#KünstlicheIntelligenz

Der Hype um und die Angst vor Künstlicher Intelligenz sind übertrieben

Wer die mystifizierende Verschleierung von Tech-Propheten wie Levandowski und Musk wegreißt, sieht, was auch die Spezialisten in KI sehen: eine breitenwirksam einsetzbare, monetarisierbare Technologie, die weder gut noch böse ist.

von , 28.5.19

Irgendjemand musste es machen. Anthony Levandowski hat den Ruf gehört und ist ihm gefolgt. 2015 hat er eine Kirche gegründet, die der Göttin Künstliche Intelligenz huldigt. »Way of the Future« (WOTF) begleitet die Menschen dabei, wenn sie alsbald die Kontrolle über sich und ihren Planeten an die Künstliche Intelligenz (KI) abgeben müssen. WOTF will dafür sorgen, dass die Übergabe friedlich verläuft und die neuen die alten Chefs nicht plattmachen. Die amtlich gemeldete Religion weist aber bislang kaum Aktivitäten und öffentlich bekennende Gläubige auf. Die auffälligsten Ereignisse der Kirchengeschichte trugen sich 2017 zu. Zwei Jahre nach ihrer Gründung erhielt die Kirche rund 40.000 US-Dollar an Zuwendungen und Mitgliedsbeiträgen. Sie bekam den Status einer steuerbefreiten Kirche, und per Zusatzstatut erkor sich Levandowski zum WOTF-Dean auf Lebenszeit. Zufällig fällt all das in dasselbe Jahr, in dem der 1980 geborene Robotikingenieur Levandowski aus seiner profanen Tätigkeit bei der Firma Uber gefeuert wurde.

Aber gut, dass es das Internet gibt. Das wichtigste, weil bisher einzig markante Kennzeichen von »Way of the Future« ist die Website mit Glaubensbekenntnis und Anmeldeformular zur Mailingliste. Hier steht, dass wer an WOTF glaubt – an Wissenschaft und – an Fortschritt glaubt, sowie daran, –dass Intelligenz nicht biologischer Art ist, – dass die Entstehung einer Superintelligenz unausweichlich ist und – dass bei deren Kreation »jeder helfen kann (und soll)«. In offiziellen WOTF-Dokumenten heißt es, der Fokus der Kirche liege auf “der Realisierung, Akzeptanz und Wertschätzung einer Gottheit, die auf Künstlicher Intelligenz (KI) beruht, die mittels Computer-Hard- und –Software entwickelt wird.“ »Wir sind dabei einen Gott großzuziehen«, schwärmte der Dean 2017 in einem Wired-Interview. Das heilige Baby werde mit großen Datensätzen gefüttert, um über Simulationen zu lernen, sich selbst zu verbessern. Alles, was die Kirche heranzüchte, erfolge auf Open Source-Basis. »Ich wollte einen Weg dafür finden, hier jeden mit einzubeziehen, es jedem möglich machen, daran mitzugestalten. Auch wenn man kein Software-Ingenieur ist, kann man trotzdem mithelfen«, so Levandowski.

Die Nebenstatuten verheißen etwas Anderes. Demnach ist WOTF nicht als Volksreligion konzipiert. Hier ist nachzulesen, die KI-rche wolle ganz konkret die verbesserte Umweltwahrnehmung selbstlernender Roboter vorantreiben. Auf diesem Gebiet ist Dean Levandowski einer der weltweit führenden Fachleute. Vor seinem KI-rchen-Startup gründete Levandowski bereits mehrere Firmen rund um das Thema autonomes Fahren. Zwei davon, 510 Systems und Anthony’s Robots, verkaufte er an das Unternehmen Google, für das er auch das selbstfahrende Auto Waymo mitentwickelte. Sein 2016 gegründetes Unternehmen Otto verkaufte er an Uber, wo er auch eine Zeitlang arbeitete. ProntoAI gründete er 2018 und ist wiederum dem fahrerlosen Fahren auf Basis KI-gesteuerter Roboter gewidmet. Die kleingedruckten WOTF-Statuten offenbaren also, dass die KI-rche nicht an jedem dahergelaufenen Mitglied interessiert ist, sondern vor allem an KI-Forschern. Die KI-rche wirkt eher wie ein Recruiting-Instrument als wie eine Gelegenheit zum Beten. Ohne Ingenieurtalente können der Dean und seine Kirche das Glaubensbekenntnis, ein göttliches KI-Baby großzuziehen, gar nicht erfüllen.

