von Tobias Endler, 13.4.18
John Bolton ist angekommen im Zentrum der Macht. Der Sohn eines Feuerwehrmannes aus Baltimore sitzt dieser Tage im Weißen Haus oftmals direkt neben dem mächtigsten Mann der Welt, hat das Ohr des Präsidenten wie kein anderer. Bolton ist seit Montag dieser Woche Nationaler Sicherheitsberater der USA, zuständig für außen- und eben sicherheitspolitische Fragen, die globale Rolle der USA. Er wäre auch gerne Außenminister geworden, doch Trump meinte offenbar, Boltons markanter Schnauzer, seit Jahrzehnten dessen Markenzeichen, passe nicht zu diesem Amt.
Wie ein – schlechter – Witz mutet auch die jetzige Konstellation an: Mit dem ideologischen Hardliner Bolton und seinem ideologiebefreiten, ebenso desinformiert wie rabiat auftretenden Präsidenten kommt zusammen, was auf perverse Art zusammenpasst, aber eigentlich nicht zueinanderfinden dürfte. Zu brisant ist die Mischung, die hierbei entsteht und sich zu einer brandgefährlichen Absurdität auswachsen könnte. Auf der einen Seite Bolton, tatendurstig aus dem Abklingbecken der Washingtoner Think Tanks aufgetaucht, ganz auf seiner Linie: Surrender Is Not an Option – Aufgeben ist keine Option –, so der martialische Titel einer autobiographischen Streitschrift, die Bolton vor gut zehn Jahren veröffentlichte. Untertitel: Amerika bei den Vereinten Nationen und in der Welt verteidigen.[1] Das Werk fasst die Weltsicht des außenpolitischen Falken zusammen, der dem Autor gegenüber in einem Gespräch schon damals keinen Hehl aus seiner Faszination für die Nähe zur Macht machte.[2] Bolton will Einfluss, zu jener Zeit auf George W. Bush; er will seine Ideen in konkrete Politik übersetzt sehen. Nun also auf der anderen Seite Donald Trump, anfällig wie wenige Staatsoberhäupter vor ihm für die Einflüsterungen eines Mannes, der den Kompromiss als Schwäche auslegt und sein Politikleben lang auf Eskalation gesetzt hat.
Drei Fragen drängen sich auf:
Erstens, welche Auswirkungen hat die neue Tuchfühlung zwischen Bolton und Trump?
Es gibt durchaus Anlass zur Befürchtung, dass der selbsterklärte „Americanist“ entscheidende Stellschrauben im Außen- und Sicherheitspolitischen (mit)stellen wird: Bolton, als Dauergast auf Fox News der Inbegriff der Zuspitzung, trifft auf einen Präsidenten, der außenpolitisch noch nie bewandert war und seiner eigenen harschen Wahlkampfrhetorik gerecht werden muss. Ein Präsident, der aufgrund weltweit gleichzeitig auftretender ernster Krisen arg ins Schlingern geraten ist und durch demagogische Vereinfachung beeinflussbarer ist, als er selbst glaubt. Der das Vieraugengespräch jedem Geheimdienstbriefing vorzieht und nun mit Bolton ein sprichwörtliches Gegenüber hat, dessen scharfkantige, eindimensionale Sicht auf die Dinge Trumps Eigenwahrnehmung als starker Mann an der Spitze noch befeuert. Das ausgleichende Moment vergangener Monate nimmt dabei stetig ab; längst haben weitere Draufgänger die Gemäßigten im Umfeld Trumps abgelöst, wie etwa Mike Pompeo den glücklosen Rex Tillerson als Außenminister. Heimatschutzberater Tom Bossert wurde von Bolton schon am ersten Tag abgedrängt.
Für den radikalen Realpolitiker sind die Länder dieser Erde wie Billardkugeln, die aufgrund ihrer Außenpolitik aufeinanderprallen und ihre gegenseitige Lage damit verändern.
An die erste schließt sich zwingend eine zweite Frage an: Wo steht Bolton, und was sollten wir demnach erwarten?
