#Bundestag

Das Holzschwert des Parlamentarismus

von , 24.1.18

Es ist bei politischen Skandalen, die ein gewisses Ausmaß annehmen, oftmals nur eine Frage der Zeit, bis Forderungen nach der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses laut werden. Solch einem Ausschuss wird nachgesagt, beim ihm handle es sich um das „gefürchtetste und spektakulärste“ (AGH Berlin 1986: 212) Instrument parlamentarischer Kontrolle. Von deren „schärfstem Schwert“ ist nicht nur in der medialen Berichterstattung immer wieder zu lesen, sondern auch in den Selbstdarstellungen der Parlamente selbst. Van Reybrock verweist in seiner Darstellung zur Entwicklung der „politischen Landschaft“ darauf, dass gegenwärtige Technologien wie die sogenannten sozialen Medien zwar einerseits die Mündigkeit ihrer Nutzer/innen verstärken, andererseits zu dem Effekt führten, dass „die Kampagne […] permanent geworden“ (Van Reybrock 2016: 51) sei. Dadurch, dass herkömmliche und soziale Medien „ständig die Nachrichten des anderen aufschnappen und zurückwerfen, entsteht eine Atmosphäre der permanenten Hetze.“ (Ebd.: 59) Dass Politiker/innen in solch einer Atmosphäre zur Vermittlung ihrer Standpunkte auf Methoden aus Showbusiness und Marketing zurückgreifen, erscheint naheliegend (Vgl. Crouch 2008: 32). Überträgt man solcherlei Hinweise auf das Feld des Untersuchungsausschusses, lässt sich feststellen, dass auch hier – neben der Ausrichtung der einzelnen Parlamentsfraktionen – zumindest in seiner Anfangsphase die Bezugnahme auf die mediale Skandalisierung sowie die Konkurrenz einzelner Abgeordneter um Aufmerksamkeit prägende Aspekte sind.

Statt ihre Kontrollfunktion so auszugestalten, dass sie auch diese Art parlamentarischer Arbeit mit einbezieht, kommt es allzu oft vor, dass Journalist/innen der von den Parlamentarier/innen veranstalteten Inszenierung unreflektiert folgen und einen Untersuchungsausschuss als eine Art großes Weltgericht darstellen, in dessen Verlauf endlich alle Fakten auf den Tisch kommen und sämtliche Missstände, politisches, staatliches und bürokratisches Versagen schonungslos aufgeklärt werden.

Dass eine Bestimmung der Position, die Untersuchungsausschüsse innerhalb des parlamentarischen Systems einnehmen, schwerfällt, stellte schon Loewenberg fest: „Sie wurden von den Befürwortern eines stärkeren Parlaments im Kaiserreich konzipiert, fügen sich aber nicht glatt in ein System ein, dessen Regierung sich aus den Führern der parlamentarischen Mehrheit rekrutiert.“ (Loewenberg 1969: 491) Geändert hat sich hier im Grundsatz bis heute nichts. Vor allem nicht an dem Umstand, dass die Arbeit – nicht die Einsetzung – von Untersuchungsausschüssen von der jeweiligen parlamentarischen Mehrheit dominiert wird. In der Praxis bedeutet dies beispielsweise, dass die Mehrheitsfraktionen die Tagesordnung und damit Zeitpunkt und Reihenfolge von Zeugeneinvernahmen bestimmen können. Dies ist mit Blick auf das Grundgesetz nicht zu kritisieren, muss aber bei der Bewertung der Arbeit von Untersuchungsausschüssen und ihrer Resultate stets mitgedacht werden. Ein Untersuchungsausschuss arbeitet demnach nicht unparteiisch wie ein Gericht. Solch eine Erwartung kann er schon rein formal nicht erfüllen.