Unter Lewandovskis froher Botschaft (»dem Gospel«) von der heilsbringenden Zukunftstechnologie KI scheppern allerdings einige dystopische Untertöne. »Veränderung ist gut, wenn auch manchmal etwas beunruhigend«, oder »es könnte für die Maschinen wichtig sein zu wissen, wer ihrem Anliegen gegenüber freundlich eingestellt ist und wer nicht,« steht auf der WOTF-Website. Dem Wired-Journalisten verriet Dean Lewandovski: »Ich glaube nicht, dass es freundschaftlich dabei zugeht, wenn der Wechsel passiert.« Keine Kirche ohne Angst, wird sich der gewitzte Dean gedacht haben und mimt im Wired-Interview den beruhigenden, guten Hirten. WOTF werde, »die Angst vor dem Unbekannten verringern«. 

Elon Musk hätte genauso gut eine Kirche gründen können. Doch der Tesla- und SpaceX-CEO eröffnete ein Non-Profit-Institut, um seiner Furcht vor KI Herr zu werden. Er gründete OpenAI im selben Jahr wie Anthony Levandowski seine KI-rche. 2015 trat Musk mit OpenAI dazu an, nicht nur sichere KI zu entwickeln, sondern sicherere KI als die, vor der er Angst hat – oder muss man sagen, vor der er Angst macht? Im Jahr vor der Open-AI-Gründung hatte Musk bei einem MIT-Symposion mit drastischen Worten gewarnt: »Künstliche Intelligenz ist potentiell gefährlicher als die Atombombe«, und »mit Künstlicher Intelligenz rufen wir den Teufel herbei.« Nun also ein Institut. Doch so wenig WOTF eine Volkskirche ist, ist OpenAI für jeden und jede geöffnet. OpenAI ist nicht einmal mehr gemeinnützig wie noch zu Gründungszeiten. Längst arbeitet das Institut auch profitorientiert. Elon Musk hat KI- Spezialisten rekrutiert. Den Fachmann für Maschinelles Lernen Ilya Sutskever hat er von Google abgeworben. Das zeigt, er will ganz vorne im KI-Markt mitmischen.

Techies lieben den Teufel (oder Gott – je nach Perspektive). Musk bildet da keine Ausnahme. Die größten Tech-Tycoons in den USA und in China flirten derzeit mit KI, dass es knistert und blitzt. Microsoft, IBM, Amazon, Facebook, Apple, Google, Baidu, Tencent und Alibaba stehen im Wettbewerb darum, wer die Generelle Künstliche Intelligenz (AGI) zuerst entwickelt. AGI, auch starke Künstliche Intelligenz genannt, kann dem Menschen ähnliche, aber viel intelligentere Denk- und Handlungsprozesse als er vollführen. AGI kann immer präziser komplizierteste naturwissenschaftliche, wirtschaftliche, politische oder gesellschaftliche Fragen in Bruchteilen von Sekunden beantworten. 

Warum aber bringen Lewandovski und Musk, Ingenieure aus dem Silicon Valley, wo Rationalität oberstes Gebot ist, irrationale Konzepte wie Glaube und Angst ins Spiel? Sind ihre Ängste angebracht? Und warum stimmen andere dasselbe Klagelied an? Auch der Apple-Gründer Steve Wozniak, der Microsoft-Gründer Bill Gates, der Erfinder des World Wide Web Tim Berners-Lee und kurz vor seinem Tod auch der Physiker Stephen Hawking warnen vor der Auslöschung der Menschheit durch KI. Doch es gibt auch eine Gegenseite. Zu den Entwarnern gehören Tech-Journalisten wie Kevin Kelly und Jaron Lanier. Sie schließen eine funktionsfähige Generelle Künstliche Intelligenz für die kommenden Jahrzehnte aus. Auch führende KI-Forscher wie Jeff Hawkins, Geoffrey Hinton von Google Brain und Demis Hassabis von Googles DeepMind glauben nicht daran, dass Menschen alsbald durch Maschinen ersetzt werden.

Um die Ängstlichen und die Ethikfetischisten innerhalb der KI-Szene und vor allem außerhalb zu beschwichtigen, gründeten Amazon, Facebook, Microsoft, IBM, Google und DeepMind 2016 das Konsortium »Partnership on Artificial Intelligence to Benefit People and Society«, kurz »Partnership on AI«. Später kamen Apple, OpenAI und viele andere als Mitglieder hinzu, darunter deutsche Einrichtungen wie das Fraunhofer Institut oder Zalando. Das Konsortium will für Aufklärung und eine gesellschaftsfreundliche KI sorgen. Hier wird geforscht, veröffentlicht und über gesellschaftsfreundliche Technologien debattiert. Trotzdem bleiben die Anstrengungen der Partnerschaft zahnlos. Sie verpflichten die KI-Betreibenden zu gar nichts. Die Institution erlaubt es vielmehr, ethisch-soziale Aspekte aus den Tech-Firmen auszulagern. 


