#Der Minister

Der Minister – Guttenbergs Mythos

von , 14.3.13

Die unwahrscheinlichsten Stellen des Fernsehfilms “Der Minister” (12. März 2013, Sat1) haben die Macher der Wirklichkeit einigermaßen getreu nachgeformt. Das Publikum darf einem altbekannten Zusammenschnitt “Best of Guttenberg” folgen, dem lediglich der regelmäßige Hinweis “Szene nachgestellt” fehlt. Auch tragen die Akteure schwarze Balken – nicht über ihren Augen, sondern über den Namensschildern, die neu beschriftet wurden. Auf diese Verfremdung der Personennamen verzichte ich hier, da es im Folgenden darum gehen soll, welche Geschichte der Film eigentlich über die politischen Akteure erzählt.

Zwischen den nachgestellten Szenen ergänzt das Drehbuch mit nicht gerade abwegiger Fantasie das Bekannte, um ihm einen Sinn zu verleihen. Denn Sinn ist ja offenbar das, was dem postmodernen Menschen am meisten fehlt. Sinn muss sich heute jeder selbst suchen, ausdenken, sich davon überzeugen, Zweifel unterdrücken, daran glauben. So gibt es bis heute Menschen, die überzeugt sind, dass Guttenberg einer Intrige der Opposition zum Opfer gefallen ist. Und es gibt Menschen, die glauben, dass er einen Ghostwriter hatte. Die Filmemacher verfolgen diese Theorie vom dynamischen Duo, Guttenberg und Ghostwriter, Schönling und Schreiberling, Prinz und Prügelknabe.

Damit erklärt “Der Minister” alles: Der Ghostwriter habe Guttenberg schon in der Schule geholfen. Guttenberg könne schön vorlesen. Auch nach auswendig gelernten Stichworten zu improvisieren falle ihm leicht, da komme immer etwas Wohlklingendes bei heraus, das unverständlich sei, aber auch nicht zum Widerspruch reize. Der Ghostwriter habe Guttenbergs Image als Antipolitiker designt, ihm die Reden geschrieben, ihm Ehrgeiz eingeflüstert, ihm ins Ministeramt verholfen, das Kalkül wahnwitziger Rücktrittsdrohungen entworfen. Nur das Wort “Krieg” für den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr, das wird nicht dem Ghostwriter zugeschrieben, sondern Guttenbergs Unfähigkeit, diesen Bundeswehreinsatz anders zu verstehen denn als “Krieg gegen Afghanistan”.

 

Mythos Guttenberg – Mythos Politik

Zwischendurch habe der Ghostwriter Guttenberg eine Doktorarbeit zusammenkopiert, damit die Kanzlerin den dämlichen Emporkömmling überhaupt wahrnehme. Nun ja. Die Leistung dieses TV-Films besteht darin, die bekannten Szenen und Aussprüche Guttenbergs nachzuformen, sie zu kanonisieren, und das Ganze zu einem politischen Mythos zu verbinden. Dieser Mythos spielt mit Guttenberg-Zitaten ebenso wie mit allem anderen, was die deutsche Polit-Popkultur hergibt. Die Botschaft, die dieser Mythos verbreitet, lautet: Politik ist ein schmutziges Geschäft.

Als Kronzeugen werden dazu mindestens drei Altkanzler und eine Kanzlerin aufgerufen. Zuerst Helmut Schmidt: “Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.” Der Ghostwriter trägt dies vor, da Guttenberg Bedenken äußert, ohne irgendwelche inhaltlichen Konzepte – oder auch nur Interesse daran – in die Politik zu gehen. “Ja, aber gar keinen eigenen Standpunkt?”, fragt der Baron, und sein Ghostwriter antwortet: “Das ist doch um so besser! Du bist nach allen Seiten offen.” Der Ghostwriter zerstreut mit dem Verweis auf Schmidt Guttenbergs als naiv angesehene Vorstellung, in der Politik gehe es um politische Inhalte, ihre Diskussion und Durchsetzung.