Böse Ironie: Der neue Sicherheitsberater ist das, was sie in den USA einen bomb thrower nennen, ein Bombenwerfer, rhetorisch ohnehin, aber leider auch ganz praktisch: Bolton will Iran bombardieren, Syrien und den IS bombardieren, Nordkorea bombardieren. Dabei muss man sich klarmachen, dass die Öffentlichkeit längst nicht alles zu hören bekommt, was Bolton sonst noch durch den Sinn geht. Solange er „mit der halben Bürokratie Washingtons“ jede seiner Aussagen abklären müsse, dringe lediglich eine zensierte Version nach außen, sagt er selbst. Das bisher wenig zu hören ist, heißt daher nicht, dass Bolton keinen Plan hat. Im Gegenteil: Schon in Surrender Is Not an Option weist er auf die Gefahr hin, ohne ideologisches Rüstzeug in die Regierung zu gehen, denn „ohne eine bestimmte philosophische Orientierung – rechts oder links –“ werde man „unweigerlich zu einer Kreatur der Bürokratie“; es gehe darum, „den Kompass gerade zu halten.“ Bei Bolton heißt das: knallharter, entschiedener Nationalismus. Er ist kein Neokonservativer, wenn er auch hierzulande gerne so charakterisiert wird. Von nation-building hält er nichts, die USA als Hebamme der Demokratie in anderen Ländern kommt bei ihm nicht vor. Eine demokratische Staatsform, so stellt er schon mit Bezug auf den US-Einmarsch im Irak 2003 klar, kann nicht „einfach von oben draufgesetzt werden“, schon gar nicht in Ländern wie dem Irak, wo es „null Vorgeschichte“ in Sachen Demokratie gebe.
Generell macht sich Bolton selten die Mühe, das Innere eines Staates genauer zu betrachten. Für den radikalen Realpolitiker sind die Länder dieser Erde wie Billardkugeln, die aufgrund ihrer Außenpolitik aufeinanderprallen und ihre gegenseitige Lage damit verändern. Was sich unter der harten Oberfläche der Kugel abspielt, ist irrelevant. Die Welt ist ein Nullsummenspiel: gewinnt eine Seite, verliert die andere. Die Vorstellung, dass beide Seiten von einem balanciert ausgehandelten Deal profitieren könnten, ist für Bolton naiv. Seine skeptische bis offen ablehnende Sichtweise des internationalen Staatengefüges, das für ihn allein durch das Machtinteresse als zentralem Prinzip alles Politischen bestimmt wird, lässt ihn die Idee eines konstruktiven Dialogs in internationalen Foren ablehnen. Von supranationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen hält er dementsprechend wenig: „Es gibt viele Werkzeuge, die man nutzen kann, um Außenpolitik zu machen. Die UNO ist wie ein Buttermesser. An einem Buttermesser ist nichts auszusetzen. Aber man muss verstehen, dass es kein Steakmesser ist, keine Gabel. Es ist etwas, das nützlich sein kann, aber nicht in jedem Fall, nicht zwangsläufig, nicht in jedem Kontext.“ Die USA hingegen, so Bolton, seien „das Steakmesser“, schon aufgrund der Stärke, die dem Land verfügbar sei, „und welche nur sehr wenige andere Länder haben oder demonstrieren wollen.“ Tatsächlich bedauert Bolton diesen Umstand sogar, weil er bedeute, dass die USA letztlich immer die größte Last zu schultern hätten.
In jedem Fall aber geht es ihm immer um die beste Lösung für die USA, „nicht um die platonisch beste Version einer internationalen Situation“, wie Bolton mit grimmiger Ironie ausführt. Für den Ex-Diplomaten, kurze Zeit Bushs Botschafter ausgerechnet bei den Vereinten Nationen, ist Diplomatie schon immer „advocacy, das Verfechten eigener Interessen.“ Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die UNO, für Bolton ohnehin ein Ort, wo es kaum ein Interesse gebe, „die Dinge hinzubekommen“, ist bis zu einem gewissen Grad entbehrlich, und das amerikanische Außenministerium dringend überholungsbedürftig; dort würden US-Interessen „viel öfter als notwendig“ kompromittiert. Boltons Sicht auf beide Einrichtungen fällt bei Trump auf fruchtbaren Boden. Der Präsident hat den Wirkkreis des State Departments auf ein Minimum zurückgestutzt, seinen ehemaligen Chefdiplomaten Tillerson früh in dessen Autorität untergraben und schließlich per Twitter gefeuert. Trump verbittet sich, genau wie Bolton, jegliche – wie er es sieht – internationale Einmischung in innenpolitische Streitfragen. Beide Politiker haben nur Geringschätzung für die ihrer Meinung nach hochfliegenden Idealisten etwa der UNO oder auch sämtlicher NGOs übrig, für sie sind es weltfremde Edelgesinnte ohne Sinn für realpolitische Härten: „the High-Minded“, so Bolton.
