von Mercedes Bunz, 22.4.09
Plötzlich geht es nicht mehr. Das Mobiltelefon, für viele zur wichtigsten Verbindung zu Familie, Freunden und zum Berufsleben geworden, bleibt stumm. Stundenlang klingelt es nicht. Keine SMS kommt an. Die Verbindung mit der Außenwelt ist gekappt. Doch statt Erleichterung macht sich nervöse Unruhe breit. Ja, der Terror der ständigen Erreichbarkeit ist zwar zur Normalität geworden. Doch der Ausfall des Mobiltelefons wird dennoch als störend empfunden. Millionen von T-Mobile-Kunden schalteten am Dienstagnachmittag ihr Gerät aus und wieder an, fragten beunruhigt ihren Nachbarn, ob er Netz hat, und überlegten scharf, ob sie ihre Telefonrechnung beglichen haben. Beinahe erleichtert wird schließlich registriert, dass der Fehler nicht bei einem selbst, sondern bei der Telekom zu suchen ist.
Wir haben uns an ein reibungsloses Funktionieren der Technik gewöhnt. Die Technik ist zu einem Teil unseres Alltags geworden. Was für eine große Rolle sie jedoch spielt, merken wir oft erst, wenn sie ihren Geist einmal aufgibt. Erst dann wird klar: Die Technologie greift heute mit einer Kraft in das Leben von Menschen ein, wie wir es bislang nur von Mutter Natur kannten, genauer gesagt: von jenen Momenten, in denen sie sich herzlich wenig wie eine Mutter benimmt, sondern eher wie eine erbarmungslose Furie. Technik wird in unserem Alltag immer wichtiger, sie bestimmt das Schicksal des 21. Jahrhunderts. Und mit der zunehmenden technischen Vernetzung trifft ihr Ausfall immer deutlicher Millionen von Menschen.
Anfang Januar 2009 hatte ein Komplettausfall des Netzwerkes den deutschen Bahnbetrieb heim gesucht, Ticketsysteme und Anzeigentafeln waren gestört, die elektronische Information für Lokführer versagte, Züge verspäteten sich bis zu zwei Stunden oder fielen ganz aus. Eine technische Störung legte den Zugverkehr in ganz Deutschland lahm, die Bahn versank für einen Tag im Chaos. Nichts ging mehr.
Auch bei der Fernsehübertragung der Fußball-EM versagte die Technik: Im Sommer 2008 verfolgten über 32 Millionen aufgeregter Fans die Fernsehübertragung des wichtigen EM-Halbfinales Deutschland gegen die Türkei, als mit einem Male anstelle des Spieles ein grinsender Bela Réthy geschmückt von einem Kopfhörer auf der Bildfläche erschien, der aussah, als wäre er in den frühen Siebziger Jahren zusammengeschraubt worden. “Bildausfall. Wir bitten, die Störung zu entschuldigen”, erklärte man den entsetzten Zuschauern. Ein Stromausfall im Internationalen Fernsehzentrum in Wien hatte die Übertragung gekappt. Das Notstromaggregat versagte.
Noch größere Auswirkungen hatte es, als Eon 2006 eine Hochspannungsleitung kappte, damit ein in Papenburg gebautes Kreuzfahrtschiff sein Dock verlassen konnte. Mangelhafte Vorbereitung verursachte einen länderübergreifenden Stromausfall. Teile von Deutschland, Frankreich, Belgien, Italien, Österreich und Spanien waren bis zu 2 Stunden ohne Strom, sogar bis nach Marokko waren die Auswirkungen zu spüren. 10 Millionen Haushalte und weitaus mehr Menschen waren betroffen.
Jedesmal, wenn unsere Umwelt beginnt, sich wie ein Teenager zu benehmen, wenn die Technik also aufmüpfig, auffällig und aufsässig wird, würdigen wir sie eines Blickes. Wir fragen empört nach dem Schuldigen und der Vermeidbarkeit. Wir registrieren unsere Abhängigkeit nur ungern.
Darüber, wie das Seinsverständnis umschlägt, wenn etwas nicht in seinen gewohnten Bahnen funktioniert, philosophierte Martin Heidegger schon vor langer Zeit anhand eines kaputten Hammers. Heute ist aus dem Hammer ein ganzes Netzwerk geworden und aus dem einen verzweifelten Handwerker der Großteil einer Bevölkerung. Immer noch halten wir dann einen Moment lang inne und registrieren beunruhigt die Veränderung und unsere Abhängigkeit. Allerdings nur kurz. Wir Menschen funktionieren nämlich gut. Im Verdrängen sind wir Meister.
Mercedes Bunz hat diesen Text auch im Tagesspiegel veröffentlicht.