von Peter Glaser, 4.5.09
Bis zur Jahrtausendwende galt als ausgemacht, dass die Welt auf dem Weg in das Informationszeitalter ist. Mehr Transparenz würde die Entwicklung der Demokratie fördern, digitaler Zugriff auf Informationen Wirtschaft und Bildung prosperieren lassen. Viele sahen das Internet als Selbstgänger des Fortschritts. Aber spätestens nach dem 11. September 2001 wurde manchem Hightech-Euphorisierten klar, dass Information eine dunkle Seite hat: das Geheimnis. Die Generalidee eines gemeinsamen Wissensreichtums schloss sich wie eine Muschel. Politik und Militär trafen ihre Entscheidungen wieder hinter dem Schirm “klassifizierter” Information, Top Secret.
Inzwischen ist die Frage, was – und ob überhaupt etwas – geheim bleiben soll, wieder hart umkämpft. Obwohl beispielsweise alle EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet sind, im Internet offenzulegen, wer von Agrarsubventionen aus Brüssel profitiert hat, will die Bundesregierung dabei nicht mitmachen – wegen möglicher Verletzung des “Grundrechts auf Datenschutz”, so Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner. Während die einen mauern, zeigen Netzaktivisten wie die Betreiber der Website Wikileaks eine gläserne Welt nach ihren Vorstellungen. Die selbsternannten Geheimnisverräter veröffentlichen anonym, was ihnen Insider aus Behörden und Firmen zuspielen – darunter auch Fälschungen, etwa einen angeblichen Aids-Test von Steve Jobs.
Geheimnisse können immense Produktivkraft entfalten und sie bilden die Grundpfeiler bestimmter Gesellschaftsformen. Wie man sie durch kommunikative Fehlsteuerung gegen die Wand fahren kann, hat kaum jemand eindrucksvoller unter Beweis gestellt wie das englische Königshaus. 1936 musste Edward VIII abdanken, als er die geschiedene Amerikanerin Wallis Simpson heiraten wollte. Zum ersten Mal wurde damals das Privatleben eines Monarchen in Zeitungen ausgebreitet.
1969, in der Nacht vor der Investitur von Prinz Charles zum Prince of Wales, sahen 27 Millionen Engländer die BBC-Dokumentation “Royal Family“. Gezeigt wurde erstmals eine Version der Windsors als normale Mittelklassefamilie, die sich bloß darin von anderen unterscheidet, dass sie in einem Palast wohnt.
Die Queen fütterte ein Pferd mit einer Karotte, und ihre Untertanen hörten sie das erste Mal nichtformell sprechen. “Sie wissen, dass sie mit dem Film die Monarchie killen“, ahnte der BBC-Wissenschaftsjournalist David Attenborough. “Die ganze Institution beruht auf Mystizismus und dem Stammeshäuptling in seiner Hütte. Wenn ein Mitglied des Stammes jemals das Innere der Hütte sieht, kann es sein, dass der Stamm zerfällt.“
Dass Transparenz ein regulierender Wirtschaftsfaktor sein kann, beweist übrigens nicht nur die deutsche Debatte um die Offenlegung von Managergehältern.
Die englische Königin berief sich darauf, dass der Monarch traditionell von der Einkommenssteuer ausgenommen sei. Diese Tradition war aber bei weitem nicht so alt, wie die Queen die Leute glauben machen wollte. Georg III. bezahlte Einkommenssteuer, ebenso Queen Victoria und alle nachfolgenden Könige. Erst Georg VI, der Vater von Königin Elizabeth, entschied, dass es Zeit sei, eine neue Tradition zu beginnen. Die Steuerbefreiung bescherte der Königin jährlich mehr als sieben Millionen Pfund. 1992 gab sie dem öffentlichen Druck nach und ist seither steuerpflichtig.
Peter Glaser bloggt auf Glaserei, wo auch dieser Beitrag erschienen ist.