#AG Dok

Das wahre dritte Programm

von , 1.5.12

Unter dem Titel „Von der Rundfunkgebühr zur Haushaltsabgabe: Die historische Chance für Demokratie, Pluralismus und kulturelle Vielfalt!“ hat die AG Dokumentarfilm einen interessanten Vorschlag in die Netzdebatte eingebracht: Unabhängiges öffentlich-rechtliches Internetfernsehen. Carta dokumentiert das Papier der AG Dok in voller Länge:

“Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland zählt zu den besten Rundfunksystemen der Welt. Über Jahrzehnte hinweg hat er zur Entwicklung und Stabilisierung demokratischer Gesellschaftsstrukturen beigetragen, den öffentlichen Diskurs befördert und einen wesentlichen Beitrag zur demokratischen Willensbildung geleistet. Klare rechtliche und finanzielle Bestandsgarantien haben in den letzten Jahren immer wieder sichergestellt, dass er diesen zentralen Aufgaben gerecht werden kann.

Deshalb kann und will dieser Text das bestehende öffentlich-rechtliche Rundfunksystem in keiner Weise in Frage stellen.

Vielmehr kommt es darauf an, die Grundidee öffentlich finanzierter und dadurch frei zugänglicher Informationsquellen als Grundlage der demokratischen Willensbildung ins Internet- Zeitalter hinein weiterzudenken und weiter zu entwickeln. Wir wollen damit die Akzeptanz öffentlich finanzierter Medienangebote insbesondere unter jungen Menschen erhöhen. Nur, wenn es gelingt, die bereits heute von Erosionsprozessen bedrohte Gebühren-Akzeptanz auf Dauer zu festigen und sie dort, wo sie in Frage gestellt wird, wieder herzustellen, wird es auch gelingen, das Modell eines öffentlich finanzierten Rundfunks auf Dauer zu sichern.

Die schlüssigste und zugleich überzeugendste Begründung dieser Notwendigkeit lieferte der Verfassungsrechtler Prof. Dr. Paul Kirchhof, als er seinen Vorschlag einer allgemeinen „Haushaltsabgabe“ damit begründete, dass ein demokratisches Gemeinwesen nur funktionieren kann, wenn alle Bürger diskriminierungsfrei „an der öffentlichen Debatte einer modernen Demokratie, an der Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft, an allgemeiner Kultur und Unterhaltung, an allgemein zugänglichen Quellen der Information“ teilhaben können. Dahinter steht der richtige Gedanke, dass ja auch diejenigen, die den Rundfunk nicht nutzen, von dessen demokratiefördernder Wirkung profitieren. Die allgemeine Zahlungspflicht soll also ganz allgemein dazu dienen, demokratieerhaltende bzw. -fördernde Angebote zu finanzieren. Und zwar, wie Prof. Kirchhof weiter ausführte, „in Unabhängigkeit von Einschaltquoten und ohne Ausrichtung des Programms auf Massenattraktivität“.

Medienlandschaft im Wandel

Ein solcher Paradigmenwechsel ist mehr als eine Anpassung an die finanziellen Bedürfnisse des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – er eröffnet die Chance, das System kollektiver Rundfunkfinanzierung zukunftsfähig zu auszugestalten.

Denn alle Statistiken belegen es: das Internet steht mit immer rasanteren Zuwachsraten im Begriff, Radio und Fernsehen als Leitmedien unserer Gesellschaft abzulösen. Die Programme von ARD und ZDF ins Internet hinein auszuweiten und sie durch neue jugendaffine Angebote zu ergänzen, war deshalb ein wichtiger Schritt. Doch wer die Dynamik des Internet kennt, weiß auch: die öffentlich-rechtlichen Senderketten stehen dort längst nicht mehr allein. Im Netz sind die gebührenfinanzierten Telemedien nur noch ein Angebot unter vielen – und keineswegs das Wichtigste. Sie haben dort nicht einmal mehr den Vorteil einer privilegierten, in vielen Jahren gefestigten Marktposition.

Damit gerät allerdings auch der traditionelle Begründungszusammenhang des gebührenfinanzierten Rundfunks ins Wanken. In Zeiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunkmonopols und auch noch in der Phase des dualen Systems bedurfte die Notwendigkeit öffentlich-rechtlich strukturierter nicht-kommerzieller Radio- und Fernsehangebote im Interesse der Meinungsvielfalt und zur Verhinderung monopolitischer Strukturen keiner weiteren Erklärung.

Doch ihre Funktion eines “Bollwerks” gegen Monopolstrukturen haben ARD und ZDF im Internet verloren. Das politische Ziel, Konzentrationsprozessen und einer privatwirtschaftlich gesteuerten Verengung von Zugangsmöglichkeiten im Internet entgegenzuwirken, lässt sich nicht mehr durch die Unterstützung eines einzelnen Anbieters oder einer bestimmten Anbieter-Gruppe- in diesem Fall des öffentlich-rechtlichen Rundfunks- erreichen.

