge. Der Troll empfindet sich deshalb als maßlos. Er leidet darunter, ein Freak zu sein. Nur das Netz ermöglicht ihm ein ungehindertes Ausleben seiner Gefühle.

Überlebenschancen:

Zum Überleben braucht der gemeine Forentroll ein möglichst unübersichtliches und unreguliertes Netz, in dem er sich frei und anonym bewegen kann. Da der dunkle Mischwald des Netzes von Netzzivilisten und anderen Interessengruppen zunehmend gerodet und durch lichte Monokulturen und Plantagen ersetzt wird, könnte es bald schon notwendig sein, Trolle in eigens eingerichteten Naturreservaten zu schützen. Da die Haut der Trolle durch direkten Kontakt mit Sonnenlicht oder zu hellen Webseiten Risse bekommt, verwandeln sich allzu viele Trolle im fortpflanzungsfähigen Alter in nutzlose Steine. In Island gibt es deshalb einen staatlichen Trollbeauftragten, der sich um die Interessen dieses „verborgenen Volkes“ kümmert.

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