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Der erste Blogger: Samuel Johnson

von , 18.2.09


Es ist ein bisschen merkwürdig, dass Blogs als medienhistorisches Thema bisher kaum gewürdigt wurden. Im deutschen Sprachraum ist der Wiener Karl Kraus (1874-1936), dessen Blog „Die Fackel“ 37 Jahre lang existierte, das naheliegendste Beispiel. Der Moralist Kraus legte sich darin mit Gott und der Welt an und natürlich auch mit den etablierten Medien, die er „Pressmafia“ und „Journaille“ nannte. (Letzteren Begriff hat er berühmt gemacht, allerdings zuvor von einem Freund geklaut, was er auch gern zugab.)  Als Fabrikantensohn war Kraus finanziell unabhängig, was ihm als Publizist „fuckyouability“ (die Abkürzung FUA stammt von Michael Kinsley) zusicherte: Die Gewogenheit anderer konnte ihm gleichgültig sein.

Blogger mit FUA gibt es heute auch – zum Beispiel der Kollege mit dem italienischen Pseudonym – doch Samuel Johnson besaß sie zunächst nicht. Nach einer klassischen Ausbildung und einem gescheiterten Berufseinstieg als Lehrer zog er 1737 nach London und verdingte sich in der Grubstreet, wo angehende Schriftsteller und Journalisten in Kaffeehäusern für wenige Pennies ums Überleben schrieben. Es war eine Zeit wie unsere, stellte Adam Gopnik vor kurzem im New Yorker fest: Das Geschäftsmodell der alten Medien – die Künstlerförderung durch aristokratische Patronage – gab es nicht mehr, das neue – das mittelständische Verlagswesen – war noch nicht etabliert. Johnsons finanzielle Rettung war ein Projekt, das ihn bekannt machte: Ein Wörterbuch der englischen Sprache, das mehrere Buchhändler bei ihm in Auftrag gaben. (Auch der Begriff „Network“ wurde darin definiert.) Heute wäre dies eine Aufgabe für die Wikipedia-Community, damals war es das Werk eines einzelnen Mannes. Gleichzeitig war Johnsons Wörterbuch Ausdruck jener entstehenden Herrschaft des Bürgertums, die sich eben auch als Foucaultsche Definitionshoheit über die Sprache manifestierte.

Johnson konnte sich nun seinem ersten Blog The Rambler (Der Abschweifer) widmen, der aus 208 Postings von 1750 bis 1752 bestand, je zwei pro Woche. Seine FUA wahrte er, indem er anonym schrieb, was ja auch bei unseren zeitgenössischen Blogs keine Seltenheit ist. Gastbeiträge waren willkommen, es gab aber nur fünf. Der Rambler war natürlich eine Art Zeitschrift, die damals – wie unsere Blogs heute – relativ leicht in geringer Auflage herzustellen war. Dass wir über Johnsons Arbeitsweise sowie alle anderen Aspekte seines Lebens so gut informiert sind, liegt an James Boswell, einem jungen Freund Johnsons, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte, die umfangreichste Biografie der Literaturgeschichte zu schreiben („As it is, I will venture to say that he will be seen in this work more completely than any man who has ever yet lived.“) Da Johnson in diesem Herbst 300 Jahre alt geworden wäre, wird darüber zumindest in Großbritannien bald noch viel zu lesen sein. Genaugenommen haben also weder sein Wörterbuch noch seine Blogs noch seine anderen Werke Johnson berühmt gemacht, sondern Boswells Biografie – man könnte auch sagen, Johnson ist bis heute ziemlich gut verlinkt.

Die Postings des Rambler, berichtet uns Boswell, waren kein „Spiegel“-Essay: “Many of these discourses, which we should suppose had been laboured with all the slow attention of literary leisure, were written in haste as the moment pressed, without even being read over by him before they were printed.” Zu solcher Recherche-freien Spontaneität war nur jemand fähig, der kein Journalist, sondern eben Blogger war: “By reading and meditation, and a very close inspection of life, he had accumulated a great fund of miscellaneous knowledge, which, by a peculiar promptitude of mind, was ever ready at his call, and which he had constantly accustomed himself to clothe in the most apt and energetic expression.” Man muss hinzufügen, dass Johnson eine Neigung zum Aphorisieren („When a man is tired of London, he is tired of life“) hatte – er wäre also auch ein hervorragender Twitterer gewesen. Bei seinem zweiten Blog, The Idler (Der Müßige), ging es ähnlich spontan zu: Als er einmal bei einem Freund zu Gast war und ein Blog-Beitrag ausstand – ohne WordPress musste er ihn natürlich zur Post bringen – erkundigte er sich nach der nächsten Leerung des Briefkastens. In einer halben Stunde, antwortete der Freund. „Das reicht dicke“ („Then we shall do very well“), meinte Johnson und machte sich an die Arbeit.

