#Leistungsschutzrecht

Das Leistungsschutzrecht ist ein Segen für das Netz!

von , 21.6.10

Das Leistungsschutzrecht kommt – auch wenn die jetzige Koalition auseinander brechen sollte. Die SPD würde es nicht verhindern. Und die grüne Partei auch nicht.

Das neue Schutzrecht soll den Pressekonzernen (vor allem den marktbeherrschenden Milliardären der Branche) bis zu einer Milliarde Euro zusätzlich in die Kassen spülen. Bezahlt werden soll diese Milliarde von den großen und kleinen Betrieben, von Gewerbetreibenden und Freiberuflern, von Computer- und Smartphone-Käufern, von News-Aggregatoren – und natürlich von all jenen Webseitenbetreibern, die künftig wegen Verletzung von Leistungsschutzrechten teuer abgemahnt werden können. Sie alle kopieren verlegerische „Leistungen“, wenn sie Überschriften, Vorspänne, Bilder, Bildausschnitte, Graphiken, Bildunterzeilen, Sätze, Satzteile (Wörter? Buchstaben? Buchstabenteile?) zufällig oder absichtlich im Netz zur Kenntnis nehmen.

Die kommunikative Kälte, die ein solches Schutzrecht hervorbringt, wird das Image der großen Verlage natürlich beeinträchtigen und die Verkaufszahlen für Zeitungen und Zeitschriften (off- wie online) weiter reduzieren. Schon bald nach den ersten Abmahnwellen (und den flächendeckend zugestellten Abgabenbescheiden) könnten sich die Pressekonzerne einer Boykottbewegung gegenüber sehen, die kräftig an der Rendite nagt.

Das Leistungsschutzrecht könnte also den Medienwandel (unfreiwillig) beschleunigen und einen positiven Effekt auf das Netz ausüben.

Das klingt paradox, liegt aber in der (dialektischen) Natur des Fortschritts. Je stärker gebremst wird, desto heftiger fällt anschließend die Beschleunigung aus. In der Rede von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger findet sich diese Fortschritts-Dialektik in dem lakonischen Satz: „Der Wettbewerbsdruck, den das Internet auf die etablierte Medienwirtschaft ausübt, ist ökonomisch und gesellschaftspolitisch sinnvoll.“

Gegen den Strich gebürstet heißt das: Das neue Schutzrecht wird Webseitenbetreiber, Blogger, Aggregatoren und Netzjournalisten dazu zwingen, eigenständige Medien schneller und professioneller aufzubauen als bisher. Es wird Blogger und Netzjournalisten nötigen, künftig selbst zu recherchieren, um Informationen aus erster Hand bieten zu können, anstatt – wie bisher – bequem der Informationsleistung der herkömmlichen Medien zu vertrauen, diese als Quellen zu verlinken und sie pawlowartig zu interpretieren.

Das Leistungsschutzrecht könnte also dazu führen, dass sich endlich echte Medien-Alternativen entwickeln müssen; Angebote, die gerade nicht auf die „geschützten Leistungen“ von Altmedien angewiesen sind; Angebote, die auch über realistische Refinanzierungsmodelle verfügen (und die heute übliche Almosen-Wirtschaft überwinden). Denn über eins müssen sich die Kritiker des Leistungsschutzrechtes im Klaren sein: Unabhängige Beschaffung und Bewertung von Nachrichten kostet Geld.

So könnte ein rigides Verleger-Schutzrecht durch die „gefühlte“ geistige Aussperrung der Netz-Nutzer einen Kreativitätsschub provozieren. Könnte! Denn ob das Netz (schon) stark genug ist, ob die medienkritischen Nutzer-und-Urheber-Generationen fähig und ausdauernd genug sind, eigene, tragfähige, verlässliche Informationsstrukturen abseits der großen Pressekonzerne zu schaffen, muss sich erst noch zeigen (ich bin da – vorläufig – skeptisch).

Auf jeden Fall zwingt das Leistungsschutzrecht alle Betroffenen dazu, Farbe zu bekennen. Denn die Presseverlage demonstrieren durch ihren beinharten Kampf gegen das angeblich „rechtsfreie Netz“, dass sie nicht gewillt sind, Brücken in die neue Zeit zu bauen. Sie geben zu verstehen, dass sie ihre Auffassungen gegen jede Kritik abschotten werden. Sie suchen die Konfrontation, wo Dialog vonnöten wäre.

Die traditionellen Urheber stehen diesem Konflikt ratlos und etwas unbeholfen gegenüber. Sie wissen nicht, wie ihnen geschieht. Aufgrund des vagen Versprechens, an den Einnahmen des Leistungsschutzrechtes teilhaben zu dürfen, verhalten sich ihre Verbandsvertreter (zum größten Teil) abwartend und defensiv. Sie applaudieren dankbar der Ministerin, die in ihrer Sonntagsrede die Urheber ins Zentrum ihrer Betrachtungen rückt. Sie hoffen auf ein paar Brosamen vom Tisch der Verlage und ignorieren, dass die meisten Urheber durch die anstehende „Reform“ unterm Strich Geld verlieren werden. Denn das Leistungsschutzrecht ist ein Pyrrhus-Sieg der Presseverlage. Sie werden durch das neue Gesetz viel mehr verlieren als sie jemals durch Schutzgebühren wieder hereinholen können.

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