Auf diese Selbstverständlichkeit hinzuweisen ist wohl dennoch geboten, da sich bei genauerer Betrachtung verschiedener Untersuchungsausschüsse immer wieder herausstellt, dass diesen sowohl von Parlamentarier/innen als auch von Journalist/innen mit überzogenen Erwartungen begegnet wird. Teilweise werden diese Erwartungen auch bewusst formuliert, oftmals von Oppositionspolitiker/innen oder -fraktionen, die sich selbst als aufklärerische Kraft inszenieren wollen und den Untersuchungsausschuss als ein Vehikel für ihre Öffentlichkeitsarbeit zu nutzen versuchen. Auch dies wäre nicht zu kritisieren, da es in einem von Parteien dominierten Parlament nun mal so zugeht und die Inszenierung eben dazugehört. Bedenklich ist der Transport überzogener Erwartungen jedoch, wenn er unreflektiert von diversen Medien übernommen wird. Statt ihre Kontrollfunktion so auszugestalten, dass sie auch diese Art parlamentarischer Arbeit mit einbezieht, kommt es allzu oft vor, dass Journalist/innen der von den Parlamentarier/innen veranstalteten Inszenierung unreflektiert folgen und einen Untersuchungsausschuss als eine Art großes Weltgericht darstellen, in dessen Verlauf endlich alle Fakten auf den Tisch kommen und sämtliche Missstände, politisches, staatliches und bürokratisches Versagen schonungslos aufgeklärt werden. Und wenn dies nicht passiert so tun, als bestünde zumindest die Möglichkeit, dass so etwas bei entsprechender Anstrengung der Ausschussmitglieder stattfinden könnte. Es wird dabei oft versucht, mit einem Untersuchungsausschuss ein schwerfälliges und nicht auf die Behandlung aktueller Ereignisse ausgerichtetes parlamentarisches Instrument als ein gerade solches zu verkaufen. Da das Instrument jedoch hierzu weder gedacht noch in der Lage ist, werden die von Abgeordneten und Journalist/innen geschürten Erwartungen zwangsläufig nicht erfüllt. Was mit außerordentlichem Getöse begann, endet oft als einer von vielen Tagesordnungspunkten einer drögen Plenarsitzung, bei der der Bericht des Untersuchungsausschusses schließlich besprochen wird.

Skandal und Untersuchungsausschuss

Ein an der vermeintlichen Sensation orientiertes Verständnis von Funktionsweise und Wirkmächtigkeit parlamentarischer Untersuchungsausschüsse ist wohl dem Umstand geschuldet, dass Untersuchungsausschuss und politischer Skandal oftmals als zusammenhängend wahrgenommen werden. Darauf verweist schon die etwas aus der Mode gekommene Bezeichnung „Skandal-Enquete“, mit der dieses parlamentarische Instrument auch bezeichnet werden kann. Gleichwohl liegt in der jenseits des parlamentarischen Raumes – vorwiegend in den Medien – stattfindenden Inszenierung des jeweiligen Skandals auch die Grundlage für das oftmals schiefe Verständnis der vorgeblichen Wirkungsmacht eines Untersuchungsausschusses. Die Abgeordneten sind in vielen Fällen eher als Getriebene der öffentlichen Meinung zum jeweiligen Skandal zu betrachten, als dass ein Impuls zur Aufklärung irgendwelcher Missstände primär von ihnen ausgegangen wäre. Als ein Beispiel mag hier der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages der letzten Wahlperiode zu den sogenannten Cum/Ex-Geschäften gelten. Die Berichterstattung zu Cum/Ex-Deals, einer bestimmten Art von Steuerbetrug, die den Staat Milliarden kostete, lief schon einige Jahre. Unmöglich gemacht wurden die Geschäfte durch eine Gesetzesänderung bereits 2012. Der Untersuchungsausschuss hierzu wurde erst Anfang 2016 vom Bundestag eingesetzt, als die Geschäfte schließlich auch von Parlamentarier/innen skandalisiert wurden. Doch auch wenn parlamentarische Untersuchungsausschüsse und politische Skandale zwar oft zusammengehörig gesehen werden, passen sie im Kern überhaupt nicht zusammen. So lebt ein Skandal von der immer neuen Aufdeckung echter oder vermeintlicher Missstände, er „weitet sich aus“, er bringt manchmal politische Akteure zu Fall und er flaut früher oder später wieder ab. Dabei spielt die Personalisierung eine tragende Rolle, denn schließlich braucht es Köpfe, die man rollen sehen möchte. Ein Skandal verläuft zudem oft unkontrollierbar und unvorhersehbar.

