von Frank Lübberding, 18.1.13
Diese Sichtweise wird allerdings zur Abwechslung nicht von den üblichen Kritikern des sogenannten Mainstream-Journalismus vertreten, sondern bekommt neuerdings aus der Branche prominente Unterstützung. Die Krise des Journalismus und die Suche nach funktionierenden Geschäftsmodellen hat nämlich in dieser Woche einen neuen Höhepunkt erlebt. Der Essener WAZ-Konzern hat sprichwörtlich über Nacht die “Westfälische Rundschau” (WR) geschlossen.
Die komplette Redaktion wird zum 1. Februar entlassen. Aus dem Titel wird eine bloße Marke mit fremden Inhalten. Ein Zeitungszombie, wo ein Chefredakteur eine ähnliche Funktion einnehmen wird, wie im Kaiserreich bei sozialdemokratischen Zeitungen der “Sitzredakteur”. Seine Funktion ist, die Verantwortung für Inhalte zu übernehmen, die er aber gar nicht generiert hat. Immerhin droht heute nicht mehr das Gefängnis wegen Majestätsbeleidigung. Nun hat diese Innovation ironischerweise einen Titel betroffen, an dem die SPD über ihre Medienholding DDVG eine Minderheitsbeteiligung hat. Aber die WAZ dokumentiert vor allem eins: Den Identitätsverlust über das, was man tut.
Nun hatte die WR tatsächlich mehr als nur die üblichen Probleme in der Zeitungsbranche. Die sind bekannt: Auflagenverluste, der Einbruch bei den Werbeerlösen und eine überalterte Leserschaft. Die WR ist in ihren Märkten in Westfalen immer eine “Zweitzeitung” hinter dem jeweiligen Marktführer gewesen. Ob die von der WAZ angegebenen Verluste von 50 Mio. € in fünf Jahren zutreffen, kann man aber bezweifeln. Bilanziell wird die WR schon lange nicht mehr als ein eigenständiger Titel geführt. Zudem macht die WAZ nach den diversen Strukturveränderungen der vergangenen Jahre wieder Gewinne. Sie hat sogar Ende 2012 ein Gewinnziel formuliert: 150 Mio. € im Jahr. Und angekündigt, das “nicht mit dem Rasenmäher” erreichen zu wollen.
Um ihn aber in dieser Woche zum Einsatz zu bringen.
Geschäftsmodelle und medienpolitische Verantwortung standen in der Verlagsbranche schon immer in einem Spannungsverhältnis, um es einmal mit einer Phrase aus Sonntagsreden zu formulieren. Aber bisher war allen Akteuren bewusst, dass es überhaupt existiert. Die WAZ hat jetzt ihr Desinteresse an dieser medienpolitischen Verantwortung deutlich gemacht. Die Führungsfiguren in Essen haben den Verlag ohne Sinn und Verstand zu dem gleichen Zombie werden lassen, der als Prototyp aus ihrer Hexenküche unter dem Titel “Westfälische Rundschau” morgens in meinem Briefkasten landen soll. In der Presseerklärung des Verlags wird der Bauplan des Zeitungszombies mit diesen Worten vorgestellt:
“Unser Ziel ist es, die Westfälische Rundschau zu erhalten und damit die Medienvielfalt in dem Verbreitungsgebiet sicherzustellen.”
Danach folgt die Anleitung zum Zombiebau im Detail. Das soll jeder selbst nachlesen. Was ist jetzt das Problem? Dass die Branche in einem Umbruch steckt? Alle auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen sind? Beides ist so unbestritten wie banal. In kapitalistischen Ökonomien sind sogar Renditeerwartungen keine Überraschung. Der einzigartige Skandal ist die beispiellose Respektlosigkeit gegenüber der Redaktion.
Es ist für das WAZ-Management offenkundig völlig egal, welche Menschen welche Inhalte produzieren. Sie hat weder einen journalistischen, noch einen medienpolitischen Anspruch. Ansonsten käme niemand auf die Idee, eine Redaktion schlicht durch irgendetwas anderes zu ersetzen. Sie hält damit das, was die entlassenen Mitarbeiter bisher getan haben, für wertlos. Wie will diese Konzernführung jetzt plausibel begründen, dass das nicht für alle Journalisten im Konzern gilt? Schließlich hat sie damit zwei Dinge zum Ausdruck gebracht:
1. Die WAZ bedruckt nur noch Papier.
2. Eine Zeitungsredaktion ist nur das Rahmenprogramm für Renditeerwartungen.
Gruner & Jahr kam übrigens nicht auf die Idee, die FTD mit den Inhalten des Handelsblatts fortzuführen. Offenkundig war aber der Zeitpunkt für diese Aktion günstig, um eine Branche nachhaltig zu diskreditieren: Nichts anderes hat man in Essen mit dem Rasenmäher gemacht. Vielleicht kann die WR nicht mehr gerettet werden. Gibt es aber einen Grund, das WAZ-Management zu retten? Es hat nämlich den Unterschied zwischen Klopapier und Zeitungen nicht verstanden, ansonsten hätten sie die Redaktion anders behandelt.
Und damit daran keinen Zweifel besteht: Das Management in der Körperhygienebranche ist zumeist kompetent. Sie wissen, was sie produzieren. Bei der WAZ hat man das vergessen. So ist nur zu hoffen, dass der Widerstand wächst. Es geht um nichts anderes als die Selbstachtung. Und das betrifft nicht nur die Kollegen der “Westfälischen Rundschau”.
Update:
- Bei den Ruhrbaronen über die Folgen verlegerischer Selbstverstümmelung.
- Die betroffene Journalistin Angelika Beuter beschreibt auf ihrem Blog die Tage nach der Betriebsversammlung, auf der die Entlassungen bekanntgegeben wurden: Absprung · Aufstehen, Krone zurechtrücken, weiter laufen. Ein Leben nach der Westfälischen Rundschau. (Ergänzt von Redaktion Carta)
Crosspost von Wiesaussieht