Es bleibt nicht bei diesen Gemeinsamkeiten. Bolton teilt mit seinem Chef eine intuitive Vorliebe für eine reduzierte Rolle der USA in der Welt. Dieser Isolationismus schließt nicht aus, dass das Land einer akuten oder möglichen zukünftigen Bedrohung für das eigene Land (gleich ob faktisch oder wahrgenommen) mit radikaler militärischer Härte begegnet, so zu beobachten im April 2017, als Trump die „Mutter aller Bomben“ über der afghanischen Nangarhar-Provinz abwerfen ließ, und möglicherweise ein Jahr später nun in Syrien als Reaktion auf den Giftgasangriff von Ghuta. Beides sind jedoch punktuelle Eingriffe, mehr nicht. Laut Bolton lehnt es eine steigende Anzahl von Amerikanern mittlerweile ab, „sich um große Teile der restlichen Welt Sorgen zu machen“, und dies sei zu akzeptieren.
Hieraus leitet sich schließlich die dritte Frage nach den konkreten außenpolitischen Konsequenzen ab, welche die explosive Konstellation Bolton/Trump mit sich bringt. Erneut verstärkt die Perspektive des ambitionierten Beta-Männchens diejenige des ultimativen Alphatieres auf gefährliche Weise: im Nahen Osten, in Fernost, und auch mit Bezug auf Europa. Laut Bolton heißt die größte Bedrohung für Amerika dieser Tage Iran. „Der zentrale Finanzier des Terrorismus in der Welt seit Jahrzehnten“ sei mit Argusaugen zu beobachten, keinesfalls dürften die Amerikaner irgendwelche Zugeständnisse machen, weder jetzt noch zukünftig. Damit steht fest, dass die Chancen für einen Fortbestand des Iran-Abkommens, vielleicht das wichtigste außenpolitische Erbstück der Regierung Obama, mit Boltons Ernennung beträchtlich sinken. Dieser weiß zudem Außenminister Pompeo an seiner Seite, auch er ein erklärter Gegner des Vertrags.
Fürs Erste beschäftigt sich Bolton darüber hinaus weniger mit dem unmittelbaren Nachbarn Irans, dem Irak (den Einmarsch 2003 verteidigt er als einer der wenigen bis heute vehement), dafür nimmt er den irakischen Nachbarn Syrien ins Visier. Trump hat seine mittlerweile berüchtigte Twitter-Drohung an Russland, die USA würden „schlaue“ Raketen auf den Staat in Vorderasien abfeuern, einen Tag später selbst relativiert. Doch das Thema ist gesetzt, ein höchst aggressiver Ton angeschlagen. Bolton wird den Präsidenten drängen, seinen Worten Taten folgen zu lassen. Und genau das passiert: Während Trump noch vor kurzem alle US-Soldaten aus Syrien abziehen wollte, hat nun der Flugzeugträger USS Harry Truman die Marinebasis Norfolk, Virginia, Richtung Mittelmeer verlassen. Dass zuvor im UN-Sicherheitsrat mehrere Entwürfe für Resolutionen als Antwort auf den Giftgasangriff gescheitert waren, bestätigt Bolton nur in seiner Geringschätzung gegenüber dieser Institution.