Folgt man dem von Luhman dargestellten Zyklus eines Themas (latente Phase, Durchbruch, Mode, Kulminationspunkt, Ermüdung), der von manchen Autor/innen auch auf den Verlauf eines politischen Skandals angewandt wird (Vgl. Germis 1988: 14ff), so findet der Einsatz eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses regelmäßig erst in der Ermüdungsphase statt und gehört zur Verarbeitung des jeweiligen Skandals. Wenn diesem die Luft ausgegangen ist arbeitet ein Untersuchungsausschuss zumeist immer noch, seine Arbeit ist mitunter erst Jahre nach dem Skandal beendet. So spielte sich bspw. der „Berliner Bankenskandal“ im ersten Halbjahr 2001 ab und flaute nach dem Sturz der damaligen schwarz-roten Landesregierung wieder ab. Der zweite hierzu eingerichtete Untersuchungsausschuss legte seinen Bericht 2006 vor. Die skandalisierte Verschiebung der Inbetriebnahme des Flughafens Berlin Brandenburg (BER) erfolgte im Mai 2012. Der daraufhin eingesetzte Untersuchungsausschuss arbeitete bis Juni 2016.

Je länger ein Ausschuss dauert und je tiefer er dabei in die Details geht, desto weniger wird seine Arbeit öffentlich noch wahrgenommen. Dies ist nachvollziehbar, denn auch wenn viele Sitzungen und Zeugeneinvernahmen öffentlich stattfinden, kann bei einer Länge der Sitzungen, die schonmal bis in die Nacht dauern, nicht davon ausgegangen werden, dass Journalist/innen über Zeit und Mittel verfügen, hier permanent am Ball zu bleiben. Dass Bürger/innen, denen die Sitzungen ebenfalls offenstehen, diesen von Anfang bis Ende beiwohnen, ist eher selten.

Wenn der Ausschuss mit seiner eigentlichen Arbeit beginnt, ist der Skandal schon vorbei oder hat völlig andere Wendungen genommen, die vom Untersuchungsauftrag des Ausschusses schon nicht mehr erfasst sind. Auch dies ist eine Selbstverständlichkeit, die in den parlamentarischen Formalia ihre Grundlage hat. Denn ein Untersuchungsausschuss ist im Grundsatz nicht dazu gedacht, neue Missstände aufzudecken oder gar zu skandalisieren, auch wenn dies im Laufe einer Untersuchung durchaus passieren kann. In erster Linie untersucht der Ausschuss die Vergangenheit, und zwar bis zu dem Zeitpunkt, als er vom Parlament eingesetzt wurde. Was tagesaktuell passiert, ist nicht Gegenstand von Untersuchungsausschüssen – auch wenn Abgeordnete und Journalist/innen gerne so tun, als müsste hier zur Tagespolitik beigetragen werden. Man kann es auch auf die verkürzte Formel bringen, dass in einem Skandal Missstände sichtbar werden, wohingegen ein Untersuchungsausschuss Missstände und ihre Ursachen analysieren soll.

Keine neutrale Instanz

Neben schriftlichen und mündlichen Anfragen an die Regierung, der Möglichkeit, in den regulären Ausschüssen Themen aufzusetzen und Regierungsvertreter/innen zu befragen oder der Kompetenz, über Debatte und Verabschiedung des Haushalts auf die Regierungspolitik Einfluss zu nehmen, bilden Untersuchungsausschüsse ein zwar reguläres Instrument der Regierungskontrolle, dem jedoch der Hauch des Besonderen anhaftet. Dies liegt zum einen an seinen Befugnissen wie der Möglichkeit, unter Wahrheitspflicht stehende Zeug/innen vernehmen zu können und Beweismaterialien in Augenschein zu nehmen. Auch werden seine Mitglieder vom Plenum gewählt und nicht – wie bei regulären Ausschüssen – von den Fraktionen entsandt. Das Verfahren im Untersuchungsausschuss orientiert sich an der Strafprozessordnung. Gleichzeitig genießt die parlamentarische Minderheit ab dem Erreichen eines gewissen Quorums weiter gehende Rechte als sonst. So kann nach dem Untersuchungsausschussgesetz (PUAG) ein Viertel der Mitglieder des Bundestages die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses durchsetzen und ein Viertel der Ausschussmitglieder kann die Heranziehung von Beweismitteln und Zeug/innen beantragen.