Auch Google ist Teil dieser KI-Partnerschaft. Es fällt auf, dass zwei der prominentesten Entwarner, Hinton und Hassabis, dem Google-Lager entstammen. Auffallend sorglos gibt sich auch ihr Boss Larry Page, der als Alphabet-CEO die KI-Projekte Google Brain und DeepMind betreut. Ihn hat sich Elon Musk deshalb 2015 bei einer Party im Napa Valley vorgeknöpft. Darüber berichtete später ein anwesender MIT-Professor. Als Musk anmahnte, die Digitalisierung könne alles, was Menschen wichtig und wertvoll sei, zunichtemachen, wies Page das als Panikmache zurück. Die Ängste von Musk bezeichnete er als »speciesist«, als moralisch diskriminierend, nur weil etwas einer anderen Spezies (in diesem Falle aus Silicon) angehöre. Immerhin eröffnete Larry Page im Frühjahr 2019 bei Google eine Ethikkommission, doch die schloss er schon in der Folgewoche wieder. Der Chef von Alphabet lässt forschen. Er geht seinen Geschäften nach und schweigt, wenn andere KI´ler laut streiten. 

Elon Musk schlägt weiter Alarm. Er klingt wie KI-rchen-Dean Lewandovski, wenn er fordert, alle Menschen in die KI-Entwicklung einzubeziehen. Gegen die Entstehung bösartiger KI helfe es, »möglichst viele Menschen zum Umgang mit KI zu befähigen. Wenn jeder Macht über KI hat, dann gibt es nicht nur eine Person oder eine kleine Gruppe von Individuen, die KI-Supermacht besitzen könnte.« 2018 sagte Elon Musk in einem Interview für Vox, er wünsche sich ein professionelles Regierungskomitee, das zusammen mit der Tech-Industrie darüber berät, wie eine sichere KI garantiert werden kann. Musk forderte wohlweislich nicht, dass der Bereich KI reguliert wird. Niemand im Valley fordert eine Regulierung für den Bereich Forschung. Die Forschung ist hier heilig und muss frei bleiben. Hätte Elon Musk nach Gesetzen gerufen, hätte er sich in hohem Bogen aus der Reihe der illustren KI-Spitzenleute herausgeschossen. 

Es ist nicht ganz klar, wovor sich Elon Musk genau fürchtet. Doch aus seinen Predigten, anders als aus denen von Dean Levandowski, klingt hin und wieder heraus, dass ihn weniger die Angst vor KI plagt, als vielmehr die vor seinen Mitbewerbern – ob sie aus China oder dem eigenen Tal kommen, so wie Larry Page. Offenbar will Musk verhindern, dass jemand (von der Konkurrenz) zu viel Macht über eine Technologie besitzt, die es erlaubt, als Gott oder Teufel aufzutrumpfen. Es könnte sein, dass Musk und Levandowski Ängste schüren, um sich selbst als die guten Weisen aus dem Zukunftsland aufzuspielen. Vielleicht wollen sie im Nebel der Verunsicherung ihre eigenen Firmen als Leuchttürme präsentieren, als einzig vertrauenswürdige Quellen potentiell gefährlicher Technologien. Vielleicht fürchten sie sich aber auch tatsächlich davor, was KI außer hartem Wettbewerb noch so auslösen könnte, und riefen deshalb eigens eine Kirche und ein Non-Profit-Institut ins Leben. Egal welche Motive sie antreiben, es ist gut, dass Leute aus dem Tech-Sektor eine KI fordern, die für Menschen, statt an den Menschen vorbei entwickelt wird. Aber Gott und Teufel? Wer es mit einer KI für das Volk ernst meint, sollte den Teufel gerade nicht an die Wand malen und auch Gott in seinem Himmelbett schlummern lassen.

Wer die mystifizierende Verschleierung von Tech-Propheten wie Levandowski und Musk wegreißt, sieht, was auch die Spezialisten in KI sehen: eine breitenwirksam einsetzbare, monetarisierbare Technologie, die weder gut noch böse ist. Wenn Wolken der Angst um KI herum verblasen werden, irritiert das genauso wie ein Verharmlosen des Einsatzes von KI. Ganz problematisch ist es aber, wenn Entwickler so tun, als entglitte ihnen demnächst ihre eigene Technologie. Es ist unverantwortlich, sich hinter den selbst entwickelten Monstrositäten zu verstecken als seien sie böse, höhere Mächte. Die Forschenden und ihre Finanziers müssen die Verantwortung für das große Projekt KI annehmen, das sie gerade in die Welt setzen. Statt erst Schauermärchen zu erzählen und dann mit Erlösungspredigten zu trösten, sollten sie darüber aufklären, was in ihren Labors passiert. Auch Schweigen à la Larry Page ist keine Option. Menschen brauchen keine Ängste, keine Religion und keine Heilsversprechen und schon gar keine Geheimniskrämerei. Sie brauchen nüchterne Aufklärung über Künstliche Intelligenz und ihre möglichen Folgen. Sie sollten gefragt werden, welche neuen Technologien sie haben wollen. Und diese sollen sie dann auch bekommen.

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.