Nach dem Einzug in den Bundestag wiederholt sich dieses Muster, wenn Guttenberg mit seinem Ghostwriter an den Gitterstäben vor dem Kanzleramt rüttelt. “Du willst hier rein”, ruft der Ghostwriter – in bezeichnender Abweichung von der über Gerhard Schröder kursierenden Anekdote. Im Rückblick auf Schröders Kanzlerschaft deutete die FAZ das bekannteste Schröder-Zitat so:
 

“Dass die ‘schöne Geschichte’ (Schröder) im Wahlkampf 1998 von schröderfreundlichen Kreisen verbreitet wurde und seitdem immer wieder hervorgeholt wird, ist gewiß kein Zufall. Beweist sie doch mehrerlei: Schröder ist einer, der weiß, was er will. Schröder ist ein Mann der klaren Worte. Schröder hat Humor. Schröder ist einer von uns, der gern mal einen über den Durst trinkt. Schröder ist jemand, der die Dinge notfalls selbst in die Hand nimmt (in diesem Fall die Gitterstäbe). Und nicht zuletzt: Schröder ist ein Machtmensch und Draufgänger. Sein Ziel hat er jedenfalls erreicht: Er kam da rein. Böse Zungen behaupten, dass er kein weiteres Ziel mehr hatte.” (FAZ, 29.06.2005)

 
Politik ist für den Ghostwriter reines Machtstreben. Außer Macht interessiert ihn, angetrieben von seiner Frau, höchstens noch das Geld, das er in Guttenbergs Schatten verdienen kann. Inhalte sind bestenfalls austauschbar. Und anders als bei Schröder, der sich selbst als Macher, als Machtstreber inszenierte, ist es im Sat1-Film nicht einmal Guttenberg, der dieses Denken an den Tag legt. Er lächelt nur debil, während der Ghostwriter macht. Dabei entspricht der Typus, den Schröder in dieser Anekdote abgibt, ziemlich genau dem, den Guttenberg stets verkörperte: Der starke Mann.

In einer dritten Szene präsentiert die Kanzlerin am Frühstückstisch, dass auch sie sich auf diese Art der Politikbetrachtung verstehe: Sie spielt gleichfalls den starken Mann, der Politik als schmutziges Geschäft ansieht, bei dem es auf Machtdurchsetzung mit allen Mitteln ankommt. Dazu “zitiert” sie den Prototyp eines Altkanzlers, Otto von Bismarck: “Es gibt Dinge, von denen wollen die Menschen wirklich nicht wissen, wie sie gemacht werden: Gesetze und Kriege – und Wurst.”

Bismarck hat das nie gesagt. Aber es spiegelt den Typus wieder, zu dem auch der “Eiserne Kanzler” gezählt wird, und der in Deutschland als Inbegriff des politischen Erfolgs gilt: Der Realpolitiker. Skrupelloses Machtstreben ist demnach der Kern von Politik, mögen ihre Inhalte sein wie sie wollen. Helmut Schmidt, Gerhard Schröder, Angela Merkel und Otto von Bismarck werden als Realpolitiker vorgestellt. Guttenberg nicht, sonst machte er nicht so eine lächerliche Figur.

 

Der starke Mann im Hintergrund

Guttenberg interessiere sich nur für sich selbst und sei eigentlich ein reicher Playboy. Allein der Ghostwriter stellt Guttenberg in die Tradition derer, die er als Vorbilder zitiert. Er drängt Guttenberg zur Macht, bis dieser Spaß daran entwickelt, von allen angehimmelt zu werden. Doch dann bekommt der Ghostwriter ohne ersichtlichen Grund Skrupel. Aber da Guttenberg zu diesem Zeitpunkt bereits auf den Geschmack gekommen ist und von der gewonnenen Macht nicht mehr lassen will, greift der Ghostwriter zu einem Mittel, das zwei Dinge demonstriert: Er ist es, der alle Fäden zieht. Und Politik ist ein schmutziges Geschäft. Denn es ist der Ghostwriter, der ursprünglich den Verdacht sät, Guttenbergs Dissertation sei abgeschrieben.

