#Echo

Der berechenbare Pop

von , 5.2.10

Das Prinzip Pop ist das Prinzip Überraschung. Wo die Volksmusik eine Heimat geben will, indem sie das Bekannte in Form von Stilelementen und tradiertem Repertoire penetriert, geht Pop in die Gegenrichtung. Entweder schrill, überdreht oder innovativ versucht Pop, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Ob die Beatles mit „Strawberry Fields“ abhoben oder die Hurts heute mit „Wonderful Live“ im New Wave landen, gefallen tut meist das, was der Erwartungshaltung nicht entspricht oder sie übertrifft.

Wie enttäuschend aber, wenn ausgerechnet die Popbranche sich nicht traut, dem Prinzip der eigenen Kultur zu entsprechen und stattdessen sich und den Pop auf ihren beiden deutschen Schlüsselveranstaltungen als langweiliges, weil berechenbares Phänomen präsentiert. Auf der Popkomm kam Pop in Form von großen Messeständen der führenden Firmen der Branche daher. Bei der Echo-Verleihung in der o2-World prämierte die Popindustrie diejenigen Interpreten, die am längsten und häufigsten in den Musikmarkt-Charts vertreten waren. Wieso stellt man auf Messen wohl bekannte Strukturen dar, wieso feiert man das, was ohnehin erfolgreich und durch Jahrescharts längst nachgewiesen und hervorgehoben ist? Wir haben die erfolgreichsten Songs des letzten Jahres längst gehört, manchmal mehr als uns lieb ist. Die Messen sind gelesen, sollen wir uns jetzt an Umsatzzahlen berauschen?

Weder die Popkomm noch die Echo-Verleihung ziehen noch. Die Popkomm fiel 2009 mangels Nachfrage aus und ihre Wiederauferstehung in diesem Jahr im Rahmen einer Berlin Music Week wird gerade heftig diskutiert. Echo musste für die diesjährige Veranstaltung in eine alte Messehalle im Westend zurückziehen, da man sich die schicke Arena in Friedrichshain nicht mehr leisten konnte. Mittlerweile verzichten auch internationale Stars wie Depeche Mode, U2 und Kate Perry auf den Besuch. Als Highlights verkündete man in einer Pressekonferenz die aus der Versenkung geholte Soulsängerin Sade und den Hamburger Jan Delay.

Eine Musikmesse als reine Plattform der Labels oder ein Musikpreis als Belohnung für Chartperformance wären in England – dem von den Deutschen so gern bewunderten Mutterland des Pop – undenkbar. Mit In the City gibt es dort eine jährliche Veranstaltung, deren Kern die vielen Konzerte neuer und kleiner Bands in der Stadt Manchester sind. Die Branche zieht zusammen mit einem neugierigen Publikum aus Musikinteressierten von Club zu Club, um sich neue Musiker anzuhören. Der Künstler steht da, wo er hingehört: im Mittelpunkt. So auch bei den Brit Awards und dem Mercury Prize: eine Jury – bei den Brit Awards sind es über tausend Musiker, Produzenten und Journalisten – stimmt über die wichtigsten Musiker und Platten des Jahres ab, und zwar völlig subjektiv und unabhängig vom wirtschaftlichen Erfolg. Die Preisverleihung ist deshalb relevant und hoch spannend.

In Deutschland dagegen sucht man nach Strukturen und Zahlen. Es sind Strukturen, mit denen sich das Geschäft der Labels auf den Messen darstellen lässt. Es sind Zahlen, die belegen, weshalb der eine den Preis bekommt und der andere nicht. Sich seinen Gefühlen, einer Meinung, einer Haltung hinzugeben, dadurch auch einmal parteiisch und ungerecht zu sein, davor hat man wohl Angst. Die Entschuldigung liegt auf der Hand: man hat schlechte Erfahrungen wenn es um Subjektivität und Begeisterung geht. In deutschen Ohren hallt das Hurra nach, mit dem man in die Weltkriege zog; auch der Elan, mit dem manch ideologisierter Deutscher einen Arbeiter- und Bauernstaat aufzubauen half, der ein Überwachungsstaat wurde.

Doch das Argument zieht hier nicht. Andere Bereiche der Kreativwirtschaft haben das längst erkannt und definieren sich über eine Haltung: Der Frankfurter Friedenspreis würde niemals an den Bestseller des Jahres vergeben werden, der Egon-Erwin-Kisch-Preis geht nicht an die Journalisten der Ausgabe mit der höchsten Verkaufsauflage und auch der Deutsche Filmpreis wird nicht von den Kinokassen, sondern von einer Akademie bestimmt.

Zahlen machen nämlich dann Sinn, wenn man es nicht mit Emotionen zu tun hat. Liebe kann man nicht messen, Hass genauso wenig. Musik ist aber nichts anderes als klingende Emotion. Der Versuch, Kunst und Popkultur ausschließlich anhand kaufmännischer Kriterien zu bewerten und die Verwertung allein danach auszurichten, muss schief gehen. Wer einen sinnvollen und spannenden Musikpreis möchte, wer eine funktionierende Messe erleben will, der muss auch den Mut aufbringen, eine Position zu haben, selbst wenn sie unbequem ist. Echo und die Popkomm in ihrem bisherigen Konzept zeigen, wie weit sich die Musikwirtschaft von ihrem eigentlichen Mittelpunkt entfernt hat: von der Musik und den Künstlern.

Diesen Artikel erschien auch bei motor.de

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