The Idler erschien 103 Mal von 1758 bis 1760 als Beilage einer Zeitschrift, die nur für diesen Zweck gegründet worden war. Während der Rambler eher moralisch-philosophisch ausgerichtet war und deswegen vielleicht beim Page Ranking zu wünschen übrig ließ („I have never been much a favourite of the publick“, schrieb Johnson in seinem letzten Beitrag), hatte der Idler alle Voraussetzungen für einen erfolgreichen Blog: Er beschäftigte sich mit dem Sinn und Unsinn von Heiratsannoncen und Wettervorhersagen, amüsierte sich über die Beschränktheit von Zeitungsjournalisten („The compilation of newspapers is often committed to narrow and mercenary minds, not qualified for the task of delighting or instructing; who are content to fill their paper, with whatever matter, without industry to gather, or discernment to select.”) oder reflektierte tief erschüttert über den Tod eines Freundes.

Johnson lud Leser ein, sich zu beteiligen, allerdings mit geringem Erfolg. Vielleicht lag dies daran, dass der Trackback noch nicht erfunden war, vielleicht aber auch an den zu strengen Kommentarrichtlinien: In einer Zeit, “when the cook warbles her lyricks in the kitchen, and the thrasher vociferates his heroicks in the barn”, erbat sich Johnson „only the contributions of those who have already devoted themselves to literature, or, without any determinate intention, wander at large through the expanse of life, and wear out the day in hearing at one place what they utter at another”. Dennoch waren Johnsons Beiträge so populär, dass sie anderswo ohne Erlaubnis und ohne Link nachgedruckt wurden. Daraufhin drohte er, mit dem Material von Konkurrenten ähnlich zu verfahren und die Erlöse den Londoner Prostituierten zukommen zu lassen. Hauptberuflich arbeitete Johnson zu dieser Zeit an einer Neuausgabe der Werke von Shakespeare, kam aber nur langsam voran und wurde wegen ausstehender Schulden sogar verhaftet.

Die amerikanische Literaturhistorikerin Tedra Osell hat in ihrem Blog Bitch Ph.D. darauf verwiesen, dass die Betrachtung von Johnson und anderen Publizisten als frühe Blogger unter Kennern des 18. Jahrhunderts durchaus üblich ist. Sie argumentiert, dass deren Pseudonyme einerseits das gesellschaftliche Risiko ihres Publizierens verdeutlichten, andererseits den Texten aber auch eine persönliche, un-journalistische Note verliehen. Sowohl Johnson als auch Karl Kraus waren Zeugen eines gesellschaftlichen Wandels, der im Zusammenhang mit der Industrialisierung stand und sich jeweils auch in neuen Medien wiederspiegelte. Bei Johnson war es der Aufstieg des Bürgertums mit dem von ihm kontrollierten Verlagswesen, bei Kraus nach einer weiteren Konsolidierungsphase mit dem eigentlichen Entstehen des Journalismus ein heute nur schwer vorstellbarer Technologieschub, der am Ende die Massenmedien hervorbrachte – das Halbtonverfahren, das den einfachen Druck von Fotos ermöglichte, der Telegraf, industriell gefertigte Papierpressen. Heute ist es die digitale Revolution.

Boswell bemerkte, einige von Johnsons Beiträgen im Idler “were written as hastily as an ordinary letter”. Damit sprach er ein von der Kommunikationswissenschaft völlig unterschätztes Medium an, den Brief. Blogs als „Internet-Tagebücher“ zu bezeichnen, ist Quatsch, denn sie richten sich ja an einen (theoretisch sogar unbegrenzten) Adressatenkreis. Und sie ermuntern zur Antwort. Ähnelt die E-Mail eher dem Geschäftsbrief, stehen Blogs dem Privatbrief mit seiner Subjektivität und Emotionalität nahe. Johnson und seine Nachfolger entzogen sich in ihren Epochen „den materiellen und ökonomischen Komponenten von Meinung“ (Michel Foucault), die den professionellen Journalismus prägen und dort gern als „Objektivität“ konstruiert werden. Dass auf unsere heutige Phase des medialen Umbruchs wieder eine Konsolidierung folgt, liegt auf der Hand. Deswegen, liebe Carta-Community, lest die Blogs von heute und gestern. Lest Johnson und Kraus. Es ist alles online.

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