Hier zeigt sich für den Haudegen in aller ernüchternden Klarheit die speziell (west)europäische Neigung, Konfrontation zu vermeiden und Probleme anzupacken. Stattdessen zögen die schwächlichen Europäer (dieser Einstufung des neokonservativen Vordenkers Robert Kagan wiederum würde Bolton zweifellos zustimmen) noch immer einen „endlosen diplomatischen Kauakt“ jeder entschiedenen Handlung vor. Gleichzeitig, davon ist Bolton so überzeugt wie sein Vorgesetzter, benutzen gerade die Europäer multilaterale Einrichtungen wie die UNO, um die USA in ihrer Handlungsfähigkeit einzuschränken. Stattdessen gelte es in Syrien wie mit Bezug auf den Islamischen Staat, schnell und hart zuzuschlagen. In diesem Punkt macht Bolton aus seiner Verachtung für die Obama-Regierung keinen Hehl, die den Kampf nicht zuletzt aus falscher Rücksicht auf die Europäer in „slow motion“ geführt habe, wenn doch ein rasches und entschiedenes Eingreifen dem Terrorstaat schon längst ein Ende bereitet hätte. Noch bremsen die (aufgrund ihrer relativen Besonnenheit sogenannten) „Erwachsenen“ in Trumps Kabinett, allen voran Verteidigungsminister Jim Mattis und Stabschef John Kelly, den Draufgänger Bolton aus. Im Unterschied zu ihm haben beide Kampferfahrung am Boden, Kellys Sohn wurde in Afghanistan getötet. Bolton hingegen hat offen zugegeben, den Kriegsdienst in Vietnam umgangen zu haben, da er „keine Lust hatte, in einem südostasiatischen Reisfeld zu sterben.“
Der Rücksicht zu viel sieht Bolton auch gegenüber dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un. Erst Ende Februar warb er im Wall Street Journal offen für einen militärischen Erstschlag gegen Pjöngjang, was laut ihm, der gerne auf seinen Jura-Abschluss verweist, auch rechtlich aufgrund der Bedrohungslage legal sei. Während die Trump-Unterstützer nicht ganz zu Unrecht anführen, dass Jahrzehnte strategischer Geduld unter seinen Vorgängern im Amt das Problem auf der koreanischen Halbinsel keiner Lösung nähergebracht haben, hatte Trump selbst erst kürzlich mit der Ankündigung überrascht, Kim zum persönlichen Gespräch treffen zu wollen. Es steht zu befürchten, dass Bolton alles daran setzt, dem Präsidenten, ohnehin nicht für Diplomatie bekannt, selbst diesen schwerfälligen diplomatischen Gehversuch wieder auszureden.
Natürlich ist die Frage berechtigt, ob sich Bolton lange im Amt halten kann. Aufgrund der Erfahrungen der letzten knapp anderthalb Jahre erscheint es durchaus denkbar, dass auch er, Sicherheitsberater Nummer 3 seit Januar 2017, kurzerhand aus dem Weißen Haus geworfen wird. Doch der Trend der letzten Monate spricht eine klare Sprache: Die Hardliner, die Aufstachler, diejenigen, die Öl ins Feuer gießen, nehmen zu – und gesellen sich zu den Alarmisten, die schon vor Ort sind, wie etwa Trumps Handelsberater Peter Navarro, ein radikaler Merkantilist, der China schon mal als den „effizientesten Meuchelmörder des Planeten“ bezeichnet. Die Reihen der Gemäßigten lichten sich hingegen. Zwischen all diesen Figuren, die den Präsidenten umkreisen, kommt dem Nationalen Sicherheitsberater eine zentrale Rolle zu. Als „ehrlicher Makler“, so Richard Haass, Chef der Denkfabrik Council on Foreign Relations, müsse er derjenige sein, der dem Staatsoberhaupt die gesamte Palette der Handlungsmöglichkeiten aufzeige. Im Idealfall gelingt es ihm somit, einen Hitzkopf wie Trump mit der umsichtigen Einschätzung einer brisanten Lage vor potenziell katastrophalen Entscheidungen zu bewahren.
Dieser Tage erscheint das Buch des gefeuerten FBI-Direktors James Comey, es ist eine einzige Abrechnung. Für Comey ist die Präsidentschaft Trump ein „Waldbrand.“ John Bolton, der Sohn des Feuerwehrmannes, ist der Brandbeschleuniger.
[1] John Bolton, Surrender Is Not an Option: Defending America at the United Nations and Abroad. Threshold Editions, 2007.
[2] Tobias Endler, „Interview with John Bolton: Identify what the problem is“, After 9/11: Leading Political Thinkers about the World, the U.S. and Themselves: 17 Conversations. S. 37-46. Budrich Publishers, 2011. Alle Zitate von Bolton stammen aus diesem Gespräch, außer wo anderweitig vermerkt.
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