Nach seiner Beweisaufnahme oder zum Ende der Legislatur hat der Ausschuss dem Parlament einen Bericht vorzulegen. Die Minderheitsfraktionen können hierzu Sondervoten abgeben und die Untersuchungsergebnisse aus ihrer Sicht bewerten. Es versteht sich demnach von selbst, dass ein Untersuchungsausschuss keine neutrale Instanz sein kann, da sich in ihm die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse widerspiegeln. Das Ergebnis einer parlamentarischen Untersuchung ist zumindest in groben Zügen schon bei Einsetzung des Ausschusses klar, da üblicherweise eine (partei)politisch gefärbte Bewertung einzelner Vorgänge, wenn schon nicht den Verlauf der Untersuchung so doch den von der Ausschussmehrheit getragenen Abschlussbericht sowie die dazugehörigen Sondervoten oppositioneller Abgeordneter oder Fraktionen durchzieht. Für die einen trägt die Regierung die Verantwortung für die untersuchten Missstände, für die anderen sind äußere Umstände schuld. Die interessierte Öffentlichkeit hätte, so sie für die Untersuchungsergebnisse in allen Details aufgeschlossen ist und womöglich zu einer eigenen Bewertung kommen will, sowohl den jeweiligen Ausschussbericht als auch die Sondervoten zu studieren. Bei oftmals nicht sehr leserfreundlich verfassten Texten von mehreren hundert Seiten kann davon ausgegangen werden, dass sich das Interesse an detailgenau rekonstruierten Aspekten manchmal mehrere Jahre zurückliegender skandalisierter Ereignisse in überschaubaren Grenzen hält.

Was der Öffentlichkeit während der Dauer eines Untersuchungsausschusses weitgehend verborgen bleibt, ist die eigentliche Recherchearbeit. Diese wird hauptsächlich von Fraktionsmitarbeiter/innen und Abgeordneten am Schreibtisch vorgenommen, wo Tausende Seiten an Beweismaterial unterschiedlichster Provenienz ausgewertet und für die Befragung von Zeug/innen aufbereitet werden – z. B. Akten aus Behörden und Ministerien, E-Mail-Verkehre, Gerichtsakten oder Material aus dem Fundus von Unternehmen. Selten findet sich dabei ein Schriftstück, mit dem die im Untersuchungsauftrag festgehaltenen Fragestellungen konkret beantwortet werden könnten. Vielmehr müssen Antworten aus dem Material zusammenkombiniert werden. Dies ist wiederum naheliegend, da bspw. eine untersuchte Behörde ihr Versagen nicht klar dokumentarisch festhält, um es alsdann den Abgeordneten strukturiert zu präsentieren. Die zumeist öffentliche Zeugenvernehmung ist demnach nur ein Teil der Arbeit und, leider, der Teil, dem fälschlicherweise von vielen Parlamentarier/innen und Medienvertreter/innen die meiste Bedeutung beigemessen wird. Denn ein Zeuge kann, so die Gefahr besteht, dass er sich rechtlich selbst belastet, die Aussage verweigern. Oder er beruft sich auf eine „Erinnerungslücke“. Letztere muss sich nicht als schädlich für einen politisch geprägten Ausschussbericht erweisen. Liegen Beweismaterialien vor, die entsprechende Schlüsse zulassen, besteht für den vergesslichen Zeugen immerhin die Möglichkeit, sich amtlich dokumentiert zu blamieren und dies im Bericht festgehalten zu wissen. Denn ähnlich wie bei anderen Ermittlungen auch kommt der einzelnen Zeugenaussage im Untersuchungsausschuss letztlich kein entscheidendes Gewicht zu – so lange die Beweismittelrecherche gut geführt wurde und sich bestimmte Zusammenhänge schon allein aus dem schriftlich vorliegenden Material erklären lassen.

Eingeschränkte Wirkmächtigkeit

Trotz seiner weiter reichenden Befugnisse ist ein Untersuchungsausschuss formalen und praktischen Hindernissen ausgesetzt. So existiert ein durch das Bundesverfassungsgericht festgestellter Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung, der bspw. die Willensbildung der Regierung selbst umfasst und der auch durch einen Untersuchungsausschuss nicht ausgeforscht werden kann. Auch kann ein Untersuchungsausschuss eines Landesparlaments nicht ohne weiteres Angelegenheiten behandeln, die andere Bundesländer oder den Bund betreffen. Ein praktisches Hindernis kann die nicht vorhandene Bereitschaft einzelner Stellen in Behörden oder Unternehmen sein, sich kooperativ zu verhalten und die angeforderten Beweismittel zügig und vollständig an den Ausschuss zu liefern. Auch hier mag der Cum/Ex-Untersuchungsausschuss als drastisches Beispiel dienen. Dieser hatte beim Bundesgerichtshof die Durchsuchung der Kanzleiräume von Freshfields Bruckhaus Deringer beantragt, was vom Gericht abgewiesen wurde. Gegenstand des Untersuchungsausschusses sei es nicht, ein mögliches Fehlverhalten von Privatpersonen aufzuklären, worauf der Antrag auf Durchsuchung jedoch abziele. Es ist also keineswegs sicher, dass im Verlauf eines Untersuchungsausschusses wirklich alle Fakten auf den Tisch kommen.