Wenn Rundfunk Internet ist, dann ist Internet Rundfunk

Glücklicherweise haben die öffentlich-rechtlichen Sender selbst zur Klärung dieser Frage beigetragen, indem sie in den letzten Jahren konsequent auf die Anerkennung ihrer Internet- Angebote als “Rundfunk” hingearbeitet haben. Sowohl der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag als auch das Bundesverfassungsgericht haben diese Rechtsauffassung bestätigt.

Wenn allerdings die Verbreitung öffentlich-rechtlicher Radio- und Fernsehbeiträge im Internet als “Rundfunk” anzusehen ist, dann muss diese Bezeichnung logischer Weise auch für andere, vergleichbare Internet-Angebote gelten. Auch das haben ARD und ZDF mit Blick auf die Internet-Aktivitäten deutscher Zeitungs- und Zeitschriftenverlage gutachterlich klären lassen und bestätigt bekommen.

Aus diesen Feststellungen, die durch die beiden öffentlich-rechtlichen Senderketten selbst untermauert wurden, ergeben sich nun einige sehr interessante Schlussfolgerungen:

  1. Wenn die Argumentation der öffentlich-rechtlichen Sender zutrifft -und daran haben wir keinen Zweifel- dann sind natürlich auch andere staatsfern organisierte, nicht-kommerzielle und werbefreie Internet-Angebote, soweit sie von pluralistisch besetzten Gremien beauftragt und einer Qualitätskontrolle unterworfen sind, zwangsläufig Varianten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dazu würden zum Beispiel die meisten Produkte öffentlicher Filmförderung zählen, wenn sie frei zugänglich und kostenlos im Internet abrufbar wären. Denn auch sie entstehen durch die Mitwirkung pluralistisch beaufsichtigter staatsferner Einrichtungen des öffentlichen Rechts. Dort werden sie von unabhängigen Vergabe-Gremien nach kulturellen Qualitätsgesichtspunkten ausgewählt.
  2. Wenn solche Produktionen im Internet verbreitet werden, erfüllen sie mithin alle Anforderungen, die auch für die bestehenden Sender gelten. Sie wären damit eine neue, bislang unbekannte Form des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Daraus folgt zugleich, dass ARD und ZDF nicht mehr die einzigen öffentlich-rechtlichen Anbieter im Internet wären.

Diese Feststellung gewinnt in gleichem Maße an Bedeutung, wie ARD und ZDF sich in Andienung an den vermeintlichen Massengeschmack aus ihrer Verantwortung für eine ganze Reihe gesellschaftlich wichtiger Themen, künstlerischer Formen und Inhalte zurückziehen. Dass insbesondere das öffentlich-rechtliche Fernsehen, aber auch der Hörfunk in seiner heutigen Form keineswegs „in Unabhängigkeit von Einschaltquoten und ohne Ausrichtung des Programms auf Massenattraktivität“ handelt, ist vielfach nachgewiesen und kritisiert worden. Insbesondere die unabhängige Filmproduktion und hier vor allen anderen der zur Ausformung einer pluralistischen Weltsicht und zur politischen Willensbildung besonders wichtige Dokumentarfilm werden im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zunehmend an den Rand gedrängt.

Eine neue Form des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Der Begriff des öffentlich-rechtlichen Rundfunks muss also neu gedacht, neu definiert und auf weitere Anbieter ausgeweitet werden. Ist das verfassungsrechtlich zulässig? Wir sagen: ja. Alle seitherigen Rundfunkurteile bestätigen den hohen verfassungsrechtlichen Rang der Rundfunkfreiheit in Deutschland und stützen damit den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Idee und als System. Aber sie schreiben an keiner uns bekannten Stelle fest, dass diese Idee ausschließlich in den bestehenden Strukturen von ARD und ZDF umgesetzt werden darf.

Es geht bei unserem Vorschlag also nicht um den Aufbau einer neuen „Förderung“, sondern um die Herstellung voll finanzierter Auftragsproduktionen für ein neues, fernseh-unabhängiges öffentlich-rechtliches Internet-Angebot.

Als zeitgemäße Erweiterung des gesellschaftlich definierten öffentlich-rechtlichen Programmauftrags unterliegt das Modell deshalb auch nicht dem Zertifizierungszwang, dem Förderprogramme nach EU-Recht unterworfen sind.

Zehn Prozent der Abgabe für die Produktion fernsehunabhängiger Inhalte

Wir schlagen vor, neben der fortlaufenden Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks künftig zehn Prozent der Haushaltsabgabe zur Finanzierung frei produzierter Internet-Inhalte einzusetzen. Diese zehn Prozent entsprechen in etwa den Mehreinnahmen, die nach Ansicht unabhängiger Medienbeobachter bei der Umstellung auf die Haushaltsabgabe zusätzlich in die Kassen der GEZ fließen.