Ernst Cassirer untersuchte im zweiten Teil seiner “Philosophie der symbolischen Formen” 1925 “Das mythische Denken”, das auch der Politik- und Welterklärung im Film “Der Minister” zugrunde liegt. Er ging davon aus, dass Mythen ein weltliches Geschehen verdinglichen, um es greifbar zu machen:
 

“[D]ie mythische Denkform, die alle Qualitäten und Tätigkeiten, alle Zustände und Beziehungen an ein festes Substrat bindet, führt immer wieder [..] zu einer Art Materialisierung geistiger Inhalte” (Cassirer 1925, S. 72).

 
Im Ghostwriter materialisieren sich in diesem Mythos all jene geistigen Inhalte, die Guttenberg zu dem machten, was er war. Guttenberg erscheint nur als Marionette, als Hampelmann des nach Geld und Macht strebenden Ghostwriters. Ein Politiker wird in diesem Mythos also von einer unbekannten Macht im Hintergrund ferngesteuert. Was in der Öffentlichkeit geschieht, ist demnach nur ein Schauspiel, und Guttenberg ein Politikerdarsteller.

Beide Ebenen sind in der Öffentlichkeit geläufige Erzählmuster über Politik: “Realpolitik” ist (anders als die Politik der Spinner mit Visionen) ein schmutziges Geschäft um Macht und Geld, in dem der Skrupellose gewinnt. Und hinter der Fassade der Politik treffen dunkle Mächte die eigentlichen Entscheidungen, die von Politikern oder Politikerdarstellern nur “verkauft” werden müssen. Beide Ebenen bedient “Der Minister” – zur Gaudi des Publikums.

 

Anderes Format – gleiche Botschaft

Die im Februar angelaufene amerikanische TV-Serie “House of Cards” ist derzeit in aller Munde, auch auf Carta. Sie soll 100 Millionen US-Dollar gekostet haben, eine Summe, die der Auftraggeber Netflix angeblich aufzubringen bereit war, weil die Serie genau auf die Wünsche des Publikums zugeschnitten sei, die durch eine umfassende Auswertung von Zuschauerdaten ermittelt wurden. Die Serie ähnelt dem Fernsehfilm “Der Minister” hinsichtlich ihrer Darstellung von Politik:

Darin plant Frank Underwood skrupellos bis hin zur Soziopathie seinen politischen Aufstieg. Dazu bedient er sich der “perversen Logik”, die den Politikbetrieb bestimme. Auch er besitzt augenscheinlich keinerlei weltanschauliche Motivation oder politische Loyalität.  Dieses zynische Bild von Politik teilt “House of Cards” mit “Der Minister”, und darüber hinaus mit weiteren jüngeren TV- und Kino-Produktionen sowie mit Teilen der Massenmedien.

Bhaskar Sunkara schreibt zum Politikverständnis von “House of Cards” im linksorientierten Magazin “In These Times”, dass solch simpler Zynismus nicht als kritisch angesehen werden könne, da die Botschaft von “House of Cards” lediglich laute, dass Politiker böse Menschen seien. Indem einige Skrupellose, die ihre eigenen Launen über das Gemeinwohl stellten, für die Defizite der Politik verantwortlich gemacht würden, befördere “House of Cards” schale Politikerverachtung, die jedoch keine Ansätze zur Veränderung eröffne.

Das scheint mir gut auf “Der Minister” übertragbar. Der Film bedient das Publikum letztlich mit genau dem, was es auch täglich in der Politikberichterstattung geboten bekommt. Nur ist Guttenberg diesmal, anders als vor der Plagiatsaffäre, keiner “von uns”, kein “Antipolitiker”, sondern einer “von denen”, genau so ein Politikdarsteller, gegen den sich sein inszenierter Furor einst wandte. Der Mythos bleibt, dass Politik so funktioniert.
 

 

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