Dass Missständen, nachdem sie parlamentarisch analysiert wurden, tatsächlich der systemische Boden entzogen wird, kommt wohl nur selten vor. Allein die Ausschüsse zu den unterschiedlichsten Verwicklungen verschiedener Geheimdienste in diverse skandalisierte Vorgänge widersprächen der Auffassung, dass Empfehlungen von Untersuchungsausschüssen bisher relevante Früchte getragen hätten. Berichte von Untersuchungsausschüssen erlauben jedoch oft Einblicke in konkrete politische Abläufe und können Bereiche ausleuchten, die man unter dem Begriff „informelle Politik“ zusammenfassen kann. Ob ein Bericht in diesem Zusammenhang zu einer interessanten Quelle wird, hängt – ärgerlicherweise – auch vom jeweiligen Arbeitsverständnis der im Ausschuss arbeitenden Abgeordneten ab. Denn neben den o. g. politischen Erwägungen, denen die Ausschussarbeit unterworfen ist, spielen ganz individuelle Erwägungen eben auch eine gewisse Rolle. Sollten diese persönlichen Erwägungen sich auf den Ablauf der Untersuchungen auswirken, so ist auch vom Untersuchungsergebnis zu erwarten, dass es nicht das umfasst, was es umfassen könnte, hätten sich manche nicht ihrer Eitelkeit hingegeben. Manche Untersuchung wird zum Beispiel dadurch in eine bestimmte Richtung geleitet, dass einzelne Parlamentarier/innen vermeinen, eine Rolle als „Chefaufklärer/in“ einnehmen zu müssen. Eine Rolle, die in einem durch und durch formalisierten Gremium faktisch kaum einzunehmen ist, einer geneigten Öffentlichkeit jedoch recht einfach vorgespielt werden kann. Es genügt eine Anzahl von öffentlichen Wortmeldungen, seien sie auch noch so weit entfernt vom tatsächlichen Untersuchungsauftrag, um als Spezialist/in wahrgenommen zu werden. Hier gerät die im Skandal vorgenommene Personalisierung wieder in den Blick, denn es schimpft sich als Parlamentarier/in leichter über Personen als über Strukturen. Dies gilt auch dann, wenn man von der Oppositionswarte aus schimpft, da man sich hier nur allzu oft als Regierung im Wartestand begreift und demnach auch kein grundlegendes Interesse daran hat, bestimmte strukturelle Gegebenheiten tatsächlich anzugehen.

Mythos „Chefaufklärer“: Die Selbstdarstellung Einzelner birgt die Gefahr, die ohnehin begrenzte Wirkmächtigkeit von Untersuchungsausschüssen zusätzlich zu entwerten.

Eine skandalisierende Personalisierung wiederum trägt zumeist wenig zur Aufklärung eines strukturellen Missstands bei. Wahrscheinlich können die meisten Untersuchungsausschuss-Mitarbeiter/innen ein Lied davon singen, wie zäh sich manche Verhandlungen auf der interfraktionellen Mitarbeiterebene, in informellen Sprecherrunden und schließlich in den Beratungssitzungen des jeweiligen Ausschusses hinziehen, wenn darüber gestritten wird, welche/r prominente Akteur/in zu welchem Termin zu laden sei. Dabei spielen bei manchen Abgeordneten auch der parlamentarischen Aufklärung fern liegende Überlegungen eine Rolle. Nämlich jene, wie mediale Aufmerksamkeit für den Untersuchungsausschuss geschaffen werden kann, die im besten Fall in mediale Aufmerksamkeit für die eigene Person umgewandelt werden könnte. Wenn zum Beispiel ein Carsten Maschmeyer im Cum/Ex-Untersuchungsausschuss des Bundestages vernommen wird, ist diese Aufmerksamkeit garantiert. Auch wenn der Ausschuss gar nicht die Aufgabe hatte, einen „Fall Maschmeyer“ zu untersuchen, sondern vor allem das Versagen des Bundesministeriums der Finanzen bei der Bekämpfung dieser Geschäftspraxis von Banken und Investoren. Dass die Vernehmung prominenter Zeug/innen bzw. von Senator/innen oder Minister/innen zumeist wenig Erkenntnisgewinn zeitigt, dürfte eine Erfahrung vieler Untersuchungsausschüsse sein. Zwar sind Regierungsmitglieder dem Parlament die Darlegung ihrer Verantwortlichkeit schuldig. Doch handelt es sich in vielen Fällen eben lediglich um die formale Verantwortlichkeit als oberster Dienstherr. Um diese festzustellen, bräuchte es keine stundenlange Vernehmung und auch keine Fernsehinterviews sich empört gebender Parlamentarier/innen. Denn zur tatsächlichen Aufklärung innerbehördlicher Vorgänge – zum Beispiel: Wann wurde welche Formulierung in welcher Version welchen Schriftstücks verändert und nach wessen Weisung geschah dies? – können Minister/innen oftmals gar nichts beitragen, da sie sich nicht in diesen Ebenen ihrer Behörden bewegen. Die systematische Ermittlungsarbeit, die ein Untersuchungsausschuss leisten könnte, wird durch eine um mediale Aufmerksamkeit heischende Haltung mancher Abgeordneter, die wiederum den Personalisierungsmechanismen eines typischen Skandalverlaufs geschuldet ist, eher verlangsamt als gefördert.