Alle künstlerischen, journalistischen oder anderweitigen Produktionen, die aus dieser Abgabe finanziert werden, müssen der Allgemeinheit auf Dauer, zumindest aber für einen klar definierten Zeitraum, kostenlos im Internet zugänglich gemacht werden.

Dafür braucht es weder personalintensive Sendeanstalten noch eine aufwändige technische Infrastruktur. Die entstehenden Produktionen werden nach ihrer Fertigstellung und Abnahme von den unabhängigen Programmproduzenten selbst ins Netz gestellt und damit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Weil sich der Verwaltungskostenabzug dadurch allein auf das Vergabeverfahren beschränkt, kann das Geld nahezu ungeschmälert in die Produktion neuer Inhalte fließen. Da es zudem in frische Ideen für ein neues Medium investiert wird, wird das Modell einen gewaltigen Kreativitätsschub in Deutschland auslösen. Es wird gewährleisten, dass Urheber und Produzentenleistungen im Fernsehbereich endlich wieder marktgerecht bezahlt werden und durch die Konkurrenz zweier öffentlich-rechtlicher Systeme (nämlich des traditionellen und des neuen, Internet-basierten) wird erstmals ein wirklicher Markt für anspruchsvolle Informations- Kultur- und Bildungsprogramme entstehen.

Wie soll das Geld verteilt werden?

Die Mittel können über bereits existierende, demokratisch und staatsfern verfasste Organisationen (wie zum Beispiel Landesmedienanstalten oder bestehende Filmförder- Einrichtungen) verteilt werden, ohne dass die verfassungsrechtlichen Prinzipien der Rundfunkfreiheit beeinträchtigt werden. Um so mehr, als diese Institutionen bereits über entsprechende Praxis und einen reichen Erfahrungshintergrund verfügen: schon seit Jahrzehnten setzen die Landesmedienanstalten Rundfunkgebühren für Zwecke ein, die nicht unmittelbar den Interessen beiden großen öffentlich-rechtlichen Senderketten zugeordnet sind – die Spannweite dieser Maßnahmen reicht von technischen Versuchsprojekten (z.B. DAB) über medienpädagogische Angebote bis zur Unterstützung regionaler Filmförderung. Auch offene Kanäle und lokale Rundfunkanbieter werden zur Stärkung regionaler Medienvielfalt finanziert, ohne dass daraus bislang verfassungsrechtlichen Bedenken erwachsen wären.

Die Verteilung der verfügbaren Mittel sollte durch Vergabegremien erfolgen, zusätzlich lässt sich ein erfolgsabhängiges Referenzmodell schaffen, das besonders attraktive Internet-Inhalte belohnt.

Wer bekommt das Geld?

Unabhängige Produzenten, die gesellschaftsrechtlich nicht mit öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstaltern oder mit privaten Medienkonzernen verflochten sind, können sich mit Konzept, Kalkulation und Fähigkeitsnachweisen um die Finanzierung ihrer Projekte bewerben.

Die Auftragsvergabe erfolgt ausschließlich an Antragsteller, deren Ideen zu Information, Bildung, Pluralität der Meinungen und zu kultureller Vielfalt deutschsprachiger Internet-Seiten beitragen. Der Funktionsauftrag ist also der gleiche wie der des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – allerdings kann er hier wesentlich präziser und schärfer gefasst werden.

Perspektiven

Was wir hier exemplarisch für den Bereich des fernsehunabhängig produzierter Filme entwickelt haben, ist selbstverständlich auch auf Web 2.0-Seiten, enzyklopädische Datenbanken (wie Wikipedia), Archivprojekte und Material-Sammlungen, Online-Diskussions-Runden, Interview- Projekte, Bücher, Musik, Performances, pädagogisch anspruchsvolle Spiele, virtuelle Ausstellungen, oder ambitionierte journalistische Projekte und engagierte Blogs übertragbar.

Schon heute trägt ja eine beträchtliche Zahl derartiger Internet-Angebote zur Weiterentwicklung unseres Begriffes von Öffentlichkeit sowie zur Meinungs- und Willensbildung bei.

Fazit

Es handelt sich also um ein sich selbst regulierendes System – durch die Gesellschaft und die Bürger finanziert, kontrolliert und am Leben gehalten. Damit gewährleistet es nicht nur die Weiterentwicklung der Idee eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks in die digitale Zukunft hinein, es eröffnet zugleich der freien Meinungsäußerung, der politischen Willensbildung und der kulturellen Vielfalt neue, ungeahnte Perspektiven. Das Modell ist realistisch, tragfähig und zukunftsträchtig – und löst ganz nebenbei noch einen großen Teil aktueller medienpolitischer Probleme.

Lassen Sie uns diese einmalige Gestaltungsmöglichkeit zur Förderung und Weiterentwicklung der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung und damit unserer Demokratie im digitalen Zeitalter gemeinsam nutzen!”

Lesen Sie dazu auch: Es ist Zeit für ein Netzmedien-Fördergesetz

 

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