Wir wollen also festhalten: Das Instrument Untersuchungsausschuss ist im Grundsatz so ausgestaltet, dass ein abgegrenzter Sachverhalt tiefgehend analysiert und dem Parlament ein Bericht geliefert werden kann. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Parlamentsfremde Erwägungen mögen bei der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses und in seinem Verlauf sicherlich in den meisten Fällen eine Rolle spielen. Dennoch ändern diese Erwägungen oder bestimmte Absichten nichts an der formal gegebenen Ausrichtung dieses Instruments als eines von mehreren zur Regierungskontrolle, welches eben nicht als öffentliche Gerichtsverhandlung oder Spiegelfechterei gedacht ist. Es liegt an den Abgeordneten, einen Untersuchungsausschuss ernsthaft zu betreiben, und nicht als PR-Vehikel in eigener Sache zu nutzen. Und es liegt an den Fraktionen, etwaige Schaumschlägereien Einzelner dergestalt zu vermeiden, dass sie für Untersuchungsausschüsse geeignete Abgeordnete zur Wahl stellen. Dies wäre zumindest dem Parlament als Kontrollorgan der Regierungspolitik insgesamt dienlicher, als sich dem Reiz ständig wiederkehrender Skandalisierung hinzugeben. Und so sollte das Instrument Untersuchungsausschuss auch von Parlamentarier/innen und Journalist/innen in der öffentlichen Debatte behandelt werden: nicht als Sensationslieferant, Skandalverlängerer oder Schaubühne zur Selbstverwirklichung, sondern als formalisiertes parlamentarisches Gremium.

Die Selbstdarstellung Einzelner birgt die Gefahr, die ohnehin begrenzte Wirkmächtigkeit von Untersuchungsausschüssen zusätzlich zu entwerten. Hätte sich dieses Verständnis durchgesetzt, hätte zumindest die Möglichkeit bestanden, die in vielen Untersuchungsausschussberichten enthaltenen Empfehlungen ernsthaft zu debattieren und vielleicht auch an deren Umsetzung zu arbeiten – aufgedeckte und analysierte Missstände also an der Wurzel zu packen. Dass solch ein Gedankenspiel höchst illusorisch ist, gründet in der realen Ausrichtung des Parlaments, das sich nicht in seiner Gänze als Organ zur Regierungskontrolle sieht, sondern in regierungstragende und oppositionelle Fraktionen aufgeteilt ist. Nüchtern betrachtet ist das Instrument Untersuchungsausschuss also kein scharfes, sondern ein hölzernes Schwert des Parlaments. Wobei – richtig geführt – auch ein Holzschwert ernsthafte Verletzungen zufügen könnte.

Autorenangaben:

Der Präsident des Abgeordnetenhauses von Berlin (Hg.): Das Berliner Parlament. Struktur und Arbeitsweise des Abgeordnetenhauses von Berlin, Berlin 1986

Crouch, Colin: Postdemokratie, Frankfurt/M. 2008

Germis, Carsten: Parlamentarische Untersuchungsausschüsse und politischer Skandal. Dargestellt am Beispiel des Deutschen Bundestages, Frankfurt/M. 1988

Loewenberg, Gerhard: Parlamentarismus im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, Tübingen 1969

Reybrouck, David van: Gegen Wahlen. Warum Abstimmen nicht demokratisch ist, Göttingen 2016

 

 

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